BGH,
Beschl. v. 12.1.2001 - 2 ARs 355/00
2 ARs 355/00
GVG § 17; § 17 a
EGGVG § 23
Für Streitigkeiten über die von einem
Untersuchungsausschuß im Wege der Amtshilfe begehrte Einsicht
in staatsanwaltschaftliche Akten eines laufenden Ermittlungsverfahrens
ist der Rechtsweg nach § 23 EGGVG gegeben.
BGH, Beschluß vom 12. Januar 2001 - 2 ARs 355/00 - OLG
Frankfurt am Main
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 ARs 355/00
vom
12. Januar 2001
in dem Verfahren
Ministerium der Justiz,
Antragsgegner und Beschwerdeführer gegen
den 1. Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages,
- Verfahrensbevollmächtigter:
Antragssteller und Beschwerdegegner wegen Herausgabe der
vollständigen Ermittlungsakten
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts am 12. Januar 2001 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den
Beschluß des Oberlandesgerichts vom 24. Oktober 2000 wird
verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller hat beim Oberlandesgericht gemäß
§ 23 Abs. 2 EGGVG beantragt, den Antragsgegner zu
verpflichten, die vollständigen Akten
(einschließlich der Beweismittelordner) des
Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft gegen K. u. a. (Az.: 6 Js
3204/00: sogenannte " ") im Wege der Amtshilfe zur Einsicht zu
überlassen, zugleich hat er um vorläufigen
Rechtsschutz gebeten. Der Antragsteller ist der Auffassung,
für sein gerichtliches Rechtsschutzbegehren sei der Rechtsweg
nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet.
Der Antragsgegner hat die Zulässigkeit dieses Rechtsweges
gerügt. Er ist der Ansicht, die begehrte Maßnahme
liege nicht auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, weil die Herausgabe
der Ermittlungsakten nicht im Zusammenhang mit der
Ermöglichung oder geordneten Durchführung eines
Strafverfahrens stehe. Im übrigen handele es sich um ein
Amtshilfeersuchen nach Art. 44 Abs. 3 GG, ein Justizverwaltungsakt
werde nicht begehrt. Deshalb sei der Verwaltungsrechtsweg nach
§ 40 Abs. 1 VwGO gegeben.
Das Oberlandesgericht hat im Wege der Vorabentscheidung den zu ihm
beschrittenen Rechtsweg für zulässig erklärt.
Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit der zugelassenen fristgerecht
eingelegten sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig; Bedenken im Hinblick auf
§ 29 Abs.1 EGGVG stellt der Senat angesichts des Wortlautes
des § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG zurück. Es ist aber
unbegründet.
Das Oberlandesgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der
vom Antragsteller gewählte Rechtsweg nach §§
23 EGGVG zulässig ist.
1. Nach dieser Regelung entscheiden über die
Rechtmäßigkeit der Anordnungen, Verfügungen
oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden
zur Regelung einzelner Angelegenheiten unter anderem auf dem Gebiet der
Strafrechtspflege getroffen werden, auf Antrag die ordentlichen
Gerichte. Der besonderen Rechtswegregelung des § 23 Abs. 1
EGGVG liegt die Annahme zugrunde, daß den ordentlichen
Gerichten die Entscheidungen über die
Rechtmäßigkeit von Verwaltungsmaßnahmen
auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts, des Zivilprozesses,
der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege von der
Sache her näher stehen als den Gerichten der allgemeinen
Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die für bestimmte Sachgebiete
geltende Generalklausel des § 23 Abs. 1 EGGVG soll deshalb die
gerichtliche Kontrolle gewisser Maßnahmen aus der - sonst
nach § 40 Abs. 1 VwGO gegebenen - Zuständigkeit der
allgemeinen Verwaltungsgerichte herausnehmen und bewirken,
daß über die Rechtmäßigkeit
dieser Maßnahmen die Gerichte der sachnäheren
Gerichtsbarkeit entscheiden. Die Regelung soll zudem verhindern,
daß Gerichte zweier verschiedener Gerichtszweige
Verwaltungsstreitigkeiten desselben Rechtsgebietes entscheiden.
