BGH, Beschl. v. 12.2.2003 - 1 StR 501/02
1 StR 501/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
12. Februar 2003
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen schweren Raubes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 12. Februar 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Traunstein vom 9. August 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schweren Raubes zu
Freiheitsstrafen von jeweils fünf Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Ihre Revisionen haben mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Auf die weiteren Verfahrensrügen und die Sachbeschwerden kommt es
daher nicht mehr an.
1. Nach den Feststellungen läuteten die beiden Angeklagten und ein
unbekannter Mittäter an der Wohnungstür des Zeugen K. , um
diesen zu überfallen. Nachdem K. geöffnet hatte,
drängten sie ihn in die Wohnung zurück, wobei der vorne
stehende Täter ein Messer in der Hand hielt. Im Wohnzimmer
verlangte M. von K. die Herausgabe von Geld, worauf dieser ihm sein
Portemonnaie übergab, in dem sich 35, EUR befanden. M. nahm dieses
Geld an sich. Anschließend durchsuchten die Täter die
Wohnung und erbeuteten weitere ca. 215, EUR Bargeld sowie Schmuck im
Gesamtwert von mindestens 500, EUR .
2. Die Angeklagten haben sich unter anderem dahin eingelassen, sie
hätten am Tattage schon vor dem verfahrensgegenständlichen
Geschehen von K. zweimal kleinere Mengen Heroin erworben. Der erste
Kauf sei von der Zeugin Mi. vermittelt worden. Da das Rauschgift
keinerlei Wirkung gezeigt habe, hätten sie sich zu K. in dessen
Wohnung begeben, um ihn zur Rede zu stellen und nunmehr Heroin guter
Qualität zu erhalten.
Die Kammer ist demgegenüber der Schilderung des wegen
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorbestraften Zeugen K.
gefolgt, den sie für glaubwürdig hält und der angegeben
hat, dem für ihn völlig überraschenden Raubüberfall
sei kein Heroingeschäft vorausgegangen. Von Heroin sei keine Rede
gewesen. Seit seiner Verurteilung habe er mit Rauschgift nichts mehr zu
tun. Die drogenabhängige Zeugin Mi. hat in Abrede gestellt, den
Angeklagten Rauschgift bei K. besorgt zu haben.
3. Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung die Einvernahme der
örtlich zuständigen Polizeibeamten zum Beweis dafür
beantragt, daß die Wohnung K. s zur Tatzeit als möglicher
Drogenumschlagplatz auffällig gewesen sei und gegen die Zeugen K.
und Mi. Ermittlungen wegen Verdachts des Verstoßes gegen das BtMG
geführt worden seien. Diesen Beweisantrag hat die Strafkammer ohne
weitere Begründung teils als bedeutungslos (angeblicher
Drogenumschlagplatz), teils als für den Nachweis einer
Falschaussage der Zeugen völlig ungeeignet (Ermittlungen gegen K.
und Mi. ) zurückgewiesen.
Die Ablehnung des Beweisantrages verstößt gegen § 244
Abs. 3 Satz 2 StPO. Sie ist rechtsfehlerhaft, weil der
zurückweisende Beschluß, von der formelhaften Wiederholung
des Gesetzeswortlautes abgesehen, keine Begründung enthält.
Dieser Mangel wird auch dadurch nicht beseitigt, daß die Kammer
die Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache in den Urteilsgründen
auf Seite 49 etwas näher zu begründen sucht (vgl. BGHR StPO
§ 244 Abs.3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 11).
