BGH,
Beschl. v. 12.6.2007 - 4 StR 187/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 187/07
vom
12. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 12. Juni 2007 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Rostock vom 7. Dezember 2006 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen, einschließlich
derjenigen zu den Trinkmengen, aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete,
auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten
hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im
Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
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1. Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte, der
alkoholabhängig ist und zur Tatzeit eine
Blutalkoholkonzentration von 2,87 ‰ aufwies, seine
Lebensgefährtin durch mindestens zehn gegen den Kopf
gerichtete Schläge mit einem Baseballschläger. Die
Schläge waren so heftig, dass Teile der Schädeldecke
vom Kopf gelöst wurden und der Schläger
schließlich zerbrach. Vor der
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Tat war der Angeklagte nie durch Tätlichkeiten oder
aggressives Verhalten aufgefallen, sondern führte trotz
vergleichsweise hoher Intelligenz ein eher passives und beruflich
perspektivloses Leben. In der Beziehung zwischen dem Angeklagten und
seiner Lebensgefährtin war es mehrfach zu zeitweiligen
Trennungen gekommen. Der Tat vorangegangen war ein erneuter heftiger
Streit, in dessen Verlauf das spätere Opfer dem Angeklagten
erklärte, er habe am folgenden Tag die gemeinsame Wohnung zu
verlassen. Nach der Tat verschloss der Angeklagte die Türen
zum Tatzimmer und zum Kinderzimmer, zog sich um und fuhr mit dem
Kraftfahrzeug der Geschädigten nach Polen.
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er könne sich an
das eigentliche Tatgeschehen "ganz überwiegend nicht
erinnern", ebenso wenig an das unmittelbare Nachtatgeschehen. Seine
Erinnerung setze erst wieder ein, als er die deutsch-polnische Grenze
passiert habe.
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Das sachverständig beratene Landgericht hat im Anschluss an
den Sachverständigen eine Aufhebung oder erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit
ausgeschlossen. Eine solche habe weder auf Grund der akuten
Alkoholintoxikation allein noch im Zusammenspiel mit einer
möglicherweise affektiv hoch aufgeladenen Streitsituation
vorgelegen. Auch das Maß der aufgewendeten Gewalt spreche
hier nicht für das Vorliegen eines Affekts als Ausdruck einer
tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, da der Tatablauf Hinweise
auf stimmige Handlungsschritte enthalte. Im Nachtatverhalten
lägen ebenfalls Umstände vor, die gegen eine
vorangegangene Affekttat sprächen.
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2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche
Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne
des § 21 StGB verneint hat, halten rechtlicher
Prüfung nicht stand.
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a) Soweit das Landgericht - dem Sachverständigen folgend -
meint, die festgestellte hohe Alkoholisierung des Angeklagten
könne deswegen für sich allein eine
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht
begründen, weil der Angeklagte eine hohe Alkoholtoleranz
entwickelt habe und nach der Tat ohne Schwierigkeiten nach Polen
gefahren sei, hat es nicht bedacht, dass äußeres
Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei hoher
Alkoholgewöhnung durchaus weit auseinander fallen
können (BGHR StGB § 20 Blutalkohol-konzentration 10,
18). Gerade bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch "Übung"
erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich
grobmotorischer Auffälligkeiten (vgl. Tröndle/Fischer
StGB 54. Aufl. § 20 Rdn. 23). Dem Verhalten nach der Tat kommt
in diesem Zusammenhang nur eine geringe Aussagekraft zu, weil, was das
Landgericht nicht erkennbar bedacht hat, bei dem Angeklagten durch die
Tat eine wesentliche Ernüchterung eingetreten sein kann. Zudem
ergibt sich aus dem Urteil nicht, dass der Angeklagte unmittelbar nach
der Tat die Fahrt nach Polen angetreten hat.
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b) Die Ablehnung eines Affekts begegnet ebenfalls durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
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Die Ausführungen der Strafkammer sind schon im Ansatz nicht
frei von Widersprüchen. Einerseits meint sie in
Übereinstimmung mit dem Sachverständigen, die
völlig fehlende Gewalt in der Beziehung im Vorfeld
würde grundsätzlich für die Annahme einer
plötzlichen affektiven "Zerreißung der
Sinnzusammenhänge" und damit, befördert durch die
Alkoholintoxikation, für die Annahme
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einer tiefgreifenden Bewusststeinsstörung zum Tatzeitpunkt
sprechen. Andererseits soll gerade gegen eine tiefgreifende
Bewusstseinsstörung sprechen, dass aggressive
Durchsetzungsstrategien für den Angeklagten nicht typisch
seien.
Vor allem aber hat die Strafkammer den Tatablauf nicht hinreichend in
ihre Erwägungen zum Affekt einbezogen. Zwar hat sie gesehen,
dass das außergewöhnlich hohe Maß der
aufgewendeten Gewalt ein Umstand ist, der für das Vorliegen
eines Affekts als Ausdruck einer tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung sprechen könne. Letztlich hat sie
aber eine Affekttat vor allem deswegen verneint, weil der Angeklagte
das Tatwerkzeug erst aus einem anderen Raum geholt und weil er damit
überwiegend zielgerichtet auf den Kopf des Opfers geschlagen
habe. Beide Argumente tragen das Ergebnis nicht. Bei dem Herbeiholen
des Tatwerkzeugs handelt es sich um eine einfache Tätigkeit,
die vom Angeklagten keine intensiven Entscheidungs- und
Steuerungselemente erfordert und deswegen nicht gegen einen Affekt
spricht (BGHR StGB § 21 Bewusstseinsstörung 1).
Ebenso wenig spricht ein gezieltes Zuschlagen gegen einen Affekt, denn
auch ein Täter, der in einem hochgradigen affektiven
Ausnahmezustand handelt, kann gemessen an der Verfolgung seines
deliktischen Ziels durchaus folgerichtig und zielgerichtet handeln und
insbesondere in der Lage sein, sein Opfer mit allen Schlägen
am Kopf zu treffen (vgl. BGHR StGB § 20
Bewusststeinsstörung 6; § 21 Affekt 10).
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3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des
Strafausspruchs, da der Senat nicht auszuschließen vermag,
dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Bewertung des psychischen
Zustands des Angeklagten zur Tatzeit zur Annahme einer erheblich
verminderten Schuldfähigkeit gekommen wäre, von der
Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 StGB
Gebrauch gemacht und auf
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eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Eine
Schuldunfähigkeit des Angeklagten kann der Senat dagegen auf
Grund der getroffenen Feststellungen zum Tat- und Nachtatgeschehen
ausschließen. Der Senat hebt auch die Feststellungen zu den
Trinkmengen auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende
Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB zu
ermöglichen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass
Trinkmengenangaben des Angeklagten bei Errechnung der
Blutalkoholkonzentration nicht ungeprüft zu Grunde gelegt
werden müssen.
Die neu entscheidende Strafkammer wird ferner den
Anrechnungsmaß-stab für die vom Angeklagten in Polen
erlittene Freiheitsentziehung in der Urteilsformel festzusetzen haben
(vgl. Tröndle/Fischer aaO § 51 Rdn. 18, 19).
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Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann |