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BGH, Beschluss vom 12. Juli 2005 - 4 StR 170/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 12.7.2005 - 4 StR 170/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 170/05
vom
12.7.2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu Nr. 1. Diebstahls mit Waffen u. a.
zu Nr. 2. Anstiftung zum Diebstahl mit Waffen u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 12.07.2005 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Aachen vom 16. Dezember 2004 mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Diebstahls mit Waffen
in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlicher
Gefährdung des Straßenverkehrs, Nötigung, gefährlicher Körperverletzung
und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen unerlaubten
Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im
Verkehr und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es seine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie eine Sperre für die Erteilung
einer Fahrerlaubnis für immer angeordnet. Den Angeklagten F. hat es wegen
Anstiftung zum Diebstahl mit Waffen und zur vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr
zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt.
- 3 -
Die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben
Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen hatten der Angeklagte M. , der "seit vielen
Jahren unter einer schweren Alkoholabhängigkeit" leidet, und der Angeklagte
F. in der vorangegangenen Nacht und am Vormittag des Tattages in erheblichem
Umfang Alkohol getrunken. Dabei hatte der Angeklagte M. zum
Öffnen der Bierflaschen den Flaschenöffner an dem von ihm stets in einer Tasche
seiner Kleidung mitgeführten Taschenmesser (Klingenlänge etwa 4,5 cm)
verwendet. Als die Angeklagten an einem vorübergehend am Fahrbahnrand
abgestellten Klein-Lkw vorbeigingen, bemerkte der Angeklagte F. , dass in
dem nicht verschlossenen Fahrzeug der Zündschlüssel steckte. Er hatte spontan
die Idee, mit dem Fahrzeug auf schnelle und bequeme Weise von W.
nach D. zurückgelangen zu können, traute sich jedoch nicht, das
Fahrzeug selbst zu entwenden. Er wies den Angeklagten M. , um diesen zur
Entwendung des Fahrzeugs zu veranlassen, auf den steckenden Zündschlüssel
hin. Um dem Angeklagten F. zu beweisen, dass er im Gegensatz zu
diesem "über die nötige Courage verfügte", ging der Angeklagte M. , der
keine Fahrerlaubnis hat, zu dem Lkw zurück, stieg ein und fuhr geradeaus davon.
Dabei war ihm bewusst, dass er aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung
- seine Blutalkoholkonzentration betrug drei Stunden und zehn Minuten
nach der Tat noch 2,82 ‰ - nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen.
Nach einer Fahrtstrecke von etwa 60 bis 70 Metern hielt der Angeklagte
M. das Fahrzeug am Beginn einer lang gezogenen Linkskurve an, um den
Angeklagten F. zusteigen zu lassen. Dem Zeugen G. , der die Ent-
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wendung seines Fahrzeugs bemerkt hatte, gelang es, den Lkw einzuholen. Er
stellte sich vor den Lkw und legte beide Hände auf die Motorhaube des Fahrzeugs,
um eine Weiterfahrt zu unterbinden. Der Angeklagte M. gab zunächst
kurz und kräftig Gas, um dem Zeugen Angst einzuflössen und ihn zu
veranlassen, den Weg freizugeben. Als der Zeuge darauf nicht reagierte, fuhr
der Angeklagte M. mit heulendem Motor ruckartig und zügig an. Er wollte
den Zeugen G. "zwar nicht gezielt anfahren", rechnete aber damit, dass
dieser von der Vorderfront des Lkw erfasst werden könnte, und nahm dies "jedenfalls
billigend in Kauf". Der Zeuge G. , der versuchte auszuweichen,
wurde vom Lkw erfasst, zur Seite weggeschleudert und erlitt in Folge des Sturzes
Prellungen und Schürfwunden. Der Angeklagte M. setzte seine Fahrt
fort, weil er sich "fluchtartig vom Ort des Geschehens entfernen wollte“. Nach
einer Fahrtstrecke von 150 bis 200 Metern stellte er den Lkw mit laufendem
Motor auf einer Garagenzufahrt eines Grundstücks ab, weil die Angeklagten
nach Entdeckung des Diebstahls und wegen des Unfalls mit der umgehenden
Einleitung einer Fahndung rechneten und die Fortsetzung der Flucht mit dem
Lkw deshalb für zu riskant hielten.
