BGH,
Beschl. v. 12.11.2004 - 2 StR 367/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 367/04
vom
12. November 2004
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk:
ja
BGHSt:
ja ( vor 1 bis
4)
Veröffentlichung:
ja
StGB §§ 20, 63; StPO § 244 Abs. 4 Satz 2
Zu den Anforderungen an ein psychiatrisches
Sachverständigengutachten über
die Schuldfähigkeit des
Angeklagten und die
Voraussetzungen seiner Unter-
bringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus sowie zu den
Prüfungsanfor-
der ungen an das Gericht
bei Vorliegen eines
methodenkritischen Gegengut-
achtens.
BGH, Beschluß vom 12.
November 2004 - 2 StR
367/04 - Landgericht -
Schwurgerichtskammer - Koblenz
- 2 -
wegen Mordes
- 3 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführer s am
12. November 2004 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil
des Landge-
richts Koblenz vom 1.
Dezember 2003 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere
Strafkam-
mer des Landgerichts als Schwurgericht zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom
Vorwurf des Mor des freige-
sprochen und seine Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus an-
geordnet. Die allein vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit einer
Verfah-
rensrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat
festgestellt, daß der zur
Tatzeit 21-jährige, bis-
lang unauffällige Angeklagte im Januar 2002 seine Cousine, mit
der zusammen
er eine Wohnung im
Haus seiner Großmutter
bewohnte, ohne feststellbaren
Grund durch Er sticken tötete. An einem
unbekannten Ort außerhalb der Woh-
nung zer legte er in
der Folge die Leiche in aufwendiger
Weise, wobei er na-
mentlich auch die Haut
abzog, die Brüste und
das Geschlechtsteil gesondert
abtrennte, die lange Rückenstrecker-Muskulatur vom Torso
entfernte, einzelne
- 4 -
Knochen auslöste und
innere Organe entnahm.
Erhebliche Teile der Leiche
erhitzte er im Backofen
seiner Wohnung. Er verpackte
die Leichenteile in
Plastiktüten, die er zunächst in der Wohnung
versteckte. Den Kopf und die Be-
ckenknochen verbrachte er in einen Steinbruch, wo er den Kopf
zusätzlich mit
einem Beil zertrümmerte
und vergrub. An den
später in der Wohnung
und in
dem Steinbruch von der Polizei aufgefundenen
Leichenteilen fanden sich eine
Vielzahl von Reiskörnern. Wesentliche
Teile der Leiche wurden nie aufgefun-
den. Daß der Angeklagte diese Teile
verzehrt hat, konnte nicht mit Sicherheit
festgestellt werden.
2. Das Landgericht hat, da es die Voraussetzungen eines Mordmerkmals
im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB als nicht bewiesen angesehen
hat, dieses Ge-
schehen als
tatbestandsmäßiges und
rechtswidr iges Verbrechen des Tot-
schlags angesehen. Zur
Schuldfähigkeit des Angeklagten
hat es festgestellt,
zur Tatzeit sei die
Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten sicher erheblich ver-
mindert, möglicherweise
aufgehoben gewesen. Die
Einsichtsfähigkeit des An-
geklagten sei möglicherweise
voll erhalten, möglicherweise
gänzlich aufgeho-
ben gewesen. Im Zweifel sei daher von der Schuldunfähigkeit
des Angeklagten
auszugehen. Das Landgericht hat
den Angeklagten daher freigesprochen und
seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeor dnet.
Das Landgericht hat sich
bei der Beurteilung der
Schuldfähigkeit "den
gut verständlichen und nachvollziehbar en
Ausführungen des Sachverständigen
(Dr. B.) angeschlossen" und sie sich
zu eigen gemacht (UA S. 37) . Diese hat
es im wesentlichen wie folgt wiedergegeben:
"Insgesamt wirke der Angeklagte in seinem
Gesamtverhalten hoch auf-
fällig (…) Der
Zustand des Angeklagten gehe über
eine bloße Persön-
lichkeitsstörung deutlich
hinaus. Für das
Vorliegen einer Persönlich-
- 5 -
keitsstörung sprächen
zwar eine emotionale
Verflachung, die Nivellie-
rung von Gefühlen und
das Einzelgängertum des Angeklagten.
