BGH,
Beschl. v. 11.11.2003 - 4 StR 424/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 424/03
vom
11.11.2003
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 11.11.2003
gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Halle vom 14. August 2002 im gesamten
Strafausspruch und hinsichtlich der Maßregelanordnung
mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer
zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung
in zwei
Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem
Mißbrauch eines Kindes,
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die
Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet; außerdem hat
es
den Geschädigten im Adhäsionsverfahren
Ansprüche zuerkannt. Die Revision
des Angeklagten, mit welcher er die Verletzung sachlichen Rechts
rügt, hat in
dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im
übrigen ist
sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Der Schuldspruch hat auch insoweit Bestand, als der Angeklagte im
Fall II 2 der Urteilsgründe wegen tateinheitlich begangenem
sexuellem Mißbrauch
eines Kindes verurteilt worden ist. Zwar enthält das Urteil
keine ausdrücklichen
Feststellungen dazu, daß dem Angeklagten das Alter des
dreizehnjährigen
Tatopfers bekannt war. Der Senat vermag aber dem Gesamtzusammenhang
der Urteilsgründe zu entnehmen, daß dem Angeklagten
das Alter
des Mädchens gleichgültig war und daß er
mit der Möglichkeit, es sei noch
nicht 14 Jahre alt, rechnete.
2. Der Strafausspruch kann dagegen nicht bestehen bleiben. Das
Landgericht
hat unter anderem straferschwerend gewertet, daß "der
Angeklagte
seine eigenen sexuellen Bedürfnisse auf Kosten der
Mädchen befriedigte, obwohl
er es nach seinen eigenen Angaben 'nicht nötig hatte', ein
Mädchen gegen
dessen Willen anzufassen, und obwohl ihm auch das Mittel der
Selbstbefriedigung
zur Stillung sexueller Bedürfnisse durchaus bekannt und
vertraut
war" [UA 16]. Diese Erwägung stellt einen Verstoß
gegen das Doppelverwertungsverbot
des § 46 Abs. 3 StGB dar, weil damit zum einen
Umstände bei der
Strafzumessung berücksichtigt werden, die schon Merkmale der
gesetzlichen
Tatbestände der §§ 176, 177 StGB sind (vgl.
BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung
8; § 46 Abs. 3 Sexualdelikte 4 sowie Vergewaltigung 1), und dem
Angeklagten zum anderen angelastet wird, daß er die Taten
überhaupt begangen
hat. Der Senat kann nicht ausschließen, daß ohne
diesen Rechtsfehler auf
niedrigere Strafen erkannt worden wäre.
3. Die Maßregelanordnung hat ebenfalls keinen Bestand, weil
die zur
Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen
nicht geeignet
sind, die Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen. Diese setzt
zunächst die
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positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur
vorübergehenden
Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung
der Schuldfähigkeit
im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.;
BGHSt 34, 22, 26
f.; 42, 385 f.), ferner, daß der Täter in diesem
Zustand eine rechtswidrige Tat
begangen hat, die mit diesem Defekt in einem kausalen, symptomatischen
Zusammenhang
steht.
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Zur
Frage
der Schuldfähigkeit hat das sachverständig beratene
Landgericht ausgeführt,
der Angeklagte sei alkoholabhängig, weise eine leichte
Intelligenzminderung
(IQ 69) auf und leide an einer "kombinierten
Persönlichkeitsstörung mit dissozialen,
paranoiden, schizoiden und teilweise auch impulsiven Zügen"
[UA 13].
Dem Angeklagten mangele es an Empathiefähigkeit, er ziehe sich
von anderen
Menschen zurück und lebe als Einzelgänger; aus
früheren Bestrafungen habe
er nichts gelernt, fühle sich häufig als Opfer der
anderen, ohne eigene Schuld
zu erkennen, und beharre teilweise in unangemessener Weise auf seinen
Rechten. Die kombinierte Persönlichkeitsstörung habe
bei Begehung der Taten
in Verbindung mit der leichten Intelligenzminderung und einer
alkoholischen
Enthemmung zu einer erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten geführt.
Damit hat das Landgericht die Annahme einer schweren anderen seelischen
Abartigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet. Bei der
Bewertung der vom
Landgericht beschriebenen Persönlichkeitsstörung
besteht die Gefahr, daß
Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der Bandbreite
des
Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, zu Unrecht als
Symptome
einer die Schuldfähigkeit erheblich
beeinträchtigenden schweren seelischen
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Abartigkeit bewertet werden. Das gilt besonders dann, wenn es um die
Beurteilung
kaum meßbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und
Ergebnisse
geht, wie es bei einer "kombinierten
Persönlichkeitsstörung" der Fall ist (vgl.
BGHR StGB § 63 Zustand 24, 34). Die Ausführungen der
Strafkammer zur
Persönlichkeitsstörung des Angeklagten sind so knapp
und allgemein gehalten,
daß sich nicht zuverlässig beurteilen
läßt, ob die Störung den für die
sichere
Annahme des § 21 StGB erforderlichen Schweregrad erreicht.
Darüber hinaus
bleibt letztlich auch unklar, in welcher Form sich die
Persönlichkeitsstörung des
Angeklagten bei den konkreten Taten ausgewirkt hat.
Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus bedarf deshalb neuer Prüfung und Entscheidung.
Dabei wird der
neue Tatrichter zu berücksichtigen haben, daß nach
ständiger Rechtsprechung
nicht pathologisch bedingte Störungen nur dann Anlaß
für eine Unterbringung
nach § 63 StGB sein können, wenn sie in ihrem Gewicht
den krankhaften seelischen
Störungen entsprechen (vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401).
4. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat zudem
darauf hin,
daß das Verfahren nach Erlaß des nach
viertägiger Hauptverhandlung am
14. August 2002 verkündeten Urteils unvertretbar
verzögert worden ist. Obwohl
es sich um eine Haftsache handelt, sind die Akten erst am 24.09.2003
beim Generalbundesanwalt eingegangen, wobei die Verzögerung
allein auf die
Sachbehandlung im Bereich der Justiz zurückzuführen
ist. Dies wird der neue
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Tatrichter bei der Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe zu
berücksichtigen
haben (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2
Verfahrensverzögerung 10;
BGH NStZ 2002, 589, 590; NJW 2003, 2759, 2760).
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Ernemann Sost-Scheible |