BGH,
Beschl. v. 11.3.2009 - 2 StR 42/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 42/09
vom
11. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 11. März 2009
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Marburg vom 15. Oktober 2008
a) im Schuldspruch dahin klar gestellt, dass der Angeklagte der
schweren Vergewaltigung schuldig ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die
Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision
führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des
Maßregelausspruches (§ 349 Abs. 4 StPO). Im
Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2
StPO).
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I.
Nach den Feststellungen leidet der nicht vorbestrafte, am 8. November
1980 als Kind türkischer Eltern in Deutschland geborene
Angeklagte an einer paranoiden Schizophrenie. Er wurde erstmals mit 17
Jahren und bis zur Hauptverhandlung fünfzehn weitere Male
stationär psychiatrisch behandelt. Ein Behandlungserfolg
stellte sich nicht ein, da er Neuroleptika "immer wieder
eigenmächtig absetzte und statt dessen Drogen konsumierte."
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Der Angeklagte lernte im September 2006 über einen sogenannten
Chat-Room die 17-jährige Nebenklägerin kennen, die
aus einer strenggläubigen türkischen Familie stammt.
Von Oktober bis Dezember 2006 besuchte er sie
regelmäßig in ihrem Heimatort und
übernachtete dann häufig in seinem Auto. Anders als
die Nebenklägerin hatte der Angeklagte "mit dem Islam nicht
viel im Sinn", was mehrfach zum Streit zwischen den beiden
führte. Es kam auch zum Austausch von Zärtlichkeiten
sexueller Art, allerdings nur "oberhalb der Gürtellinie", da
vaginaler Geschlechtsverkehr für die Nebenklägerin
auf Grund ihres Glaubens vor der Hochzeit nicht in Betracht kam. Der
Angeklagte hielt bei den Eltern der Nebenklägerin um ihre Hand
an; ihr Vater war grundsätzlich mit einer Heirat
einverstanden, wollte seine Entscheidung aber erst nach einer
für Mitte Dezember 2006 geplanten Pilgerreise nach Mekka
mitteilen. In der Woche vor Beginn der Mekkareise besuchte der
Angeklagte die Nebenklägerin erneut und mietete sich
für vier bis fünf Tage in einem Hotel ein. Die beiden
sahen sich in dieser Zeit täglich, unternahmen Fahrten mit dem
PKW und hielten sich in dem Hotelzimmer des Angeklagten auf. Auch am
Nachmittag des 14. Dezember 2006 waren sie nachmittags im Hotel und
tauschten Zärtlichkeiten aus. Als die Nebenklägerin
am späten Nachmittag nach Hause musste, reagierte der
Angeklagte verstimmt, weil er "gern mehr Zärtlichkeiten von
ihr gehabt hätte." Gegen 20.00 Uhr ging die
Nebenklägerin in die Moschee. Einige Zeit später
erschien
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der Angeklagte und bewegte sie durch lautes Rufen dazu, herauszukommen
und zu ihm ins Auto einzusteigen. Der Angeklagte fuhr mit der
Nebenklägerin erneut ins Hotel, schloss das Zimmer von innen
ab und steckte den Schlüssel in seine Tasche. Da der
Angeklagte nach Alkohol roch, machte ihm die Nebenklägerin
Vorhaltungen und schickte ihn zum Duschen. Der Angeklagte tat wie ihm
geheißen, sagte aber, die Nebenklägerin solle sich
schon einmal ausziehen, was sie nicht ernst nahm, weil sie von ihm
solche Bemerkungen bereits kannte. Als der Angeklagte aus der Dusche
zurückkam, fragte er die Nebenklägerin
verärgert, warum sie noch immer nicht ausgezogen sei. Der
Nebenklägerin wurde die Situation nunmehr unheimlich und sie
wollte gehen. Der Angeklagte packte sie an den Schultern, warf sie auf
das Bett und fesselte ihre Hände mit Handschellen an das
Bettgestell. Er sagte zu ihr, sie habe ihn soweit gebracht und sei an
allem schuld, sie solle jetzt für immer ihm gehören.