Für die
Annahme einer Persönlichkeitsstörung
müßten sich diese Symptome je-
doch bis in die Jugend ver folgen lassen. Schulbildung, Lehre
und Beruf
des Angeklagten seien jedoch
unauffällig (…). Auch
eine klassische
schizophrene Psychose und
mithin eine Geisteskrankheit im
engeren
Sinne liege … nicht vor. Bei der Störung des
Angeklagten handle es sich
um eine solche, welche zwar in seiner
Persönlichkeitsstörung verankert
sei, jedoch schizophrenietypische Züge trage. Hier
für spreche auch der
erhebliche Konsum von
Betäubungsmitteln (…).
Ein Suchtmittel-
mißbrauch sei für das vorliegende
Krankheitsbild symptomatisch. Es sei
auch nicht auszuschließen,
daß der Gebrauch
von Haschisch die Ent-
wicklung und Verschlimmerung
des Krankheitsbildes befördert
habe.
Aufgrund der festgestellten Erkrankung des Angeklagten sei seine Steu-
erungsfähigkeit zumindest
erheblich vermindert,
möglicherweise auch
ausgeschlossen. Hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit sei von
deren vollen
Er halt bis hin zu deren völligen Verlust alles denkbar" ( UA
S. 36, 37) …
Die festgestellte schizotype
Persönlichkeitsstörung sei
entweder unter
das Eingangsmerkmal der krankhaften
seelischen Störung oder unter
das der
anderen seelischen Abartigkeit zu fassen (UA S. 38).
Auch im Hinblick auf
die Gefährlichkeitsprognose im
Sinne von § 63
StGB ist das Landgericht "den gut
verständlichen und nachvollziehbaren Aus-
führungen des Sachverständigen
Dr. B. (gefolgt)", die das Urteil wie
folgt wie-
der gibt:
"Bei der festgestellten schizophrenen Psychose
handle es sich um eine
überdauerte Störung der
Geistestätigkeit. Die Krankheit
des Angeklag-
- 6 -
ten sei chronisch. Das
Rückfallrisiko des Angeklagten sei
extrem hoch.
Kr ankheitstypisch sei die
Begehung von Straftaten, welche
sich durch
ein Übermaß an Gewalt auszeichneten und
auch zum Tode des Opfers
führen könnten. Hierbei sei von einer Tatbegehung
vornehmlich im Ver-
wandten- und näheren
Bekanntenkreis auszugehen. Insgesamt
sei da-
mit zu rechnen, daß der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung
weitere,
der vorliegenden Tat vergleichbare Handlungen vornehmen
werde" (UA
S. 39).
3. In der Hauptverhandlung stellte die Verteidigerin, nachdem der Sach-
verständige Dr. B. sein Gutachten erstattet hatte, den
Beweisantrag, ein (weite-
res) medizinisch- psychiatrisches
Sachverständigengutachten unter anderem
zum Beweis der
Tatsachen einzuholen, daß
der Angeklagte nicht, wie vom
Sachverständigen Dr. B.
angenommen, an einer
Schizophrenia simplex oder
einer schizotypen
Persönlichkeitsstörung leide,
vielmehr seelisch und geistig
gesund sei. Sie stützte diesen Antrag auf ein von ihr
vorgelegtes methodenkri-
tisches Gutachten des Sachverständigen Dr. W., der sich mit
dem schriftlichen
Gutachten des Sachverständigen Dr. B. kritisch
auseinandersetzte und sowohl
formale Mängel rügte
als auch "in inhaltlicher Hinsicht erhebliche
Zweifel (for-
mulierte), ob die im Gutachten dargelegten
Anknüpfungspunkte die von Dr. B.
vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen tragen." Es seien
kaum objekti-
vierbare psychopathologische
Anknüpfungspunkte dargelegt;
eine Ableitung
der Diagnose aus diagnostisch relevanten biographischen
Besonderheiten feh-
le weitgehend ebenso wie eine Auseinandersetzung mit dem
unauffälligen Ver-
laufsbericht über die vorläufige Unterbringung nach
§ 126 a StPO. In dem dem
Landgericht vorgelegten schriftlichen
Gutachten des Sachverständigen
Dr. W.
