BGH,
Beschl. v. 11.5.2006 - 1 StR 23/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 23/06
vom
11. Mai 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Mai 2006
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Baden-Baden vom 5. Juli 2005 im Ausspruch über den Verfall mit
den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 80
Fällen sowie wegen Unterschlagung zur Gesamtfreiheitsstrafe
von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Darüber hinaus
hat es den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 96.001,25
Schweizer Franken angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des
Angeklagten, die die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet, ist zum
Schuld- und Strafausspruch unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO. Soweit sie sich gegen die Verfallsanordnung richtet,
hat sie hingegen Erfolg.
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1. Die Verfallsanordnung kann von Rechts wegen keinen Bestand haben,
weil den Geschädigten der abgeurteilten Taten zivilrechtliche
Ansprüche erwachsen sind, die der Verfallsanordnung zu Gunsten
des Staates grundsätzlich vorgehen (§ 73 Abs. 1 Satz
2 StGB). Das Landgericht hat dies nicht verkannt, aber gemeint, durch
eine Verfallsanordnung sicherstellen zu dürfen, dass auf das
auf dem Konto des Angeklagten bei der Schweizerischen Postfinanz
liegende Guthaben "mit rangwahrender Wirkung" Zugriff genommen werden
könne und auf diese Weise eine - gesetzlich nicht geregelte -
nachträgliche Verteilung unter den Verletzten in die Wege
geleitet werden könne.
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Damit hat das Landgericht - wie die Revision und der
Generalbundesanwalt zu Recht ausführen - die
verfahrensrechtliche Rückgewinnungshilfe ins materielle Recht
übertragen, obgleich dies einer gesetzlichen Grundlage
entbehrt. Auch der gegenwärtig noch im Gesetzgebungsverfahren
befindliche Entwurf, der einen Auffangrechtserwerb des Staates
vorsieht, ist noch nicht Gesetz (vgl. Gesetzentwurf der
Bundesregierung, BTDrucks. 16/700).
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Die Voraussetzungen der Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von
Wertersatz lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Die
zivilrechtlichen Ansprüche der im Urteil namentlich
festgestellten Geschädigten genießen
grundsätzlich Vorrang (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; st.
Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 73 Tatbeute 1; BGH StV 1995, 301;
NStZ 2003, 533; siehe auch LK-Schmidt, 12. Aufl. § 73 Rdn.
34). Anders kann es dann liegen, wenn die Geschädigten keinen
Anspruch geltend machen und darauf verzichten, dem Angeklagten also
keine doppelte Inanspruchnahme droht und den Geschädigten auch
keine Ersatzmöglichkeit entzogen wird (BGH NStZ-RR 2004, 54,
55; BGH, Beschluss vom 31. März 2004 - 1 StR 482/03 - insoweit
in NStZ 2005, 213 nicht abgedruckt). Dazu verhält sich das
Urteil nicht ausdrücklich.
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2. Der Senat hat davon abgesehen, die Verfallsanordnung - wie vom
Generalbundesanwalt beantragt - lediglich in Wegfall zu bringen (vgl.
dazu BGH, Beschluss vom 3. November 1999 - 3 StR 346/99). Er erachtet
es für sachgerecht, den Verfallsausspruch aufzuheben und die
Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen. Auf diese Weise besteht die
Möglichkeit, Feststellungen darüber zu treffen, ob
etwa die Geschädigten auf die Geltendmachung ihrer
Ansprüche verzichtet haben (zu solcher Fallgestaltung vgl. BGH
NStZ-RR 2004, 54, 55; BGH, Beschluss vom 31. März 2004 - 1 StR
482/03 - insoweit in NStZ 2005, 213 nicht abgedruckt). Sollte das nicht
der Fall sein, sieht § 111i StPO die Möglichkeit vor,
eine angeordnete Beschlagnahme zu Gunsten der Verletzten zu
verlängern und diesen den Weg zu öffnen, ihre
Ansprüche zivilrechtlich durchzusetzen (siehe weiter zur
Rückgewinnungshilfe: § 111b Abs. 5 i.V.m. §
111b Abs. 3 Satz 2 StPO; BGH StV 1995, 301; NStZ 2003, 533; BGH,
Beschluss vom 6. Februar 1996 - 4 StR 727/95; KK-Nack, 5. Aufl.
§ 111b Rdn. 17 ff.). Dies erscheint nicht von vornherein
aussichtslos, weil die Schweiz Vertragspartner des sog.
Lugano-Übereinkommens zur Anerkennung und Vollstreckung
ausländischer Entscheidungen ist (VollstrZustÜbk 1988
= Übereinkommen über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geschlossen in Lugano am 16.
September 1988, BGBl. 1994 II 2658, ber. 1994 II 3772).
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Sollte bis zur Neuverhandlung der Sache der bezeichnete Gesetzentwurf
zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der
Vermögensabschöpfung bei Straftaten (BTDrucks.
16/700) in Kraft getreten sein (vgl. § 111i StPO Abs. 2 und
Abs. 5 i.d.F. des Entwurfs), wird § 2 Abs. 5 StGB zu beachten
sein.
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Nack Wahl Schluckebier
Elf Graf |