BGH,
Beschl. v. 12.5.2010 - 4 StR 92/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 92/10
vom
12. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren sexuellen Missbrauchs einer
Widerstandsunfähi- gen oder besonders schwerer Vergewaltigung
u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. Mai 2010
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bielefeld vom 1. Oktober 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als
Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts
Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen unerlaubter
Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren
Verbrauch an eine Minderjährige zu einer Freiheitsstrafe von
einem Jahr und drei Monaten verurteilt und ihn wegen des weiteren
Vorwurfs des schweren sexuellen Missbrauchs einer
Widerstandsunfähigen in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen
freigesprochen. Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision der
Nebenklägerin durch Urteil vom 4. Dezember 2008 - 4 StR 371/08
- aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Das
Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wahlweise wegen besonders
schweren sexuellen Missbrauchs einer Widerstandsunfähigen oder
wegen besonders schwerer Vergewaltigung sowie wegen unerlaubter
Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren
Verbrauch an eine Minderjährige zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von sieben Jahren verurteilt.
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Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der
Sachrüge Erfolg. Einer Erörterung der
Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
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1. Die wahlweise Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schweren
sexuellen Missbrauchs einer Widerstandsunfähigen oder wegen
besonders schwerer Vergewaltigung hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
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Es kann dahinstehen, ob die Straftatbestände der
§§ 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 7 i.V.m. 177
Abs. 4 Nr. 2 a StGB und des § 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1,
Abs. 4 Nr. 2 a StGB, wie nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs für eine ungleichartige Wahlfeststellung
erforderlich, rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sind (vgl.
nur BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1956 - GSSt 2/56, BGHSt 9, 390, 393
f. und Urteil des Senats vom 15. Mai 1973 - 4 StR 172/73, BGHSt 25,
182, 183 f.). Die Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage hat
schon deshalb keinen Bestand, weil nicht rechtsfehlerfrei festgestellt
ist, dass sich der Angeklagte nach allen nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme verbleibenden Sachverhaltsvarianten entweder des
besonders schweren sexuellen Missbrauchs einer
Widerstandsunfähigen oder der besonders schweren
Vergewaltigung schuldig gemacht hätte (vgl. Dannecker in LK
StGB 12. Aufl. Anh § 1 Rdn. 45 m.N.).
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a) Das Landgericht ist nach dem Zweifelsgrundsatz davon ausgegangen,
dass es zwischen dem zur Tatzeit 26 Jahre alten Angeklagten und der
damals 15jährigen Nebenklägerin, die merklich unter
Alkoholeinfluss stand und ein Stück einer Tablette mit einem
unbekannten Wirkstoff sowie eine "Portion" eines
Kokain-Amphetamin-Gemischs zu sich genommen hatte, "zunächst
zu anfänglich möglicherweise auch einvernehmlichen
sexuellen Kontakten" gekom-
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men war, und zwar "mit hoher Wahrscheinlichkeit zum vaginalen
Geschlechtsverkehr". Schließlich
„drückte“ der Angeklagte die
Nebenklägerin auf den Rücken und drang entweder mit
einer Faust oder einem stumpfen Gegenstand zumindest gleichen
Durchmessers mit hohem Kraftaufwand gewaltsam in deren Scheide ein. Die
Nebenklägerin erlitt einen Dammriss ersten Grades von 5 cm
Länge und blutete stark.
b) Auch wenn die Strafkammer mit insoweit rechtlich nicht zu
beanstandenden Erwägungen zu der Überzeugung gelangt
ist, dass diese vom Angeklagten mit zumindest bedingtem
Körperverletzungsvorsatz ausgeführte Handlung nicht
von dem Einverständnis der Nebenklägerin mit
sexuellen Handlungen mit dem Angeklagten gedeckt war, rechtfertigt dies
nicht ohne weiteres die Annahme, dass der Angeklagte die
Nebenklägerin, sofern sie nicht widerstandsunfähig im
Sinne des § 179 Abs. 1 StGB gewesen ist, jedenfalls im Sinne
des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit Gewalt zur Duldung der
sexuellen Handlung genötigt hat. Nach den bisherigen
Feststellungen ist vielmehr nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte
die Nebenklägerin bei der Vornahme einverständlicher
sexueller Handlungen mit der die schweren Verletzungen
herbeiführenden Handlung überrascht hat, so dass die
Nebenklägerin einen Abwehrwillen nicht hat bilden
können. Eine solche sexuelle Handlung erfüllt den
Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch dann nicht, wenn
der Täter dabei zugleich Gewalt anwendet (vgl. BGH, Urteil vom
2. Juni 1982 - 2 StR 669/81, BGHSt 31, 76 zu § 178 StGB a.F.).
Nach dieser vom Landgericht nicht ausgeschlossenen Sachverhaltsvariante
kommt aber in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes nur eine Verurteilung
wegen vorsätzlicher Körperverletzung,
möglicherweise - was das Landgericht nicht erkennbar
geprüft hat - wegen einer gefährlichen
Körperverletzung gemäß § 224 Abs.
1 Nr. 5 StGB in Betracht.
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2. Der Senat hebt auch die Verurteilung wegen unerlaubter
Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren
Verbrauch an eine Minderjährige auf, weil nach den bisherigen
Feststellungen nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte
der Nebenklägerin die Drogen gezielt überlassen hat,
um die spätere Sexualstraftat zu ermöglichen.
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3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs.
2 Satz 1 Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Dortmund
zurück.
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Athing Solin-Stojanović Ernemann
Cierniak Franke |