BGH,
Beschl. v. 12.5.2010 - 4 StR 577/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 577/09
vom
12. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. Mai 2010
gemäß §§ 349 Abs. 4, 126 Abs. 3
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts
Saarbrücken vom 17. Juli 2009 aufgehoben.
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in
der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des
Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen
bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom
15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache
sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der
Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen
der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009
gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung
in der Sicherungsverwah-
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rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet.
Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung
formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der
Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.
I.
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher
Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen
vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier
Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das
Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte
hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch
jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und
des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung
der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet,
dass der Verurteilte auf Grund einer
Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster,
sexuell motivierter Straftaten neige.
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Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem
Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand
dieses Verfahrens war eine gefährliche
Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990
während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug
begangen hatte.
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Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu
ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28.
November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Saarbrücken gemäß §
67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für
erledigt, da ein Zustand im Sinne
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des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der
Verurteilte weiterhin als gefährlich für die
Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der
Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum
22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten
aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September
1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5
StPO).
Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken
auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf
die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28.
September 1989 gegen den Betroffenen gemäß
§ 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in
der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat
durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer
zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große
Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom
7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass
§ 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in
denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d
Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat,
auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
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Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die
nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der
Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der
Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar
1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos
handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt
worden war.
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II.
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat
keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des
§ 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese
Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m.
Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem
Inkrafttreten begangen worden sind.
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1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache
M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04)
vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in
NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die
Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht
als „Maßregel der Besserung und
Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren,
für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK
gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte hat dies unter anderem damit
begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine
Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der
Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem
Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe
(Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik
Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen
Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des §
67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem
die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für
Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB
a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1
Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist
endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf
Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer
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am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2
Buchst. c MRK).
b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im
vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das
Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von
Sicherungsverwahrung androhte.
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Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht
Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990
begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts
handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand
der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits
aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in
Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum
Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987
(BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und
setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h.
schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine
Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
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Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter
Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr.
1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der
(neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen
vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der
Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28.
September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts
Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979
begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat
wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3
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und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt
geltenden Fassung) nicht berücksichtigungsfähig
gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals
erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als
fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die
nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des
Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die
Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese
Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom
23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli
2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht
nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1
Satz 2 MRK entgegen.
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c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von
vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl.
§ 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt
geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen
rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken, Beschluss vom
7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen,
dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1
StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung
der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch
dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des
Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG
Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch
BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber
in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl.
BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat
maßgeblichen Recht hätte
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somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der
Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an
ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall
beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie
hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK
Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu
berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB
ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin
auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend
auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
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Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem
Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung,
für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich
das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB
schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt
geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts
anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung
stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den
Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
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Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen
Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht
transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht
die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher
die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen
methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE
111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO
Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind
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auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in
ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das
nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der
Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes
unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach
Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK
auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei
konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6
StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach-)
gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die
Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des
Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch
- wie bereits ausgeführt - die Anordnung der
Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt möglich.
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2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht
nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom
5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der
Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der
Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung
ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und
eine nachträgliche Änderung ihrer
Höchstdauer nicht gegen das absolute
Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG
verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage,
ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine
Maßregel der Besserung und Sicherung von der
Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung
auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts.
Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten
Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung
und Sicherung in Abweichung
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von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des
Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit
wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57.
Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso
kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls
im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der
Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem
Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem
Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in
Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes
zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort
festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der
getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2
Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des
§ 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist -
soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden
worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 -
1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche
Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu
entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden
Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der
1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09
die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der -
damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art.
7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der
Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen
Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht
einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts
begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10.
Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2
Buchst. c MRK endgültig gewor-
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den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an
frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen
würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG
Rdnr. 8).
4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig
war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der
Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der
Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
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Die Entscheidung über die Entschädigung des
Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen
Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der
größeren Sachnähe dem Landgericht
vorbehalten.
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RiBGH Athing ist im Ernemann Solin-Stojanović
Ruhestand und daher
an der Unterschrift
gehindert
Ernemann
Cierniak Franke |