BGH,
Beschl. v. 12.6.2001 - 4 StR 174/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 174/01
vom
12. Juni 2001
in der Strafsache gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. Juni
2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Frankfurt (Oder) vom 11. Dezember 2000
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit
fahrlässigem gefährlichen Eingriff in den
Straßenverkehr und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort
schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
- allgemeine - Strafkammer des Landgerichts Cottbus
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge in Tateinheit mit (fahrlässigem)
gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er
das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts
rügt. Das Rechtsmittel führt hinsichtlich der
Verurteilung wegen der Tötung des Falco L. zur
Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des gesamten
Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen in Tateinheit mit
fahrlässigem gefährlichen Eingriff in den
Straßenverkehr begangener Körperverletzung mit
Todesfolge hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung
nicht stand. Die Feststellungen ergeben nämlich - wie die
Revision zu Recht einwendet - nicht, daß der Angeklagte eine
für den Tod des Falco L. ursächliche
tatbestandsmäßige Körperverletzungshandlung
begangen hat. Auf die Aufklärungsrüge, mit der sich
die Revision im Ergebnis gegen die Annahme einer
Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB wendet,
kommt es mithin nicht an.
Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte im Rahmen einer
tätlichen Auseinandersetzung "dem mit dem Rücken zur
Fahrbahn stehenden Falco L. einen Schlag auf den Brustkorb ... . Falco
L. verlor dadurch das Gleichgewicht und stolperte - sich zwei Schritte
rückwärts bewegend - auf die Straße".
Dadurch geriet er vor ein vorbeifahrendes Taxi, von dem er, "aufrecht
auf der Straße stehend", erfaßt wurde, wodurch er
schwerste Verletzungen erlitt, denen er noch am selben Abend erlag.
Die Schwurgerichtskammer sieht in dem "Schlag vor die Brust" eine
"körperliche Mißhandlung i.S.v. § 223 Abs.
1 StGB". Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nicht
jeder vorsätzliche Schlag oder Stoß, der das Opfer
trifft, stellt eine tatbestandliche Körperverletzungshandlung
dar (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1977 - 2 StR 540/77). Zwar geht
das Landgericht von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab
aus (vgl. BGHSt 14, 269 f.; 25, 277 f.). Seine Wertung, der Schlag vor
die Brust sei "ein übles, unangemessenes Behandeln, das
zumindest das körperliche Wohlbefinden des Falco L. nicht nur
unerheblich beeinträchtigte" (UA 47), wird jedoch von den
getroffenen Feststellungen nicht getragen. Über die
körperliche Beeinträchtigung des
Geschädigten durch den "Schlag vor die Brust" verhält
sich das angefochtene Urteil nicht. Den Feststellungen kann auch nicht
entnommen werden, daß der Angeklagte den Schlag gegen den
Geschädigten mit besonderer Kraft ausführte.
Feststellbare Verletzungen hat der Schlag nicht verursacht (UA 37).
Auch kann daraus, daß der Geschädigte infolge des
Schlages zwei Schritte rückwärts "stolperte", nicht
auf eine besondere Heftigkeit des Schlages geschlossen werden, zumal
hierbei auch der Umstand zu berücksichtigen war, daß
Falco L. mit einer BAK von über 2 % erheblich alkoholisiert
war und zudem unter dem Einfluß von Haschisch stand. Bei
dieser Sachlage kann dem Angeklagten eine durch den Schlag vor die
Brust des Geschädigten begangene Körperverletzung im
Sinne des § 223 StGB nicht angelastet werden (vgl. OLG
Köln StV 1985, 17; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl.
§ 223 Rdn. 4 m.w.N.). Dies steht zugleich einer Verurteilung
wegen Körperverletzung mit Todesfolge entgegen. Vielmehr kommt
insoweit nur eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger
Tötung (§ 222 StGB) - hier in Tateinheit mit dem
rechtsfehlerfrei festgestellten fahrlässigen
gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (sog.
Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeits-Kombination nach
§ 315 b Abs. 5 StGB) - in Betracht.
Der Senat schließt bei der gegebenen Beweislage aus,
daß sich aufgrund neuer Hauptverhandlung Feststellungen
treffen lassen, die eine Verurteilung wegen Körperverletzung
mit Todesfolge tragen könnten. Er ändert deshalb den
Schuldspruch. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der
Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen
können.
2. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung
des gesamten Strafausspruchs. Zwar betrifft der aufgezeigte
Rechtsfehler unmittelbar nur die wegen Körperverletzung mit
Todesfolge verhängte Einsatzstrafe von vier Jahren drei
Monaten Freiheitsstrafe. Der Senat hebt jedoch auch die wegen
unerlaubten Entfernens vom Unfallort verhängte
Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten auf, weil nicht
auszuschließen ist, daß sie durch die
rechtsfehlerhafte Bewertung der zum Tode des Falco L.
führenden Tat beeinflußt ist.
Über die Strafbemessung ist deshalb insgesamt neu zu befinden.
Insoweit weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß die
Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil in
mehrfacher Hinsicht rechtlichen Bedenken begegnen: Die
strafschärfende Wertung des "jugendliche(n) Alter(s) des
getöteten Opfers" (UA 60) steht - worauf bereits der
Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift hingewiesen hat - nicht
mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang, wonach der
strafrechtliche Schutz des Lebens Wertabstufungen
grundsätzlich nicht zuläßt. Indem die
Schwurgerichtskammer "aufgrund des nicht feststellbaren Motivs des
Angeklagten" von einem "nichtige(n) Anlaß der Vorgehensweise
des Angeklagten gegen Falco L." ausgeht (UA 60) und dies ebenfalls
strafschärfend wertet, hat sie den auch bei der Strafzumessung
geltenden Zweifelsgrundsatz außer acht gelassen. Nicht
erklärlich ist ferner, daß das Landgericht unter den
strafschärfend gewerteten Vorverurteilungen diejenige wegen
schwerer räuberischer Erpressung als "einschlägig"
berücksichtigt hat (UA 60). Schließlich wird der
neue Tatrichter zu beachten haben, daß die vom Landgericht
ohne nähere Ausführungen berücksichtigten
"generalpräventive(n) Erwägungen" (UA 61) die
Notwendigkeit allgemeiner Abschreckung für den
Gemeinschaftsschutz voraussetzen (st. Rspr.; BGHR StGB § 46
Abs. 1 Generalprävention 3). Die Besonderheiten dieses Falles
lassen nicht ohne weiteres zu, diesem Gesichtspunkt bei der
Strafzumessung Rechnung zu tragen, zumal das Landgericht dem
Angeklagten zugute gehalten hat, daß es zunächst das
Tatopfer war, das ihn "politisch ´agitiert`und ... beleidigt
hat" (UA 59 f.).
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs.
2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an das
Landgericht Cottbus zurück. Zugleich verweist er die Sache
dort an eine allgemeine Strafkammer, nachdem nach der Änderung
des Schuldspruchs durch den Senat eine Zuständigkeit der
Schwurgerichtskammer nicht mehr gegeben ist.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Solin-Stojanovic Ernemann
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