waren diese inhaltlichen Zweifel im einzelnen ausgeführt. Es
enthielt unter an-
der em auch folgende Hinweise:
- 7 -
"Psychodiagnostische Überlegungen
dazu, wie sich die
von Dr. B. an-
genommene - Störung in der vorgeworfenen Tatsituation konkret
ausge-
wirkt haben soll, enthält das Gutachten nicht (…),
was insoweit den gut-
achtlichen Ausführungen einen
eigentümlich spekulativbeliebigen Cha-
rakter verleiht". (…)
"(Es besteht) eine nicht
unerhebliche Gefahr eines
logischen Zir kelschlusses: Ausgehend
von den bizarrerschreckenden
Umständen des Leichenfundes, die die
Mutmaßung nahe legen, daß es
sich hier um einen
schwer psychisch gestörten
Täter gehandelt haben
dürfte, könnte man versucht sein, den
Tatverdächtigen zu 'psychopatho-
logisieren', um ihn für die ihm unterstellte Tat 'passend' zu
machen - ge-
wissermaßen nach dem Motto: Wer so etwas tut, der
muß verrückt sein.
Diese Gefahr sehe ich
im vorliegenden Fall um
so mehr, als die von
Dr. B. vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen mir ausgesprochen
schwach begründet erscheinen (…)."
Das Landgericht hat den
Beweisantrag mit der Begr
ündung abgelehnt,
das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits
erwiesen. Die Sachkunde
des Sachverständigen sei
nicht zweifelhaft. Die gerügten
Mängel beträfen le-
diglich das vorläufige
schriftliche Gutachten; der
Sachverständige habe sein
Ergebnis jedoch mündlich vorgetragen. Er
habe seinem Gutachten im Gegen-
satz zu dem
Sachverständigen Dr. W.
den Akteninhalt und das
Ergebnis der
Beweisaufnahme zugrunde gelegt.
4. Mit der Ablehnung
hat das Landgericht gegen
§ 244 Abs. 4 Satz 2
StPO verstoßen, denn die Sachkunde des fr
üheren Gutachters war nach Lage
der Dinge zweifelhaft, sein Gutachten nicht ohne
Widersprüche.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesger ichtshofs
kann für
die Anwendung der §§ 20, 21 StGB
regelmäßig nicht offen bleiben, welche der
- 8 -
Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB
vorliegt. Das gilt
gleichermaßen für
die Anordnung des § 63
StGB (vgl. BGH NStZ-RR
2003, 232; BGH StraFo
2003, 282; Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04), denn dieser
setzt
einen länger dauernden
psychischen Defektzustand des
Betroffenen vor aus,
auf welchem dessen
Gefährlichkeit beruht (vgl.
etwa BGHSt 34, 24,
28; 42,
385, 388; BGH NStZ 1991, 528; BGH NStZ-RR 1997, 166; 2000, 298; Hanack
in LK StGB 11. Aufl. § 63 Rdn. 66; Tr
öndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 63 Rdn. 6
f., 12, jeweils m.w.N.).
Selbst wenn im Einzelfall
die Gr enzen zwischen dia-
gnostischen Zuor dnungen nach
einem der gängigen
Klassifikationssysteme
fließend und die Einordnung unter eines der Eingangsmerkmale
des § 20 StGB
schwierig sein mögen, weil z. B. mehrer e Merkmale
gleichzeitig vorliegen oder
keines in "reiner" Form
gegeben ist, ist das
Tatgericht gehalten, zum einen
konkr ete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der
Störung
zum Zeitpunkt der Tat
(vgl. § 20 StGB) zu
treffen und zum anderen
auf der
Grundlage einer umfassenden Würdigung von
Persönlichkeit, Lebensgeschich-
te, Lebensumständen und
Verhalten des Angeklagten und
der Anlaßtat in
nachprüfbarer Weise dar zulegen,
worin der "Zustand" des
Beschuldigten be-
steht und welche seiner Auswirkungen die
Anordnung der gravierenden, unter
Umständen lebenslangen Maßregel
nach § 63 StGB
gebieten. Die bloße An-
gabe einer Diagnose im
Sinne eines der
Klassifikationssysteme ICD-10 oder
DSM- IV ersetzt weder die
Feststellung eines der
Merkmale des § 20 StGB
noch belegt sie für sich schon das Vorliegen eines Zustands im
Sinne des § 63
StGB (vgl. BGH, Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04 m.w.N.).
b) Das Gericht, das
sich zur Prüfung der
genannten Voraussetzungen
der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen hat
(§ 246 a StPO), muß dessen
Tätigkeit überwachen und leiten.
Dazu gehört insbesondere auch die Prüfung,
ob Grundlagen, Methodik und Inhalt des Gutachtens den anerkannten
fachwis-
- 9 -
senschaftlichen Anforderungen genügen (zur Sachleitungs- und
Prüfungspflicht
des Gerichts vgl. Jähnke
in LK 11. Aufl., §
20 Rdn. 89, 92 f.;
Tröndle/Fischer
aaO § 20 Rdn. 63, 64 a ff. mit Nachweisen zur Rechtsprechung)
.
Vorliegend hatte die
Verteidigung mit dem Antrag
auf Einholung eines
weiteren Sachverständigengutachtens zutreffend auf
erhebliche Mängel jeden-
falls des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens
des Sachverständigen Dr. B.
hingewiesen. Daß der Sachverständige diese im
Beweisantrag und im Gutach-
ten des Sachverständigen
Dr. W. konkret angesprochenen
Mängel in seinem
mündlichen Gutachten behoben
oder die Einwände
ausgeräumt hat, hat das
Landgericht in dem den Antrag zur ückweisenden
Beschluß nicht dargelegt. Die
Urteilsgründe belegen eher das Gegenteil.
Das Gutachten entsprach in formaler und
inhaltlicher Hinsicht nicht den
Anforderungen, die in der Rechtsprechung und forensisch-psychiatrischen
wis-
senschaftlichen Literatur an
entsprechende Gutachten gestellt
werden (vgl.
dazu im einzelnen etwa Foerster/Venzlaff, in: Venzlaff/Foerster,
Psychiatrische
Begutachtung, 4. Aufl. 2004,
S. 31 ff.; Foerster/Leonhardt,
ebd. S. 43, 47 f.;
Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1996, S.
274, 282 ff.; Rasch, Foren-
sische Psychiatrie, 2. Aufl.
1999, S. 313 ff.;
Heinz, Fehlerquellen forensisch-
psychiatr ischer Gutachten, 1992;
Venzlaff, Fehler und
Irrtümer in psychiatri-
schen Gutachten, NStZ 1983,
199; Maisch, Fehlerquellen psychologisch-
psychiatr ischer Begutachtung im Strafprozeß, StV 1985, 517;
jeweils m.w.N.).
aa) In formaler Hinsicht war auffällig, daß das
schriftliche Gutachten we-
der eine Sexualanamnese noch eine detaillierte
Beziehungsanamnese enthielt.
Auch die bewertenden
Darlegungen zur Biographie und
zur psychiatrischen
Entwicklung ( Gutachten S. 36 ff.) erscheinen teilweise auf formale
Aspekte be-
schränkt.
- 10 -
bb) Soweit der Sachver ständige hier zu Bewertungen gelangte,
sind die-
se teilweise auch im Zusammenhang nur schwer
verständlich, etwa wenn von
"einer gewissen magisch- mystischen Sicht- und Denkweise", von
"umfassender
Exzentrizität", "großen soziointegrativen
Fähigkeiten" u.s.w. die Rede ist (ebd.
S. 44 f.), ohne daß
diese zusammenfassenden, stark subjektiv wertenden
Be-
schreibungen hinlänglich konkr etisiert werden. Die
Zusammenfassung, wonach
"man hier allenfalls an eine sogenannte vor sich
hindümpelnde psychische Er-
krankung denken ( würde), die mit einer
gewissen sozialen 'Unmöglichkeit', bi-
zarr manirierten Ver haltensmustern und einer gewissen
affektiven (…?) inadä-
quat vergesellschaftet als sogenannte schizophrenia simplex
… in Erscheinung
treten könnte" (ebd. S. 47) , macht die Diagnose nach ICD-10,
F 20.6, auf wel-
che hingewiesen wird, kaum nachvollziehbar.
cc) Hinzu kommt, daß
das Gutachten im Zusammenhang
mit der Wie-
der gabe der Explorationsgespräche eine Vielzahl
abwertender Beschreibungen
und Bewertungen der Person und des Verhaltens des Angeklagten
enthält, die
dur ch die Notwendigkeit
diagnostisch-wertender Beschreibung nicht
stets ge-
boten erscheinen.
Beispielhaft hierfür sind etwa die Beschr eibungen, es
hätten sich "immer
wieder süffisante
Grinseinlagen (gefunden)"; der
Angeklagte habe "pathologi-
sche Witzelsüchtigkeit mit
sarkastischer Unterlegung" (S.
