BGH,
Beschl. v. 12.10.2001 - AK 14/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AK 14/01
2 BJs 79/00
vom
12. Oktober 2001
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
alias
alias
wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwaltes sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers
am 12. Oktober 2001 gemäß §§ 121,
122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den
Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den
allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht
übertragen.
Gründe:
Der Beschuldigte wurde am 4. April 2001 festgenommen und befindet sich
wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer
terroristischen Vereinigung seit dem 5. April 2001 in Untersuchungshaft
aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs
vom selben Tag (2 BGs 93/2001). Die Voraussetzungen für die
Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus
liegen vor.
1. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich als Mitglied
an einer Vereinigung beteiligt zu haben, deren Zwecke oder
Tätigkeit darauf gerichtet sind, gemeingefährliche
Straftaten in den Fällen des § 308 StGB zu begehen
(§ 129 a Abs. 1 Nr. 3 StGB).
a) Unter einer Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129 a
StGB ist ein auf gewisse Dauer berechneter organisatorischer
Zusammenschluß von mindestens drei Personen zu verstehen, die
bei Unterordnung des Willens des einzelnen unter den Willen der
Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in
Beziehung stehen, daß sie sich als einheitlicher Verband
fühlen (st.Rspr.; s. etwa BGHSt 28, 147 ff.; 31, 239, 240).
Die organisierte Willensbildung, hinter der einzelne abweichende
individuelle Meinungen zurückstehen, kann dabei auf dem
Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut sein, aber auch dem
Demokratieprinzip entsprechen (BGHSt 31, 239, 240). Handelt es sich bei
der Vereinigung um eine ausländische oder international
tätige, sind die §§ 129, 129 a StGB jedoch
nur dann anwendbar, wenn die Vereinigung zumindest in Form einer
Teilorganisation auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
besteht (BGHSt 30, 328 m.w.Nachw.). In einem derartigen Fall ist es
nicht erforderlich, daß die organisierte Willensbildung sich
innerhalb der inländischen Teilorganisation vollzieht. Es
genügt vielmehr, daß deren Mitglieder in die
Willensbildung der ausländischen oder internationalen
Organisation integriert sind und sich den auf dieser Ebene getroffenen
Entschlüssen gegebenenfalls unter Zurückstellung
ihrer individuellen Meinungen unterwerfen. Zweck oder
Tätigkeit der inländischen Teilorganisation
müssen nicht notwendig darauf gerichtet sein, Straftaten der
in § 129 a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Art im Inland zu
begehen. Vielmehr genügen auch Auslandstaten, wenn auf diese
das deutsche Strafrecht Anwendung fände (BGH NJW 1966, 310,
312).
b) Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen besteht der dringende
Verdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO, daß
sich der Beschuldigte K. jedenfalls ab Herbst 2000 im Raum F. zumindest
mit den Mitbeschuldigten B. und S. zu einer nach außen
abgeschotteten, konspirativ arbeitenden Organisationseinheit
zusammengeschlossen hat und unter Einbindung in diese Organisation in
einer international tätigen terroristischen Vereinigung
gewaltbereiter islamistischer Fundamentalisten (sog. "non-aligned
Mudjahedin") tätig geworden ist, die in Umsetzung des von ihr
propagierten "heiligen Krieges (Djihad)" in Ländern des
westlichen Kulturkreises Terrorakte, insbesondere
Sprengstoffanschläge verüben (§ 129 a Abs. 1
Nr. 3, § 308 Abs. 1, § 6 Nr. 2 StGB). Ob dieser
Verdacht sich zu einer die Verurteilung des Angeklagten tragenden
Überzeugung verdichten läßt, muß
der Beurteilung des Tatgerichts nach Durchführung der
Beweisaufnahme vorbehalten bleiben.
Der Tatverdacht gegen den Beschuldigten gründet sich auf
folgende Umstände, die dem Senat teilweise auch aus
früheren Haftprüfungsverfahren betreffend die
Mitbeschuldigten B. , S. , M. und E. bekannt sind:
aa) Der organisatorische Zusammenschluß der Beschuldigten K.