Dann vollzog er gegen ihren Widerstand den Geschlechtsverkehr bis zum
Samenerguss, ohne ein Kondom zu benutzen. Dabei sagte er ihr, dass er
ihr nicht wehtun wolle. Nach dem erzwungenen Geschlechtsverkehr fragte
der Angeklagte die Nebenklägerin, ob sie ihn noch immer liebe,
was diese bejahte, damit er sie von den Handschellen befreite.
Nach seiner Festnahme am 24. Februar 2007 befand sich der Angeklagte
zunächst aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Marburg in
Untersuchungshaft. Der Haftbefehl wurde vom Amtsgericht Marburg vom 27.
April 2007 in eine einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO
und durch Beschluss des Landgerichts vom 3. September 2007 wieder in
einen Haftbefehl umgewandelt. Nachdem das Oberlandesgericht Frankfurt
den Haftbefehl durch Beschluss vom 14. September 2007 mangels
dringenden Tatverdachts aufgehoben hatte, erließ die Kammer
am Ende des ersten Sitzungstages erneut Beschluss nach § 126a
StPO.
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II.
1. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum Tatgeschehen tragen eine
Verurteilung des Angeklagten wegen des Qualifikationstatbestandes des
§ 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB, da der Angeklagte die
Nebenklägerin mit Handschellen an das Bettgestell gefesselt
und damit im Sinne des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB ein Mittel bei
sich geführt - und eingesetzt - hat, um ihren Widerstand mit
Gewalt zu überwinden. Entsprechend war der Schuldspruch dahin
klarzustellen, dass der Angeklagte der schweren Vergewaltigung schuldig
ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2008 - 4 StR 595/07; BGHR StPO
§ 260 IV 1 Urteilsformel 4).
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2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher
Überprüfung nicht stand, weil die Voraussetzungen des
§ 63 StGB im angefochtenen Urteil nicht hinlänglich
dargelegt sind.
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a) Das Landgericht hat bereits nicht tragfähig
begründet, dass der Angeklagte die Tat im Zustand der
erheblich verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Die
Voraussetzungen des § 21 StGB müssen zum Tatzeitpunkt
bestehen, und die Tatbegehung muss auf der sicher erheblich
verminderten Schuldfähigkeit beruhen (vgl. BGH NStZ-RR 2003,
232). Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass sich
dem Urteil nicht entnehmen lässt, dass und gegebenenfalls wie
sich die festgestellte Grunderkrankung des Angeklagten auf die
Ausführung der Tat ausgewirkt hat. Das Landgericht teilt
hierzu lediglich mit, dass der Angeklagte vor seinem letzten Treffen
mit der Nebenklägerin bereits seit längerer Zeit
seine Medikamente nicht oder nicht regelmäßig
eingenommen habe. Aufgrund seiner "bereits chronifizierten
schizophrenen Erkrankung" habe er an Denkstörungen sowie
Antriebs- und Affektstörungen und an deutlichen kognitiven
Einbußen gelitten. Insgesamt sei sein "allgemeines
psychosoziales
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Funktionsniveau zur Zeit der Tat schwerwiegend korrumpiert und
vergleichbar beeinträchtigt wie bei einer klassischen
Geisteskrankheit oder Psychose" gewesen.
Diese Ausführungen des Landgerichts begegnen durchgreifenden
Bedenken. Sie sind lückenhaft, weil sie sich in der Behauptung
eines sich auf die Tat auswirkenden Zustandes im Sinne des §
21 StGB erschöpfen, ohne konkret zu belegen, durch oder in
welchen Verhaltensweisen sich die Grunderkrankung des Angeklagten bei
der Tatbegehung manifestierte. Konkrete Angaben hierzu waren auch nicht
deshalb entbehrlich, weil sich das Beruhen der Tat auf dem Zustand von
selbst verstanden hätte. Aus dem festgestellten Sachverhalt
ergaben sich die behaupteten Defizite nicht. Vielmehr hat der
Angeklagte durchaus planvoll gehandelt und situationsadäquat
auf das Verhalten der Nebenklägerin und sich daraus neu
ergebende Situationen reagiert. Unter diesen Umständen ist
nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass der dem Angeklagten
attestierte Defektzustand sich auf die Tatbegehung ausgewirkt hat. Das
hätte vielmehr eingehender Prüfung und Darlegung des
Landgerichts bedurft.
