BGH,
Beschl. v. 11.3.2003 - 1 StR 458/02
1 StR 458/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
11. März 2003
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 11. März 2003
beschlossen:
1. Der Angeklagten wird auf Ihren Antrag gegen die Versäumung
der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts München I vom 14. März 2002
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Damit sind die Beschlüsse des Landgerichts München I
vom 18. Juni 2002 und 13. August 2002 gegenstandslos.
2. Die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird
als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
I.
Hinsichtlich der Wiedereinsetzung nimmt der Senat auf die zutreffenden
Ausführungen des Verteidigers im Schriftsatz vom 12. Februar
2003 Bezug.
II.
Die Angeklagte hat ihrem Ehemann anläßlich eines von
sinnlosen Verdächtigungen gekennzeichneten Streits, in dessen
Verlauf sie ihn auch nicht unerheblich beleidigt hatte ("Ich ficke
Deine Mutter") zwei Messerstiche in den Rücken versetzt. Ein
Stich führte nicht zu lebensbedrohlichen Verletzungen, der
andere Stich war tödlich. Die Schwurgerichtskammer, die sich
von Heimtücke (§ 211 StGB) nicht überzeugen
konnte, hat die Angeklagte wegen Totschlags zu zehn Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt.
Ihre auf die Sachrüge gestützte, nur zum
Strafausspruch näher ausgeführte Revision bleibt
erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der näheren Ausführung bedarf nur folgendes:
1. Nach sachverständiger Beratung hat die Schwurgerichtskammer
mit eingehender Begründung festgestellt, daß die
Angeklagte "eine Reihe von Kriterien einer histrionischen
Persönlichkeit" aufweist, ihre Schuldfähigkeit bei
der Tat aber nicht im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert
war. In diese Prüfung hat die Schwurgerichtskammer auch das
häufig wechselnde Verteidigungsverhalten der Angeklagten
einbezogen. So hatte sie etwa angegeben, im Rahmen des Streits das
Tatmesser aus der Küche geholt zu haben, um es zu verstecken.
Sie habe ihrem Ehemann nur den weniger gefährlichen Stich
versetzt, mit dem tödlichen Stich habe sie nichts zu tun,
obwohl offensichtlich - anderes hat auch die Angeklagte nicht behauptet
- außer ihr und ihrem Ehemann niemand in der Wohnung war.
Ersichtlich auf all dies gestützt führt die
Schwurgerichtskammer aus, daß die Angeklagte sich "Aspekten,
die ihren Interessen zuwider laufen", in einer Weise
verschließen würde, die mit ihren "intellektuellen
Fähigkeiten" - die Angeklagte war in ihrer Heimat als
Wirtschaftsjuristin tätig gewesen - nicht vereinbar seien.
Vielmehr "variiere sie in impressionistischer Weise ihre Schilderungen"
und "setze auf manipulative und provokante Verhaltensweisen ohne sich
mit Fakten auseinanderzusetzen".
Allerdings darf Verteidigungsverhalten, selbst wenn es objektiv sinnlos
ist, von hier offenbar nicht vorliegenden Ausnahmefällen
abgesehen, grundsätzlich nicht zum Nachteil des Angeklagten
berücksichtigt werden. Dies schließt jedoch die im
Ansatz den Angeklagten begünstigende Prüfung, ob
Verteidigungsverhalten Anhaltspunkte für eine im Sinne des
§ 21 StGB bedeutsame Schuldminderung bietet, nicht aus.
2. Die Revision, die sich nicht gegen die Ablehnung erheblich
verminderter Schuld wendet, sieht in diesem Zusammenhang folgenden
Rechtsfehler: Die Strafkammer hat zwar zu Gunsten der Angeklagten ihre
histrionischen Persönlichkeitszüge ebenso
berücksichtigt wie eine mögliche Mitverursachung der
Tat durch den Getöteten. Diesen Aspekt hat sie jedoch insofern
wieder relativiert, als die Angeklagte einen - ersichtlich gemessen an
den sonstigen ständigen Auseinandersetzungen der Beteiligten -
belanglosen Streit zum Anlaß nahm, sich mit Messerstichen
"durchzusetzen". Die Revision meint, es sei Ausfluß der
Persönlichkeit der Angeklagten, ihr nachteilige Aspekte nicht
zur Kenntnis zu nehmen (vgl. oben II. 1.). Die letztlich
strafschärfende Berücksichtigung der Belanglosigkeit
des Streits bedeute daher im Ergebnis, daß ihr eine ihr nicht
vorwerfbare Persönlichkeitsstörung zum Nachteil
gereiche. Der Senat sieht im Ergebnis keinen die Angeklagte
beschwerenden Rechtsfehler. Ob die festgestellten "manipulativen und
provokanten" Verhaltensweisen Ausdruck der histrionischen
Persönlichkeit oder ob sie hiervon unabhängig sind,
wird allerdings nicht deutlich. Der Senat braucht dem jedoch nicht
näher nachzugehen. Die Schwurgerichtskammer führt
nämlich mit eingehender Begründung aus, daß
die Angeklagte bei der Tat "nicht in einer bedrängten Lage
reagierte und sich (subjektiv) verteidigen wollte". Wenn die Angeklagte
aber nicht glaubte, sich verteidigen zu müssen, kann ihre
Neigung, ihr nachteilige Aspekte nicht zur Kenntnis zu nehmen, ihre
Einschätzung des Streites auch nicht beeinflußt
haben. Die genannte Relativierung des von der Strafkammer (gleichwohl)
strafmildernd berücksichtigten Verhaltens des
Getöteten kann die Angeklagte daher nicht beschweren.
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