, B. und S. :
Die bisherigen Ermittlungen belegen zunächst mit hinreichender
Sicherheit, daß die Beschuldigten B. und S. im Zusammenwirken
mit den Beschuldigten M. und E. , die im Dezember 2000 von L. kommend
in F. eingetroffen waren, einen Sprengstoffanschlag auf den
Weihnachtsmarkt oder einen Wochenmarkt in St. vorbereiteten. Hierzu
hatten sie sich mit mehreren Schußwaffen versorgt sowie
erhebliche Mengen Kaliumpermanganat erworben und hieraus bereits
Triacetonperoxid hergestellt. Außerdem hatten E. und S.
für den Zeitraum Ende Dezember 2000 bis Anfang Januar 2001
unter Falschnamen Wohnungen in Ba. angemietet und eine - per
Videoaufzeichnung dokumentierte - Fahrt von dort nach St. und
zurück Richtung Deutschland unternommen, um die ins Auge
gefaßten Tatorte sowie Anfahrts- und Abfahrtsrouten
auszukundschaften. Der Beschuldigte B. bestätigte im
übrigen in seiner Vernehmung vom 12. Februar 2001,
daß die Beschuldigten M. , E. und S. vorgehabt
hätten, Menschen zu töten.
Das gewonnene Beweismaterial legt darüber hinaus den
Schluß nahe, daß sich der Beschuldigte K.
jedenfalls mit den Beschuldigten B. und S. zu einer Organisation
verbunden hatte, deren Zwecke oder Tätigkeit allgemein darauf
gerichtet waren, Straftaten wie den geplanten Anschlag in St. zu
begehen. Diese drei Beschuldigten hielten sich zumindest seit Herbst
2000 im Raum F. auf und standen untereinander in Kontakt. Dabei
verhielten sie sich in konspirativer Weise. Sie verwendeten
verschiedene Decknamen, nutzten teilweise Wohnungen, die von Dritten -
auch unter Falschnamen - angemietet worden waren, und telefonierten
ausschließlich aus öffentlichen Telefonzellen oder
mit Handys, die für andere Personen freigeschaltet worden
waren. All dies wird vom Beschuldigten K. zum Teil eingeräumt
und im übrigen durch mehrere sichergestellte Beweismittel
sowie den Inhalt abgehörter Telefonate bestätigt.
Schon diese Besonderheiten legen es nahe, daß es sich bei der
Beziehung der Beschuldigten K. , B. und S. nicht um ein reines
Freundschaftsverhältnis handelte, gegründet etwa
allein auf die gemeinsame Herkunft oder Religion.
Hinzu kommt eine Vielzahl von Verdachtsmomenten, die dafür
sprechen, daß sich diese Beschuldigten zusammengeschlossen
hatten, um im Rahmen des internationalen Netzwerks der "non-aligned
Mudjahedin" an der Verwirklichung deren terroristischer Ziele
mitzuwirken. Diese ergeben sich zunächst aus zahlreichen
schriftlichen Unterlagen und sonstigen Beweismitteln, die sowohl bei
den Beschuldigten dieses Verfahrens als auch bei anderen Personen
sichergestellt werden konnten, die im Verdacht stehen, dem Netz
gewaltbereiter islamischer Fundamentalisten anzugehören. Sie
folgen außerdem aus dem Inhalt zahlreicher
abgehörter Telefonate, die seit Dezember 2000 insbesondere im
Zusammenhang mit den Verhaftungen der Beschuldigten in Deutschland, im
europäischen Ausland oder auch per Satellitentelefon in den
Raum Afghanistan/Pakistan geführt wurden. Besonders
aufschlußreich sind darüber hinaus vor allem die
Äußerungen des Beschuldigten B. in der
Untersuchungshaft gegenüber dem Mitgefangenen Sa. , den er von
den Zielen des islamischen Fundamentalismus überzeugen wollte
und für eine Ausbildung in Afghanistan zu gewinnen suchte.