§ 23 EGGVG weist die Nachprüfung von Verwaltungsakten
und sonstigen Maßnahmen den ordentlichen Gerichten aber nur
dann zu, wenn die in Rede stehende Amtshandlung der
zuständigen Behörde funktional als spezifisch
justizmäßige Aufgabe auf einem der in § 23
Abs. 1 EGGVG genannten Rechtsgebiete anzusehen ist (BGHSt 44, 107, 112,
113; BGHZ 105, 395 ff.; vgl. zum Rechtsweg auch BVerwG NJW 2000, 160
ff., 162). Nicht genügend ist, daß von der
Maßnahme von der Strafjustiz hinzunehmende Folgen
für das Strafverfahren ausgehen, wie ein Vergleich mit
ähnlich gelagerten Fällen zeigt, z. B. bei der
Verweigerung einer sozialrechtlichen Auskunft für
strafprozessuale Zwecke nach § 68 SGB-X durch eine
Sozialbehörde, bei der auf § 5 Abs. 2 StUG
gestützten Sperrerklärung des Bundesbeauftragten
für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
ehemaligen DDR (BGHSt 44, 107, 116) oder bei dem Streit über
die Wirksamkeit einer Sperrerklärung im Rahmen von §
96 StPO (BGHSt 44, 107 ff.).
Das Begehren des Antragstellers stellt nach diesen Grundsätzen
eine Maßnahme zur Regelung einer Angelegenheit auf dem Gebiet
der Strafrechtspflege dar. Darunter sind nicht nur Tätigkeiten
zu verstehen, die sich als Strafverfolgung im engeren Sinne darstellen,
erfaßt werden auch die damit in Zusammenhang stehenden
allgemeinen und besonderen Tätigkeiten der
Justizbehörden zur Ermöglichung und geordneten
Durchführung der Strafverfolgung und Strafvollstreckung. Die
Verwaltung der in den verschiedenen Stadien des Strafverfahrens
anfallenden Akten und damit auch die Gewährung von Einsicht in
diese Akten einschließlich deren Herausgabe, die Erteilung
von Auskünften aus den Akten oder die Fertigung von
Ablichtungen und Abschriften gehört zu diesen
Maßnahmen, die nicht die Rechtsqualität eines
Verwaltungsaktes im technischen Sinne des § 35 VwVfG haben
müssen, es genügt schlichtes Verwaltungshandeln mit
unmittelbarer Außenwirkung (vgl. Kissel in KK 4. Aufl. Rdn.
20; Kleinknecht/Meyer-Goßner 44. Aufl. Rdn. 6 jeweils zu
§ 23 EGGVG m.w.N.).
Die Gewährung von Akteneinsicht in Strafsachen ist weitgehend
in der Strafprozeßordnung geregelt, so unter anderem
für Verteidiger (§ 147 StPO), für
Privatkläger und Nebenkläger (§§
385 Abs. 3, 397 Abs.1 Satz 2 StPO), für den Verletzten
(§§ 406 e Abs. 4 Satz 2 i.V. m. § 161 a Abs.
3 Satz 2 - 4 StPO; vgl. BGHSt 39,112 ff.) sowie verfahrensunbeteiligte
Dritte (vgl. die Neuregelung der §§ 474 ff. StPO
durch das StVÄG 1999 vom 2. August 2000 - BGBl. I 1253).
Ob sich die Pflicht zur Überlassung von Akten eines
Ermittlungsverfahrens an einen Untersuchungsausschuß des
Deutschen Bundestages unmittelbar aus Art. 44 GG oder aus dem
sinngemäß anzuwendenden § 474 Abs. 1 StPO
nF ergibt (so die Gesetzesmaterialien zum StVÄG 1999 -
BtDrucks. 14/1484 S. 26) kann hier offenbleiben. Die
"Anspruchsgrundlage" für das geltend gemachte Begehren liefert
zwar gewichtige Anhaltspunkte für seine rechtliche Einordnung,
ist aber nicht allein entscheidend.
Die Frage der Zuständigkeit für Streitigkeiten
über den Antrag eines Untersuchungsausschusses auf
Aktenüberlassung ist deshalb nach den allgemeinen
Rechtswegregeln zu entscheiden, die für den vorliegenden Fall
die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach
§§ 23 ff. EGGVG ergeben. Zwar wird für
Streitigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der Tätigkeit
parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ergeben, abgesehen
von solchen, die in die Zuständigkeit des
Bundesverfassungsgerichts fallen, grundsätzlich der Weg zu den
Verwaltungsgerichten eröffnet sein, die für
öffentlich-rechtliche Streitigkeiten
nichtverfassungsrechtlicher Art gemäß § 40
VwGO zuständig sind. Das betrifft aber nicht alle
Streitigkeiten, die mit der Tätigkeit des
Untersuchungsausschusses in Zusammenhang stehen (vgl. BVerfGE 67, 100
ff.; 76, 363 ff.; 77, 1 ff.; BVerwG NJW 1988, 1924 ff.; 2000, 160 ff.;
HbgVerfG NVwZ 1996, 1201 ff.; OVG Münster NVwZ 1990, 1083 m.
Anm. Kästner JuS 1993, 109 ff.; NJW 1999, 80 f.; FG
München NVwZ 1994, 100 ff.; vgl. auch Richter, Privatpersonen
im parlamentarischen Untersuchungsausschuß 1991 S. 24 ff.; S.
