BGH,
Beschl. v. 11.9.2008 - 4 StR 267/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 267/08
vom
11. September 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11.
September 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Saarbrücken vom 11. Februar 2008 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer
als Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit
mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe
von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner
Revision gegen dieses Urteil rügt der Angeklagte die
Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit
der Sachrüge Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vollzog der Angeklagte in
der Nacht zum Ostersonntag des Jahres 1999 mit seiner damals
9jährigen Stieftochter, die ihn in seiner Wohnung besucht
hatte, unter Anwendung von Gewalt den Geschlechtsverkehr. Nach der Tat
befahl er dem Mädchen, niemandem von dem Vorfall zu
erzählen, und drohte, es zu töten, wenn es sich nicht
an seine Anweisung halten würde. In der Folgezeit hatten die
Geschädigte und der Angeklagte nur noch wenig Kontakt. Als sie
Ende des Jahres 2006 eine
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Praktikumsstelle in einem Altenheim antreten wollte und sich deshalb am
26. Oktober 2006 amtsärztlich untersuchen lassen musste,
traten bei ihr die Erinnerungen an die Tat wieder hervor, als der Arzt
sie aufforderte, sich freizumachen. Sie fiel in einen Schockzustand und
musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Ihrer Mutter
erklärte sie, Ursache ihres Zusammenbruchs sei die
verfahrensgegenständliche Tat gewesen. Am 30. Oktober 2006
erstattete dann die Mutter der Geschädigten Strafanzeige gegen
den Angeklagten.
Der Angeklagte hat die ihm vorgeworfene Tat bestritten; der Tatvorwurf
sei das Resultat einer Intrige seiner von ihm geschiedenen Ehefrau. Das
Landgericht folgte jedoch der Aussage der Geschädigten, auf
deren Angaben die Feststellungen zur Tat beruhen.
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2. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
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In einem Fall, in dem - wie hier - Aussage gegen Aussage steht und die
Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht
folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass
der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung
beeinflussen können, erkannt und in seine
Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO
§ 261 Beweiswürdigung 14, 17, 23, 29). Diesen
Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
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Nach den Urteilsfeststellungen machte das Tatopfer erstmals mehr als
sieben Jahre nach der Tat die zu der Anzeigeerstattung
führenden Angaben zu der Vergewaltigung durch den Angeklagten.
Die Jugendkammer meint, der Geschädigten sei eine
“seelische Aufarbeitung“ des
verfahrensgegenständlichen Vorfalls nicht möglich
gewesen, so dass sich bei ihr als Folge der Tat (UA 8, 17) eine
chronische Anpassungsstörung (ICD-10: F 43.2) gebildet habe,
die
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schließlich den zur Anzeigeerstattung führenden
Nervenzusammenbruch bei der amtsärztlichen Untersuchung im
Jahre 2006 ausgelöst habe. Nach der Beschreibung zu Kapitel
ICD-10: F 43.2 beginnt die von der Jugendkammer herangezogene
Störung im Allgemeinen innerhalb eines Monats nach dem
belastenden Ereignis und die Symptome halten meist nicht
länger als sechs Monate an (vgl. Dilling et al.,
Internationale Klassifikation psychischer Störungen - ICD 10
Kapitel V (F) 6. Aufl. [2008] S. 185). Hierzu verhält sich das
Urteil nicht. Hinzu kommt, dass die Geschädigte von ihrem
Freund N. schwanger wurde und mit 16 Jahren, also vor der
amtsärztlichen Untersuchung, einen Sohn zur Welt brachte (UA
9). Da davon auszugehen ist, dass die Vorbereitung der Geburt und die
Geburt selbst ärztlich begleitet wurden, hätte auch
erörtert werden müssen, warum es erst aufgrund der
amtsärztlichen Untersuchung und nicht schon durch die
ärztlichen Untersuchungen zuvor zu dem zur Anzeigeerstattung
führenden "Schockzustand" bei der Geschädigten kam.
Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden, wobei sich
die nunmehr erkennende Jugendkammer im Hinblick auf die Besonderheiten
des Sachverhalts sachverständiger Hilfe (vgl. hierzu BGH NStZ
2002, 490) bedienen sollte. Neben der Entstehungsgeschichte der
belastenden Aussage wird insbesondere auch den im Urteil angedeuteten
“psychischen Auffälligkeiten“ bei der
Geschädigten (UA 8, 12) nachzugehen sein. Falls es zu einer
erneuten Verurteilung des Angeklagten kommen sollte, werden das zur
Tatzeit
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geltende Strafgesetz anzuwenden und bei der Straffindung der inzwischen
eingetretene Zeitablauf zu berücksichtigen sein (vgl. BGH NStZ
2008, 234, 235 f.).
RiBGH Maatz ist wegen Kuckein Athing Urlaubs ortsabwesend und deshalb
verhindert zu unterschreiben.
Kuckein
Ernemann Mutzbauer |