29) und "ein von
Theoretisierereien und
persönlichen Interpretationen gepr
ägtes Schildern der
Tat" (S. 30) gezeigt; er habe sich "in läppisch distanzloser
Art auf den Schreib-
tisch positioniert, eine
Zigarette rauchend, den Rauch
aus den Mundwinkeln
ausblasend (…), sichtlich die
Macht genießend, eine
gewisse Hilflosigkeit bei
Unter zeichner auszulösen …" (S. 28); er
habe sich "in seiner Informationspoli-
tik wenig durchsichtig" und "sich in der Verweigerung
suhlend" gezeigt (S. 29).
- 11 -
In ihrer Häufung konnten
diese Beschreibungen, welche die Grenze zwischen
der Darstellung von Befundtatsachen und allgemein
persönlichen Abwertungen
teilweise überschritten, nicht
nur die Objektivität des Gutachters in Frage stel-
len (vgl. Nedopil aaO S. 282).
Sie konnten damit auch die Besorgnis
begrün-
den, daß der Sachver
ständige den Er fordernissen
einer differential-
diagnostischen Befunderhebung
möglicherweise nicht die
gebotene Aufmerk-
samkeit hatte zukommen lassen. Soweit von einem "Schildern der Tat" die
Re-
de war, war dies schon mit dem Umstand nicht
vereinbar, daß der Angeklagte
die
Tat
stets
- auch gegenüber dem Sachverständigen - bestritten
hat.
Das zur Frage der
Schuldfähigkeit und zu
den Voraussetzungen des
§ 63 StGB einzuholende Gutachten wird zwar,
um die Diagnose rational nach-
vollziehbar und für
das Gericht verständlich
und überprüfbar zu
machen, auf
Verhaltensbeschreibungen, wertungsbehaftete
Charakterisierungen und all-
tagssprachliche Umsetzungen klinischer
Befunde nicht verzichten können.
Dies ergibt sich auch aus den Merkmalsbeschreibungen der
Klassifikationssys-
teme, so wenn etwa
die Diagnose der "schizotypen
Störung" (ICD-10, F 21)
dur ch die Feststellung "eigentümlichen Verhaltens",
"seltsamer Glaubensinhal-
te", der Exzentrizität
oder von gekünstelter
Sprache getragen werden kann.
Eine solche Darstellung ist aber kein Selbstzweck.
dd) Inhaltliches Ziel des Gutachtens ist es, dem Gericht eine
Beurteilung
zu ermöglichen, ob zum Zeitpunkt
der Tat eine der Eingangsvoraussetzungen
des § 20 StGB vorgelegen hat und ob, ggf. wie diese sich auf
die Unrechtsein-
sicht des Beschuldigten oder auf seine
Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Für
die Frage einer
möglichen Unterbr ingung in
einem psychiatrischen Kranken-
haus ist darüber hinaus zu klären, ob aufgrund
der die Schuldfähigkeit bei der
- 12 -
Anlaßtat beeinträchtigenden
psychischen Störung ein
längerfristiger Zustand
des Beschuldigten besteht,
welcher dessen Gefährlichkeit im
Sinne von § 63
StGB begründet und daher die Unterbringung gebietet.
Hierfür können in
der Regel die Diagnose der psychischen
Störung so-
wie ihre Einordnung unter
die Eingangsmerkmale des
§ 20 StGB nicht offen
bleiben. Vorliegend hatte der
Sachverständige in seinem
vorbereitenden
schriftlichen Gutachten offen gelassen,
ob bei dem Angeklagten eine "schizo-
type Störung" (ICD-10,
F 21) oder eine
"schizophrenia simplex" (ICD-10, F
20.6) vorliege, die beide dem Merkmal "krankhafte seelische
Störung" im Sinne
von § 20 StGB
zuzuordnen seien; eine
Persönlichkeitsstörung im Sinne
einer
"schweren anderen seelischen Abartigkeit"
(SASA) liege nicht vor
(Gutachten
S. 47 ff., 51). In seinem in
der Hauptverhandlung erstatteten
mündlichen Gut-
achten kam er dagegen
zu der Ansicht, es
sei "die festgestellte schizotype
Persönlichkeitsstörung entweder
unter das Eingangsmerkmal der
krankhaften
seelischen Störung oder
unter das der anderen
seelischen Abartigkeit zu fas-
sen" (UA S. 38); eine schizophrene Psychose liege
nicht vor (UA S. 37). Eine
Persönlichkeitsstörung sei
gleichfalls nicht gegeben (UA
S. 36/37), vielmehr
eine in der
Persönlichkeit verankerte
Störung mit
schizophrenietypischen Zü-
gen, für welche ein Suchtmittelmißbrauch
symptomatisch sei (UA S. 37).