II.
Das Urteil hat insgesamt keinen Bestand.
1. Die Verurteilung des Angeklagten M. begegnet durchgreifenden
rechtlichen Bedenken, soweit es die Schuldsprüche wegen Diebstahls mit Waffen
und vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und die Beurteilung
der Konkurrenzen betrifft.
- 5 -
a) Dass der Angeklagte M. bei dem Diebstahl des Lkw den Qualifikationstatbestand
des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB verwirklicht hat, ist durch bisherige
Feststellungen nicht belegt.
Allerdings steht die Annahme des Landgerichts, dass ein Taschenmesser
ein sonstiges gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift ist, im Einklang
mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach
sind Messer, sofern sie nicht schon dem Waffenbegriff unterfallen, generell als
"gefährliche Werkzeuge" einzustufen (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 265 m.w.N.).
Ob dies grundsätzlich ungeachtet der Größe und der eigentlichen Bestimmung
als Gebrauchsgegenstand eines solchen Messers auch für Taschenmesser in
der Art von Schweizer Offiziersmessern gilt (vgl. BGHSt 43, 266, 268 zu § 30 a
Abs. 2 Nr. 2 BtMG; vgl. auch BayObLGSt 2000, 38, 39; OLG Schleswig NStZ
2004, 212, 214) oder ob es im Hinblick darauf, dass sich das Mitsichführen eines
solchen Taschenmessers als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens
als sozialadäquates Verhalten darstellt, einer einschränkenden Auslegung des
Begriffs des gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB
bedarf (vgl. OLG Braunschweig NJW 2002, 1735; OLG Frankfurt StV 2002,
145; für (kleinere) Taschenmesser ausdrücklich offen gelassen in BGH StV
2002, 191, NStZ-RR 2003, 12; zu den hierzu vertretenen Lösungsansätzen vgl.
Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 244 Rdn. 8 ff.), braucht der Senat hier nicht
zu entscheiden. Jedenfalls ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte
M. das Messer im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB bei sich geführt
hat.
Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass sich die Angeklagten bei der
Tatausführung dessen bewusst waren, dass der Angeklagte M. sein Ta-
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schenmesser in einer Tasche seiner Kleidung bei sich hatte. Hierzu hätte es
aber näherer Ausführungen bedurft, denn das Tatbestandsmerkmal des "Beisichführens"
ist nur dann erfüllt, wenn der Täter das gefährliche Werkzeug bei
der Tatausführung "bewusst gebrauchsbereit" bei sich hatte (vgl. BGH NStZRR
2003, 12, 13 m.w.N.). Ein entsprechendes Bewusstsein liegt aber beim
Beisichführen eines Taschenmessers mit einer Klingenlänge von nur 4, 5 cm
namentlich dann, wenn ein solches Messer - wie hier festgestellt - vor der
spontan begangenen Tat „ständig“ (nur) zum Öffnen von Bierflaschen benutzt
wurde, nicht auf der Hand (vgl. BGH aaO m.w.N.). Hinsichtlich der subjektiven
Tatseite hätte es zudem einer Auseinandersetzung damit bedurft, dass die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten M. alkoholbedingt erheblich vermindert
war.
b) Auch die Annahme einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen ergeben nämlich
nicht, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angeklagten M. ursächlich
für die Gefährdung des Tatopfers im Sinne des § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a
StGB war. Vielmehr hat der Angeklagte den Lkw bewusst und gezielt eingesetzt,
um den Zeugen G. zu veranlassen, ihm den Weg freizugeben und
dabei mögliche Verletzungen des Zeugen billigend in Kauf genommen. Bei einer
solchen Sachlage scheidet die Annahme einer Straßenverkehrsgefährdung
neben dem hier vorliegenden vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach
§ 315 b StGB aus (vgl. BGHR StGB § 315 c Konkurrenzen 1). Soweit es die
alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angeklagten M. betrifft, ist deshalb
nur eine vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB gegeben.