Das Urteil beruht auf dem Verfahrensverstoß. Zur Beurteilung der
Frage der Bedeutungslosigkeit ist die Beweistatsache so, als sei sie
erwiesen, in die Würdigung einzustellen (BGH NStZ 1997, 503;
Herdegen in KK 4. Aufl. § 244 Rdn. 74). Die unter Beweis
gestellten Behauptungen passen zu den entsprechenden Einlassungen der
Angeklagten hinsichtlich vorangegangener Heroingeschäfte. Sie sind
zudem geeignet, die Beurteilung der Glaubwürdigkeit insbesondere
des Zeugen K. zu beeinflussen. Denn wenn die Beweisbehauptungen
zuträfen, wäre dessen Darstellung, er habe mit
Rauschgiftgeschäften nichts mehr zu tun, in diesem zentralen Punkt
erschüttert und die Einlassung der Angeklagten gewönne
demgegenüber an Gewicht. Daran ändert die Erwägung der
Kammer, auch ein Drogenhändler oder Drogenkonsument könne
überfallen werden (UA S. 49), nichts. Hinzu kommt, daß die
Kammer ein mögliches Motiv für die Auswahl gerade K. s als
Raubopfer nicht auf eine hinreichend tragfähige tatsächliche
Grundlage zu stellen vermochte. Sie "geht davon aus", daß die
Täter nur aufgrund der Kenntnisse M. s über die T.
Drogenszene auf den Zeugen K. "gekommen sein können". Das erweist
sich aber - worauf schon die gewählte Formulierung hindeutet - als
bloße Vermutung (vgl. BGH StV 2002, 235; BGHR StPO § 261
Vermutung 11). K. hat selbst angegeben, die unmaskiert aufgetretenen
Täter seien ihm völlig unbekannt gewesen. Es sind auch sonst
keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, auf welche Weise M.
Erkenntnisse über das frühere oder - aus seiner Sicht - gar
fortwährende Wirken K. s als Drogenhändler gewonnen haben
könnte. Solche vermochte offenbar auch nicht die aus der T.
Drogenszene stammende Zeugin Mi. zu vermitteln, obwohl sie sowohl K.
als auch den Angeklagten aus dessen T. Zeit kannte. Die
Urteilsgründe teilen schließlich auch nicht mit, welcher
Sachverhalt der Verurteilung K. s wegen Verstoßes gegen das
Betäubungsmittelgesetz zugrundelag, so daß nicht
nachvollzogen werden kann, ob hier ein zeitlicher Zusammenhang mit dem
Aufenthalt M. s in T. möglich ist. Es blieb offen, ob M. den
Zeugen K. vor dem Tattag, sei es persönlich, sei es vom
Hörensagen, überhaupt kannte.
4. Der Verfahrensverstoß zieht die Aufhebung des gesamten
Schuldspruchs einschließlich der Feststellungen nach sich. Zwar
kann das Tatgeschehen auch unter Zugrundelegung der Einlassungen der
Angeklagten als einfacher, möglicherweise auch als schwerer Raub
zu bewerten sein, nachdem diese eingeräumt haben, dem Zeugen K.
nicht nur den Kaufpreis für das minderwertige Heroin, sondern auch
zwei Gramm Heroin ohne Bezahlung, weiteres Bargeld sowie Schmuck
abgenommen zu haben. Das festzustellen bleibt indessen dem neuen
Tatrichter vorbehalten.
5. Ergänzend zur Zuschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat weiter:
Soweit die Revision des Angeklagten G. im Hinblick auf die
unterbliebene Vereidigung der Zeugin Mi. einen Verstoß gegen
§ 60 Nr.2 StPO rügt, erscheint fraglich, ob der
Beschwerdeführer sich darauf berufen kann, nachdem er selbst auf
die Vereidigung der Zeugin verzichtet hat. Für Fallgestaltungen,
bei denen die Vereidigung wegen Verzichts der Beteiligten unterblieben
war (§ 61 Nr. 5 StPO), ist dies verneint worden, wenn lediglich
die Verzichtserklärung eines anderen Verfahrensbeteiligten fehlte
(vgl. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984, 209; Urteil vom 8. November
1983 - 5 StR 517/83 -; BGH, Beschluß vom 3. November 1998 - 4 StR
465/98 -). Ob diese Grundsätze auch Anwendung finden, wenn - wie
hier - die Staatsanwaltschaft die Vereidigung eines Zeugen beantragt
hat und dieser Antrag durch Gerichtsbeschluß zurückgewiesen
worden ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf |