BGH,
Beschl. v. 11.3.2003 - 4 StR 88/03
4 StR 88/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
11. März 2003
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11.
März 2003 gemäß §§ 349
Abs. 2 und 4, 357 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stralsund vom 19. August 2002 mit den Feststellungen aufgehoben
1. soweit es den Angeklagten betrifft,
a) im Schuldspruch wegen versuchter schwerer räuberischer
Erpressung,
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch,
2. soweit es die Mitangeklagten L. und O. betrifft, insgesamt.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer
räuberischer Erpressung und wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
"Einheitsjugendstrafe" von vier Jahren verurteilt und seine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; von der
Einbeziehung eines rechtskräftigen früheren Urteils
hat es abgesehen. Die - nicht revidierenden - Mitangeklagten O. und L.
hat es jeweils der Beihilfe zur versuchten räuberischen
Erpressung schuldig befunden; gegen O. hat es deshalb eine Jugendstrafe
von einem Jahr verhängt; L. hat es verwarnt und eine
Geldauflage (§ 15 Abs. 1 Nr. 4 JGG) erteilt. Ferner hat es das
von dem Angeklagten benutzte Tatmesser eingezogen. Gegen dieses Urteil
wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die
Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den
aus der Beschlußformel ersichtlichen Teilerfolg, der
gemäß § 357 StPO auch zur Aufhebung der
Verurteilung der Mitangeklagten führt.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat keinen den Beschwerdeführer
benachteiligenden Rechtsfehler ergeben, soweit ihn das Landgericht des
versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung für schuldig befunden hat. Insoweit
nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen in der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. Februar 2003, die durch
das Vorbringen im Schriftsatz des Verteidigers vom 7. März
2003 nicht entkräftet werden.
2. Im übrigen kann das Urteil aber nicht bestehen bleiben,
weil das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte von
dem Versuch der schweren räuberischen Erpressung
strafbefreiend zurückgetreten ist, obwohl sich diese
Prüfung hier aufdrängte.
a) Nach den Feststellungen sah der Angeklagte in der Tatnacht in G. ,
als er mit den Mitangeklagten und einem weiteren Beteiligten unterwegs
war, den später Geschädigten Harry T. an einer
Bushaltestelle stehen und eine Zigarette rauchen. Spontan
faßte er den Entschluß, von diesem Zigaretten zu
fordern. Dementsprechend äußerte er zu seinen
Begleitern: "Los, den schnappen wir uns". Gemeinsam gingen sie nunmehr
in dem Bewußtsein, dadurch eine "Bedrohungssituation" zu
schaffen, auf den Geschädigten zu. Der Angeklagte zog sodann
ein Kampfmesser, das er aus der Wohnung des O. mitgenommen hatte,
heraus, hielt es dem Geschädigten unter das Kinn und forderte
ihn auf: "Gib Kippen her". Der Einsatz des Messers war nicht zuvor
abgesprochen, sondern "stand im Gegensatz zum Willen und Wollen der
übrigen Angeklagten". L. äußerte in dieser
Situation zu dem Angeklagten: "Laß das, ich habe selber
Zigaretten". Weiter heißt es in dem Urteil: "Aufgrund dieser
für den Angeklagten S. nicht vorausgesehenen Situation und der
Tatsache, daß er wohl nicht an die erhofften Zigaretten
kommen würde, rammte er aus Verärgerung über
das Scheitern seines Planes das Messer mit Schwung in die rechte
Brustregion" des Geschädigten (UA 12).
b) Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft die Prüfung
strafbefreienden Rücktritts nach § 24 StGB
unterlassen. Der Versuch der schweren räuberischen Erpressung
war unbeendet, so daß der Angeklagte durch bloßes
Aufgeben seines Plans, von dem Geschädigten die Herausgabe von
Zigaretten zu erzwingen, Strafbefreiung erlangen konnte. Ausgeschlossen
wäre die Anwendung von § 24 StGB nur dann, wenn der
Versuch fehlgeschlagen, der Taterfolg also aus objektiven oder
subjektiven Gründen aus der Sicht des Angeklagten (vgl. BGH
NStZ 1999, 395 f.) nicht mehr erreichbar gewesen wäre (vgl.
Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 24 Rdn. 6 f.).
Hiervon ist das Landgericht möglicherweise ausgegangen. Doch
hat es dabei - wie der Gebrauch des Wortes "wohl" nahelegt - nicht
bedacht, daß die Frage der tatsächlichen
Voraussetzungen des Rücktritts nach dem Zweifelsgrundsatz zu
beantworten ist (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1
Freiwilligkeit 26). Es ist aber nicht ersichtlich, wodurch sich der
Angeklagte gehindert gesehen haben sollte, weiter auf den
Geschädigten einzuwirken, um von ihm Zigaretten zu erlangen.
Im übrigen steht die Annahme, der Angeklagte habe auf den
Geschädigten eingestochen, weil er seinen Erpressungsversuch
als gescheitert angesehen habe, nicht in Einklang mit der
Erwägung im Rahmen der Erörterung niedriger
Beweggründe, der Angeklagte habe "sein Motiv, Zigaretten zu
erlangen, plötzlich und spontan (geändert), um aus
einer plötzlichen Gefühlsregung heraus auf den
Geschädigten einzustechen" (UA 17). Daß der
Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von der
weiteren Verfolgung seines erpresserischen Vorhabens absah,
schließt die Freiwilligkeit nicht aus (st. Rspr.; BGHSt 35,
184, 186). Nichts anderes gilt hinsichtlich des Umstandes,
daß der Angeklagte nach den Feststellungen erst auf die
Aufforderung des Mitangeklagten L. an seinem ursprünglichen
Vorhaben nicht mehr festhielt (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz
1 Freiwilligkeit 3, 6).
3. Über den Vorwurf der versuchten schweren
räuberischen Erpressung ist deshalb insgesamt neu zu
verhandeln und zu entscheiden.
a) Dies hat bei dem Beschwerdeführer die Aufhebung des
gesamten Rechtsfolgenausspruchs zur Folge. Für die neue
Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf § 105 Abs. 1
i.V.m. § 5 Abs. 3 JGG hin (vgl. BGH NStZ 2000, 469, 470), auch
wenn es hier fernliegt, daß die Anordnung der Unterbringung
des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt die Verhängung von
Jugendstrafe entbehrlich macht.
b) Die Aufhebung des Urteils gegen den Angeklagten im Schuldspruch
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung ist zugleich
gemäß § 357 StPO auf die Mitangeklagten L.
und O. zu erstrecken, die keine Revision eingelegt haben. Denn die
unterlassene Prüfung strafbefreienden Rücktritts vom
Versuch der schweren räuberischen Erpressung, und damit
derselbe Rechtsfehler, der bei dem Beschwerdeführer zur
(teilweisen) Aufhebung des Urteils führt (vgl.
Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 357 Rdn. 14), betrifft
auch die Verurteilung der Mitangeklagten L. und O. . Das gilt
hinsichtlich des Angeklagten L. schon mit Blick auf seine Aufforderung
an den Beschwerdeführer, von dem Geschädigten
abzulassen, kann aber auch bei dem Angeklagten O. zutreffen, weil es
ausreichend sein kann, wenn ein Beteiligter mit dem die Tatvollendung
verhindernden Rücktritt eines anderen einverstanden ist (vgl.
BGHR StGB § 24 Abs. 2 Verhinderung 2). Dies führt bei
den Mitangeklagten L. und O. zur Aufhebung ihrer Verurteilung insgesamt.
Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanovic Sost-Scheible |