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c) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die Annahme
zweier rechtlich selbstständiger Taten des Angeklagten M. . Das Landgericht
hat zwar, was den Angeklagten nicht beschwert, eine Strafbarkeit wegen
schweren räuberischen Diebstahls gemäß § 252 i.V.m. §§ 249, 250 Abs. 2
Nr. 1 StGB verneint, weil zu Gunsten des Angeklagten M. davon auszugehen
sei, dass er die Fahrt mit dem Lkw allein in dem Bestreben fortsetzte, sich
durch rasche Flucht einer Identifizierung als Fahrzeugdieb und sofortigen oder
späteren Ergreifung zu entziehen. Wird aber eine solche Absicht lediglich nach
dem Zweifelsgrundsatz verneint, ist bei der Beurteilung der Konkurrenzen in
erneuter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von einer solchen Absicht auszugehen
und Tateinheit zwischen allen bis zur Beendigung des Diebstahls verletzten
Strafgesetzen anzunehmen (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro
reo 1), weil Handlungen, die nach der rechtlichen Vollendung eines Diebstahls,
aber vor seiner tatsächlichen Beendigung vorgenommen werden und zugleich
weitere Strafgesetze verletzen, Tateinheit begründen, wenn sie (auch) der von
§ 252 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Absicht dienen (vgl. BGH StraFo 1999,
100, 101 m.w.N.).
2. Die Verurteilung des Angeklagten F. begegnet durchgreifenden
rechtlichen Bedenken nur, soweit ihn das Landgericht der Anstiftung zum Diebstahl
mit Waffen schuldig gesprochen hat, weil aus den oben genannten Gründen
nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist, dass dieser den Angeklagten M.
dazu bestimmen wollte, das Taschenmesser bei dem Diebstahl im Sinne des
§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB bei sich zu führen. Im übrigen ist die Annahme des
Landgerichts, der Angeklagte habe den Angeklagten M. zum Diebstahl und
zur vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr angestiftet, entgegen der Auffassung
der Revision rechtlich nicht zu beanstanden.
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3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils. Zur
Vermeidung von Widersprüchen werden auch die Feststellungen zum äußeren
Tatgeschehen aufgehoben.
4. Der neue Tatrichter wird bei der erneuten Prüfung einer Strafbarkeit
des Angeklagten M. wegen eines tateinheitlich begangenen (schweren) räuberischen
Diebstahls zu beachten haben, dass die gemäß § 252 Abs. 1 StGB
erforderliche Absicht, sich den Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, nicht
der einzige Beweggrund des Täters für die Gewaltanwendung oder den Einsatz
des Nötigungsmittels sein muss, sondern dass tatbestandsmäßig im Sinne der
genannten Vorschrift auch handelt, wer sich der Strafverfolgung entziehen,
gleichzeitig aber auch das Diebesgut verteidigen will (vgl. BGH NStZ 2000,
530, 531 m.w.N.). Dies kann insbesondere dann nahe liegen, wenn aus der
Sicht des Täters - wie hier - das entwendete Fahrzeug zunächst weiterhin benötigt
wird, um sich einen Vorsprung zu verschaffen.
Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte M. nach den bisherigen Feststellungen
"seit vielen Jahren unter einer schweren Alkoholabhängigkeit" leidet,
wird bei der Prüfung einer Versagung der Strafrahmenverschiebung nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu beachten sein, dass sie dann nicht in Betracht
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kommt, wenn der Täter aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend
beherrschenden Hanges trinkt (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung
33, 35).
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