124 ff.).
Die begehrte Aktenherausgabe betrifft hier die Akten eines laufenden
Ermittlungsverfahrens. Schon dies spricht dafür, daß
die Entscheidung darüber, ob diese herauszugeben sind, eine
Maßnahme der Strafrechtspflege im Rahmen von § 23
EGGVG ist (vgl. Böttcher in Löwe-Rosenberg, StPO, 25.
Aufl. Rdn. 27; Katholnigg Strafgerichtsverfassungsrecht 3. Aufl. Rdn.
17 b jeweils zu § 23 EGGVG; Kleinknecht/Meyer-Goßner
aaO Rdn. 40; Laufhütte aaO Rdn. 21 jeweils zu § 147
StPO; OLG Karlsruhe NStZ 1994, 50; OLG Celle WM 1992, 804 ff. m. Anm.
Stützle in WUB VII C § 23 EGGVG 1.92; KG NJW-RR 1991,
1085). Denn nur die Strafverfolgungsbehörden sind in der Lage,
eine sachgemäße Entscheidung über
Akteneinsicht oder Aktenüberlassung zu treffen, da nur sie auf
Grund ihrer Befassung mit dem Verfahren eine Abwägung der
entscheidungserheblichen Gesichtspunkte vornehmen können.
Akteneinsicht kann im Einzelfall unmittelbare Auswirkungen auf den Gang
der Ermittlungen und das Ermittlungsergebnis selbst haben. Diesem
Umstand trägt das Gesetz z.B. in § 147 Abs. 2 StPO
Rechnung, indem es die Staatsanwaltschaft ermächtigt, sogar
dem Verteidiger vor Abschluß der Ermittlungen Akteneinsicht
zu verweigern, wenn durch eine Aktenausfolge eine Gefährdung
des Untersuchungserfolges zu besorgen ist (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Rdn. 21 zu § 147 StPO).
Derartige Überlegungen und Entscheidungen berühren
wie jene nach § 147 Abs. 2 StPO - jedenfalls bei noch nicht
abgeschlossenen Ermittlungsverfahren - den Kernbereich der
Strafrechtspflege und können allgemeinem Verwaltungshandeln
nicht gleichgestellt werden. Die gerichtliche
Überprüfung muß deshalb sowohl aus
Gründen der systematischen Einordnung als auch aus
Gründen der Sachnähe der ordentlichen Gerichtsbarkeit
vorbehalten bleiben.
Daß die Herausgabe der Ermittlungsakten hier
ausschließlich zur Wahrnehmung des Auftrages des
Untersuchungsausschusses dient (vgl. dazu auch BVerwG NJW 2000, 162),
ändert an der Bewertung nichts (anders OLG Koblenz NVwZ 1986,
575). Entscheidend ist nicht der Zweck, dem die Maßnahme
dienen soll, sondern die funktionelle Einordnung der Maßnahme
im Rechtsgefüge.
2. Die Eigenschaft der begehrten Akteneinsicht als eines
Justizverwaltungsakts wird auch nicht, wie der
Beschwerdeführer unter Hinweis auf
Äußerungen im Schrifttum meint, dadurch in Frage
gestellt, daß der Antragsteller die Akteneinsicht im Wege der
Amtshilfe nach Art. 44 Abs. 3 GG begehrt.
Daß Amtshilfe den Rechtsweg nach § 23 EGGVG
ausschließt (so Kissel in KK 4. Aufl. Rdn. 23; 25, 53), mag
im Verhältnis von Behörden zueinander insbesondere
dann gelten, wenn sie unter der Aufsicht derselben Stelle stehen. So
liegen die Dinge hier jedoch nicht. Hinzu kommt, daß im
vorliegenden Fall der Antragsgegner nicht etwa seine Pflicht zur
Leistung von Amtshilfe als solche in Abrede stellt. Streitgegenstand
ist vielmehr die vollständige Aktenherausgabe.
3. Das Ministerium der Justiz ist auch Justizbehörde i. S. des
§ 23 EGGVG. Es ist die höchste Behörde der
Justizverwaltung des Landes (vgl. § 147 Nr. 2 GVG) und ist in
dieser Eigenschaft auch bei der in Streit befindlichen Aktenvorlage
tätig geworden, zumal die strafrechtlichen Ermittlungsakten,
deren Herausgabe begehrt wird, sich derzeit in Verwahrung und Obhut des
Ministeriums der Justiz als vorgesetzter Behörde der
Staatsanwaltschaft befinden.
Das Oberlandesgericht hat deshalb zu Recht den Rechtsweg nach
§ 23 EGGVG als gegeben angesehen.
Jähnke Detter Otten |