Die letztgenannte Diagnose ist
- gerade auch unter
Heranziehung der
Beschreibungen in den Klassifikationssystemen - schon aus
sich heraus kaum
nachvollziehbar . Sowohl im Ablehnungsbeschluß des
Landgerichts als auch im
Urteil fehlt jede Darlegung,
aus welchen objektivierbaren
Gründen der Sach-
verständige in der
Hauptverhandlung von seinem vor
bereitenden Gutachten
abwich und ob diese Gründe mit ihm erörtert worden
sind.
- 13 -
ee) Feststellung und
Begründung der Diagnose
einer Störung belegen
nicht deren strafrechtliche
Relevanz im Sinne von
§§ 20, 21 StGB
(st. Rspr.;
vgl. etwa BGH, Urt. v. 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 = NJW 2004, 1810,
zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGH,
Beschluß vom 21. September
2004 - 3 StR 333/04; vgl. auch
Tr öndle/Fischer StGB 52. Aufl., §
20 Rdn. 44;
Jähnke in LK 11. Aufl., § 20 Rdn.
34 f.; jew. m.w.N.). Entscheidend für
die in-
haltliche Brauchbarkeit des Gutachtens ist, ob es wissenschaftlich
hinreichend
begründete Aussagen über den
Zusammenhang zwischen einer diagnostizier-
ten psychischen Störung und der
Tat enthält, welche Gegenstand des Verfah-
rens ist. Es ist also - unabhängig von der Einordnung unter
ein Eingangsmerk-
mal des § 20 StGB - im einzelnen konkret darzulegen, ob und
ggf. wie sich die
Störung auf das
Einsichts- oder Hemmungsvermögen
des Beschuldigten tat-
sächlich ausgewirkt hat
(vgl. Schr eiber/Rosenau, in:
Venzlaff/Foer ster aaO,
S. 51, 77 f.; Lenckner/Per ron
in Schönke/Schröder,
StGB 26. Aufl. § 20
Rdn. 31). Nichts anderes gilt für
die Beurteilung des "Zustands"
im Sinne von
§ 63 StGB, denn es gibt weder eine abstrakte
"Schuldunfähigkeit" ohne Bezug
zu einem konkreten Delikt
noch einen abstrakten "Zustand"
ohne diesen Be-
zug, aus welchem sich
symptomatisch die die
Unterbringung erfordernde Ge-
fährlichkeit des Beschuldigten ergibt.
An einer Darlegung dieses
Zusammenhangs fehlte es in
dem schriftli-
chen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. gänzlich;
ein solcher Zusammen-
hang ergibt sich auch
aus der Wiedergabe des mündlich
erstatteten Gutach-
tens im angefochtenen Urteil
nicht. Hier bleibt schon
offen, in welchen foren-
sisch relevanten Eigenschaften, Dispositionen oder Einschr
änkungen der Ein-
sichts- oder Steuerungsfähigkeit die festgestellte "chronische
Krankheit" (UA S.
39) des Angeklagten sich überhaupt
ausdrückt. Als "symptomatisch" wird inso-
weit allein der Suchtmittelmißbrauch
genannt; Feststellungen zu Ausmaß oder
- 14 -
Auswirkungen des Konsums von
Haschisch oder anderen
Rauschmitteln am
Tattag fehlen jedoch. Auch im
übrigen ergibt sich weder aus dem schriftlichen
Gutachten noch den Darlegungen
im Urteil, in welcher konkreten
Weise sich
die beim Angeklagten
festgestellten psychischen
Auffälligkeiten bei
der Tat
ausgewirkt haben könnten. Zutr
effend hat der
Sachverständige Dr. W. in sei-
nem von der Verteidigung
zur Begründung des
Beweisantrags vorgelegten
Gutachten darauf hingewiesen,
das Gutachten des
Sachverständigen Dr. B.
zeige eine gewisse Zirkelschlüssigkeit und
habe einen "eigentümlich spekula-
tivbeliebigen Char akter".
ff) Eine kritische Beurteilung
des Gutachtens und der
Sachkunde des
Gutachters lag jedenfalls unter Berücksichtigung der
Begründung des Beweis-
antrags für den Tatrichter auch
deshalb nahe, weil das Gutachten ausschließ-
lich zu Diagnosen (entweder
"schizophrenia simplex" oder
"schizotype Stö-
rung") gelangte, von deren Verwendung im
Klassifikationssystem ICD-10 aus-
drücklich abgeraten wir d. Überdies
lagen wichtige Merkmale der festgestellten
"schizotypen Störung",
namentlich zeitlich überdauernde
Auswirkungen auf
Biographie, Verhalten oder
Auffälligkeiten des Betroffenen,
gerade nicht vor;
das Gutachten befaßte
sich damit nur vage
und unklar. Darüber
hinaus ließ
das Gutachten eine hinreichende
differenzialdiagnostische Erörterung vermis-
sen; die diagnostischen Schlußfolgerungen waren
letztlich auf wenig mehr ge-
stützt als die (unter stellte) Begehung der Tat
selbst.
gg) Auch die
Schlußfolgerungen, die
der Sachverständige
aus diesen
eher unklaren und unsicher en
Feststellungen auf die
Einsichts- und Steue-
rungsfähigkeit des Angeklagten
vom Tatzeitpunkt gezogen hatte,
hätten dem
Gericht Anlaß zur
kritischen Überprüfung
geben müssen. In
seinem schriftli-
chen Gutachten hatte der
Sachverständige ausgeführt,
der Angeklagte sei
- 15 -
zwar "grundsätzlich als psychisch gestört und
geisteskrank zu betrachten". Die
Auffälligkeiten hätten aber mangels akuter paranoider
Symptomatik und akuter
Derealisation "eben nicht einen vollumfänglichen Verlust
seiner Einsichtsfähig-
keit nach sich gezogen" (Gutachten S. 52) . Es sei jedoch
festzustellen, daß der
Angeklagte in seiner
Wahrnehmung und Interpretation
von Sicht- und Denk-
weisen des alltäglichen Lebens und seiner Beziehung zu dem
Tatopfer "beein-
trächtigt gewesen sein muß". Das habe "eine gewisse
Verzerrung der Realität"
nach sich gezogen, was
wiederum "zu einer
Uminterpretation von realen Be-
gebenheiten führte"; dadur ch seien "die Sicht- und
Denkweisen beeinträchtigt"
worden. Daher sei die
Steuerungsfähigkeit erheblich
vermindert gewesen
(ebd.).
In seinem mündlichen
Gutachten führte der
Sachverständige ausweis-
lich des Urteils dann im ausdrücklichen Gegensatz
hierzu aus, hinsichtlich der
Einsichtsfähigkeit des
Angeklagten sei "von dessen
vollem Erhalt bis hin zu
dessen völligem Verlust alles denkbar" (UA
S. 37). Für diesen grundlegenden
Wechsel in der Beurteilung findet sich keine Begründung; aus
der Wiedergabe
des Gutachtens kann auch
nicht nachvollzogen werden, wie
die von dem
Sachverständigen für möglich gehaltenen
Alter nativen der Unrechtseinsicht mit
dem psychodiagnostischen Krankheitsbild des Angeklagten in Einklang zu
brin-
gen sein könnten. Die
hypothetische Feststellung, entweder die Einsicht
oder
die Steuerungsfähigkeit habe gefehlt, würde
voraussetzen, daß der psychische
Defekt des Betroffenen sich
tatsächlich in einer
solchen alternativen Weise
konkr et auswirken konnte. Zur Begründung
dieser Feststellung bedürfte es je-
denfalls eingehender Darlegungen zur Diagnose der Störung und
zu ihrer kon-
kreten Auswirkung auf die
Tatbegehung. Hieran fehlte es
hier offensichtlich;
die vage Aussage des
Sachverständigen zur Auswirkung der Störung
beruhte
vielmehr ger ade auf der Unschärfe der diagnostischen
Zuordnung.
