BGH,
Beschl. v. 12.6.2002 - 5 StR 221/02
5 StR 221/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 12. Juni 2002
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 12. Juni 2002
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 29. Januar 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu drei
Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die mit der Sachrüge
begründete Revision des Angeklagten hat einen Teilerfolg. Sie
ist zum Schuldspruch und, soweit das Schwurgericht die Anordnung von
Maßregeln nach § 63 und § 64 StGB abgelehnt
hat, unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Hingegen
hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Prüfung
nicht stand.
Die Strafrahmenwahl des Schwurgerichts, das die Strafe mit
Rücksicht auf den Versuch und die erheblich verminderte
Schuldfähigkeit des Angeklagten dem nicht weiter gemilderten
Strafrahmen des § 213 StGB (zweite Alternative) entnommen hat,
erweist sich als rechtsfehlerhaft. Nach den rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen hätten die Voraussetzungen eines
minder schweren Falles des Totschlages gemäß der
ersten Alternative des § 213 StGB nicht verneint werden
dürfen.
Der Geschädigte hatte dem Angeklagten einen heftigen Schlag in
das Gesicht versetzt, ihm dabei eine mit Schmerzen verbundene
Beschädigung seiner Zahnprothese zugefügt und ihn
anschließend vor sich hergetrieben, um ihn in eine
Schlägerei zu verwickeln. Danach hat das Schwurgericht
für die Tatzeit zutreffend eine objektive Notwehrlage bejaht,
für den mit bedingtem Tötungsvorsatz
geführten Messerstich in den Hals des Geschädigten
indes mangels Verteidigungswillens des Angeklagten, zudem mangels
Erforderlichkeit dieses Messereinsatzes eine Rechtfertigung wegen
Notwehr verneint. Mithin durfte vor dem Hintergrund der im Rahmen der
Erörterungen zu § 21 StGB rechtsfehlerfrei
angestellten Erwägung, daß der Geschädigte
den ohnehin aktuell psychisch beeinträchtigten, sonst eher
friedfertigen und zurückhaltenden Angeklagten letztlich durch
sein Verhalten in einen die Tat motivierenden Konflikt gebracht hatte,
eine Mißhandlung gemäß der ersten
Alternative des § 213 StGB nicht verneint werden. Die in
diesem Zusammenhang angestellten ablehnenden Überlegungen des
Schwurgerichts sind zu Unrecht allein auf den Schlag
beschränkt; das unmittelbar anschließende
aggressive, auf weitere nicht gerechtfertigte
Gewalttätigkeiten gerichtete Verhalten des
Geschädigten durfte nicht ausgeklammert werden. Dessen
Gesamtverhalten erfüllte ohne weiteres die Voraussetzungen der
ersten Alternative des § 213 StGB. Dies gilt umso mehr, als es
für die Annahme einer Mißhandlung im Sinne der
Vorschrift nicht einmal eines Körperverletzungserfolges bedarf
(BGHR StGB § 213 1. Alt. Mißhandlung 4 und 5; BGH,
Beschl. vom 14. Mai 2002 - 5 StR 119/02).
Danach wäre eine zweimalige Milderung des allein hiernach
zwingend anzunehmenden Ausnahmestrafrahmens des § 213 StGB
über § 49 Abs. 1 StGB, sowohl nach § 21 StGB
als auch nach § 23 Abs. 2 StGB, in Betracht gekommen. Der
Senat weist darauf hin, daß die vom Schwurgericht im Rahmen
seiner Strafrahmenwahl gegen eine Strafrahmenreduzierung nach
§ 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB angeführten
Erwägungen trotz der Gefährlichkeit der Tat
bedenklich sind; dies gilt im Blick auf die weiteren
versuchsspezifischen strafmildernden Faktoren, nämlich den
lediglich bedingten Tötungsvorsatz, das - wenngleich wegen des
beendeten Versuchs nicht rücktrittsrelevante -
bewußte Abstandnehmen von weiteren möglichen
Messerattacken und das gänzliche Ausbleiben relevanter
Spätfolgen der Tat.
Der Aufhebung von Feststellungen nach § 353 Abs. 2 StPO bedarf
es nicht. Der neue Tatrichter wird allein auf der Grundlage
sämtlicher bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen
- die allenfalls durch weitergehende widerspruchsfreie Feststellungen
ergänzt werden dürfen - die Ermessensentscheidungen
nach § 21 StGB und § 23 Abs. 2 StGB über
mögliche weitere Reduzierungen des Strafrahmens des §
213 StGB gemäß § 49 Abs. 1 StGB zu treffen
und aus dem so gefundenen Strafrahmen die neue Strafe zu
verhängen haben. Der Senat kann nicht sicher
ausschließen, daß ein neuer Tatrichter auf der
Grundlage zutreffender Strafrahmenfindung eine noch etwas mildere
Strafe verhängen könnte.
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