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Darüber hinaus sind die Ausführungen des Landgerichts
in sich widersprüchlich. Das Landgericht meint einerseits, die
Tat sei von der schizophrenen Erkrankung des Angeklagten
geprägt. Es stellt jedoch andererseits fest, dass das
Tatgeschehen "auch von einem psychisch gesunden Täter
verwirklicht worden" sein konnte und "als solches auch in keiner Weise
von psychotischen Inhalten geprägt oder geleitet" worden sei.
Dieser Widerspruch lässt sich nicht mit der Erwägung
des Landgerichts ausräumen, dem "moralisch korrumpierten und
empathielos gewordenen Angeklagten" sei "die Verantwortung für
das Geschehen entglitten". Denn damit wird lediglich eine
moralisierende Bewertung des Verhaltens des Angeklagten vorgenommen,
nicht aber die notwendige Beziehung zwischen der Grunderkrankung und
der Tatbegehung belegt. Soweit die
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Kammer insoweit zur Begründung auf die "Empathielosigkeit" des
Angeklagten verweist, steht dies im Übrigen im Widerspruch zu
ihrer Feststellung, dass der Angeklagte auch "erhebliche dissoziale
Züge" aufweise, "die sich insbesondere in einer schweren
Empathielosigkeit zeigen", welche allerdings "keinen Einfluss auf die
Steuerungsfähigkeit" gehabt habe.
b) Das Landgericht hat auch die für eine Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus weiter vorausgesetzte negative
Gefährlichkeitsprognose nicht rechtsfehlerfrei
begründet. Die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende
Maßnahme. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn eine
Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter
werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche
rechtswidrige Taten begehen (BGHR StGB § 63
Gefährlichkeit 11 und 26). Eine lediglich latente Gefahr und
die bloße Möglichkeit zukünftiger
Straftaten reicht nicht aus (Senat, Beschluss vom 10. September 2008 -
2 StR 291/08).
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Das Landgericht berücksichtigt nicht erkennbar, dass der
Angeklagte mit Ausnahme der Anlasstat bisher strafrechtlich nicht in
Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1998 vielfach
stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und
behandelt werden musste. Dass ein Täter trotz bestehenden
Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat, ist
ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger
gefährlicher Straftaten (vgl. BGHR StGB § 63
Gefährlichkeit 27). Darüber hinaus weist der
Generalbundesanwalt zu Recht darauf hin, dass der Angeklagte trotz
seiner schizophrenen Erkrankung bei zahlreichen früheren
sexuellen Kontakten die Grenzen respektiert hat, die ihm die
Nebenklägerin gesetzt hatte. Auch diesen Umstand
hätte das Landgericht erkennbar in seine Überlegungen
einbeziehen müssen.
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Vor diesem Hintergrund genügt der Hinweis auf die
"fortwährend insuffiziente Behandlung mangels Mitwirkung des
Angeklagten" und seinen "bereits erheblich fortgeschrittenen
Persönlichkeitsverfall, der letztlich die Grundlage
für die vorliegende Tat darstellt" nicht, zumal das
Landgericht - wie dargelegt - auch das Beruhen der Tat auf dem
Defektzustand nicht rechtsfehlerfrei begründet hat.
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3. Über die Maßregelanordnung ist daher neu zu
entscheiden. Die Feststellungen zum äußeren
Tathergang lassen keinen Rechtsfehler erkennen, sodass sie bestehen
bleiben können. Dies gilt - nach Maßgabe der
Klarstellung der Urteilsformel - auch für den Schuldspruch.
Bei der gegebenen Sachlage ist auszuschließen, dass beim
Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat die Voraussetzungen des § 20
StGB vorlagen. Auch der Strafausspruch kann bestehen bleiben, da der
Angeklagte durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB
bei der Strafzumessung nicht beschwert ist (vgl. Senat, Beschluss vom
24. Januar 2007 - 2 StR 532/06).
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