- 16 -
c) Angesichts dieser erheblichen Mängel und Unklar heiten des
vorberei-
tenden schriftlichen und des mündlich erstatteten
Gutachtens durfte das Land-
ger icht den Beweisantrag auf
Einholung eines weiteren medizinisch-
psychiatr ischen Sachverständigengutachtens nicht
mit der Begründung ableh-
nen, das Gegenteil der
behaupteten Tatsache sei
bereits erwiesen, und die
Sachkunde des Sachver ständigen Dr. B. sei nicht zweifelhaft,
ohne sich einge-
hend mit den erhobenen
Beanstandungen auseinanderzusetzen. Die
gravie-
renden Einwände, welche das Gutachten des
Sachverständigen Dr. W. gegen
Methodik und Ergebnisse des
schriftlichen Gutachtens erhob,
mußten Anlaß
sein, die vom Sachverständigen mündlich vorgetragenen
Ergebnisse sowie die
Abweichungen und ggf. der en
Begründung besonders kritisch zu
prüfen. Dies
hat das Landgericht nicht getan; vielmehr hat es die in
vielfacher Hinsicht zwei-
felhaften Ausführungen des
Sachverständigen allein
dahingehend gewürdigt,
sie seien "gut
verständlich und
nachvollziehbar" gewesen und
die Kammer
schließe sich ihnen an (UA S.
37, 40). Mit der im
Ablehnungsbeschluß gege-
benen Begründung hat sich
das Landgericht daher seiner Aufgabe
einer kriti-
schen Überprüfung und
Würdigung des Sachver
ständigengutachtens gerade
entzogen, indem es die
Mängel des vorbereitenden
schriftlichen Gutachtens
mit dem Hinweis auf das
mündliche Gutachten beiseite
schob. Dies wär e nur
dann tragfähig, wenn
das mündlich erstattete
Gutachten seinerseits fehlerfrei
gewesen und wenn die
Abweichungen zum schriftlichen
Gutachten nachvoll-
ziehbar erklärt wär en. Hieran
fehlte es; nach der Wiedergabe des
Gutachtens
in den Urteilsgründen setzten
sich die von dem Sachverständigen
Dr. W. an-
gesprochenen Fehler vielmehr im mündlichen
Gutachten fort und führten dar-
über hinaus zu neuen
Widersprüchen (vgl. BGHSt
23, 176, 185; BGH NStZ
1990, 244; 1991, 448; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl.,
§ 244 Rdn. 76 m.w.N.).
- 17 -
d) Danach war hier die Sachkunde des
früheren Gutachters zweifelhaft;
die Beweiser hebung war daher
erforderlich. Eigene, unter
Umständen durch
das erste Gutachten vermittelte
Sachkunde des Gerichts, welche
die Ableh-
nung hätte tragen können, lag nicht vor.
5. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung
des Urteils insgesamt. Daß die
Staatsanwaltschaft das Urteil
nicht angefochten hat und
daß § 358
Abs. 2
Satz 1 StPO einer Bestrafung entgegenstünde, auch
wenn der neue Tatr ichter
jedenfalls eine Aufhebung der
Schuldfähigkeit ausschließen
könnte, steht der
Aufhebung nicht entgegen, denn wenn die Voraussetzungen für
die Anordnung
der Maßregel nach
§ 63 StGB nicht
vorlägen, so dürfte sie
selbstverständlich
auch dann nicht erfolgen, wenn die Ver
hängung einer Strafe aus
Rechtsgrün-
den ausschiede.
Im Hinblick auf die
überaus enge Verflechtung
der Feststellungen zum
Tathergang, zur Motivation des
Angeklagten und zu seinem
Nachtatverhalten
mit denjenigen zu den
Voraussetzungen des § 63
StGB scheidet eine Auf-
rechterhaltung von Feststellungen
hier aus, auch wenn
das Urteil insoweit
rechtsfehlerfrei ist. Insoweit merkt der Senat an, daß die
Rüge einer Verletzung
des § 136 Abs.
1 Satz 2 StPO aus den
vom Generalbundesanwalt zutreffend
ausgeführten Gründen jedenfalls unbegr ündet
ist.
Der neue Tatr ichter wird
Gelegenheit zu umfassenden neuen Feststel-
lungen haben. Es erscheint
naheliegend, zur Frage
der Schuldfähigkeit und
der Maßregelanordnung
(auch) einen anderen
Sachverständigen mit der Gu-
tach-
tenerstattung zu beauftragen.
Rissing-van
Saan
Detter
Bode
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Rothfuß
Fischer
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