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BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 12.1.2010 - 3 StR 436/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 436/09
vom
12. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 12. Januar 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1, § 206 a Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 22. Juni 2009 wird das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen exhibitionistischer Handlungen (Fall II. 1. der Urteilsgründe) verurteilt worden ist.
Im Umfang der Einstellung hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer Serie von 13 Sexualdelikten sowie wegen eines Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten verurteilt, die Sicherungsverwahrung angeordnet und Entscheidungen im Adhäsionsverfahren getroffen. Die
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auf eine Beanstandung des Verfahrens und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Die Verurteilung wegen exhibitionistischer Handlungen im Fall II. 1. der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Tat ist am 5. Juli 2004 begangen worden. Sie ist mit einer Strafe bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht (§ 183 Abs. 1 StGB), die Verjährungsfrist beträgt damit drei Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB). Der Angeklagte ist erst nach seiner Festnahme Mitte Dezember 2008 als Täter ermittelt worden. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat bereits verjährt.
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2. Die Einstellung des Verfahrens führt zum Wegfall der Einzelgeldstrafe von 90 Tagessätzen. Davon sind weder die Einzelstrafen für die anderen, überwiegend gravierenden Taten noch die Gesamtstrafe berührt.
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3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf allein die erhobene Verfahrensrüge, mit der die Ablehnung eines Beweisantrags auf Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen beanstandet wird. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige sein Gutachten erstattet hatte, hat die Verteidigung beantragt, "hilfsweise für den Fall, dass die erkennende Kammer entgegen der Einschätzung des Sachverständigen Dr. B. zu dem Ergebnis kommt, dass bei dem Angeklagten ein Hang zu Begehung von Straftaten i. S. d. § 66 StGB vorliegt und auch die übrigen Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung gegeben sind, ein weiteres Sach-
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verständigengutachten zur Frage eines Hanges des Angeklagten zu weiteren erheblichen Straftaten einzuholen." Mit dem Gutachten solle einer von zwei namentlich benannten Psychiatern beauftragt werden, die als "anerkannte Kapazitäten auf dem Gebiet der Feststellung eines ‚Hanges’" überlegene Forschungs- und Erkenntnismittel erworben hätten. Durch das Gutachten seien deshalb "weitergehende und intensive Erkenntnisse" zu erwarten.
Die Strafkammer hat den Antrag abgelehnt und dies damit begründet, sie habe durch die Anhörung des Sachverständigen ausreichende eigene Sachkunde erlangt. Dass der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen sei, die Sicherungsverwahrung "könne nicht empfohlen werden", beruhe lediglich darauf, dass er der unzutreffenden Auffassung sei, ein Hang sei deshalb nicht anzunehmen, weil der Angeklagte nur einen Teil der von Habermeyer und Saß aus der Literatur (ersichtlich: Habermeyer/Saß Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) zusammengestellten Kriterien erfülle und weil der Sachverständige den rechtlich verfehlten Schluss gezogen habe, die Gefährlichkeit könne deshalb nicht festgestellt werden, weil nicht sicher vorherzusagen sei, dass der Angeklagte auch nach einer Therapie rückfällig werde.
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Der Beschwerdeführer ist unter Berufung auf die Entscheidung des Senats BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Zweitgutachter 7 (3 StR 240/04) der Ansicht, der Antrag hätte "nur dann" abgelehnt werden können, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen sei. Da der frühere Gutachter einen Hang des Angeklagten indes ausdrücklich verneint habe, hätte der Beweis erhoben werden müssen.
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Die Rüge zeigt einen Rechtsfehler nicht auf.
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a) Es erscheint bereits in zweifacher Weise zweifelhaft, ob es sich vorliegend überhaupt um einen Beweisantrag handelt. Zum einen könnte es schon deshalb an einer bestimmten Beweisbehauptung fehlen, weil die Anhörung eines weiteren Sachverständigen nur "zur Frage eines Hanges des Angeklagten" beantragt worden ist. Zum anderen handelt es sich bei dem Hang im Sinne des § 66 StGB um einen Rechtsbegriff, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 2). Dass bei dem Angeklagten kein Hang vorliegt, kann allenfalls das Beweisziel sein, also die Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus dem beantragten Sachverständigengutachten ziehen soll (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 244 Rdn. 98 - für die Behauptung, bei der Tat hätten "die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB" vorgelegen). Insofern hätte das Bestehen oder das Fehlen bestimmter tatsächlicher Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten oder in den Taten behauptet werden müssen.
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b) In jedem Fall hat das Landgericht den Antrag ohne Rechtsfehler abgelehnt. Die Revision verkennt im Ansatz, dass die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Erwiesenheit des Gegenteils der behaupteten Tatsache (§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO) nur ein weiterer, allein für den Sonderfall eines Antrags auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen geltender Zurückweisungsgrund ist, der die übrigen Gründe des § 244 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 StPO nicht ausschließt. Die Ablehnung des Antrags unter Berufung auf die eigene Sachkunde ist dem Tatrichter deshalb möglich, auch wenn ihm diese erst durch den zunächst vernommenen Sachverständigen vermittelt worden ist und selbst dann, wenn er diesem Gutachter nicht folgen will (vgl. Becker aaO Rdn. 326 m. w. N.).
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Revision zitierten Entscheidung des Senats BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Zweitgutachter 7. In
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dem dort zugrunde liegenden Fall hatte sich der Tatrichter bei der Ablehnung des Antrags auf Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen auf den Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützt, obwohl der erste Gutachter gerade keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Hangs gefunden hatte. Eigene Sachkunde hatte die Strafkammer erkennbar nicht für sich in Anspruch genommen, so dass auch ein - bei Hilfsbeweisanträgen für das Revisionsgericht mögliches - Austauschen des Ablehnungsgrunds nicht in Betracht kam.
Vorliegend hat das Landgericht eigene Sachkunde, erworben aus dem ausführlichen Gutachten des gehörten Sachverständigen, in Anspruch genommen (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) und diese in den Urteilsgründen ausreichend dargelegt. Es hat zutreffend sowohl die Delinquenzentwicklung beim Angeklagten als progredient eingeschätzt als auch für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abgestellt und dabei den Mutmaßungen des Sachverständigen zum Erfolg einer notwendigen Therapie keine rechtliche Bedeutung beigemessen.
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Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer


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