Laut B. habe die Gruppe über mehr als 200 kg Sprengstoff
verfügt, es sei ein Anschlag auf eine jüdische
Einrichtung in Li. vorgesehen gewesen und weitere Operationen
hätten sich in der Planung befunden. Zu diesen hätten
die Inhaftierten aber noch keine näheren Informationen
besessen, da die entsprechenden Anweisungen von
Führungspersonen von außerhalb kämen.
bb) Einbindung der Organisation der Beschuldigten K. , B. und S. in die
internationale terroristische Vereinigung der "non-aligned Mudjahedin":
Zur Existenz des internationalen Netzes der "non-aligned Mudjahedin",
den Beziehungen der ihm angehörenden Mitglieder oder lokalen
Gruppen untereinander sowie den aus dieser Vereinigung heraus bereits
begangenen oder geplanten terroristischen Anschlägen sind eine
Vielzahl von Erkenntnissen deutscher, französischer,
italienischer und britischer Ermittlungsbehörden und
Geheimdienste aktenkundig. Sie werden beispielhaft auch belegt durch
den Inhalt eines am 13. Januar 2001 geführten Telefonats
zwischen einem Es. in Italien und einem Ma. in Belgien, die beide der
Zugehörigkeit zu den "non-aligned Mudjahedin"
verdächtig sind. In diesem Telefonat bringt Es. seine Hoffnung
zum Ausdruck, daß in Frankreich nicht das Gleiche wie in F.
passiere und auch das dortige Versteck entdeckt werde, und rät
dem Ma. , eine neue Identität anzunehmen.
Die Einbindung der zumindest von den Beschuldigten K. , B. und S.
gebildeten Untergruppierung in die internationale Vereinigung folgt
zunächst aus ihrem Kontakt zu bzw. ihrem Zusammenwirken mit
den Beschuldigten M. und E. , die augenscheinlich zur Vorbereitung des
Anschlags in St. aus L. angereist waren, wo sie nach den Erkenntnissen
der britischen Ermittlungsbehörden einer vergleichbaren
Untergruppierung des Netzes gewaltbereiter islamistischer
Fundamentalisten angehörten. Darüber hinaus bestand
zu weiteren Personen Kontakt, die im Verdacht stehen, diesem
internationalen Netz anzugehören, was erneut durch den Inhalt
einer Vielzahl abgehörter Telefonate bestätigt wird.
Ebenso liegen in Form sichergestellter Briefe und Internetausdrucke
hinreichende Beweise dafür vor, daß sich der
Beschuldigte K. mit der islamistisch-fundamentalistischen Ideologie der
Mudjahedin und dem von diesen propagierten "heiligen Krieg"
identifiziert. Auch ist ein aussagekräftiger Beleg
dafür vorhanden, daß sich die Mitglieder der F.
Untergruppierung der Willensbildung im internationalen Netz der
"non-aligned Mudjahedin" unterwarfen, nämlich die Bemerkung
des Beschuldigten B. gegenüber dem Zeugen Sa. , es
hätten sich weitere Operationen in der Planung befunden, zu
denen die Inhaftierten aber noch keine näheren Informationen
besessen hätten, da die entsprechenden Anweisungen von
Führungspersonen von außerhalb kämen.
2. Bei dem Beschuldigten besteht aus den im Haftbefehl des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2001 genannten
Gründen der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2
Nr. 2 StPO). Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger
einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug (§ 116
Abs. 1 StPO) erreicht werden.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft
über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind
gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der
außergewöhnliche Umfang der Ermittlungen haben
bisher ein Urteil nicht zugelassen. Die Ermittlungen erstrecken sich
gegen eine Vielzahl von Beschuldigten, deren Verbindungen innerhalb der
Bundesrepublik, in das europäische Ausland, aber auch in den
Mittleren Osten in Zusammenarbeit mit ausländischen
Ermittlungsbehörden aufzuklären sind. Sie werden
durch das konspirative Verhalten der Beschuldigten und ihres Umfeldes
erschwert. Es sind mehrere Rechtshilfeersuchen an
Ermittlungsbehörden in Frankreich, Großbritannien
und Italien notwendig geworden. Durch Wohnungsdurchsuchungen,
Telefonabhörmaßnahmen und sonstige Ermittlungen,
aber auch durch die Überlassung von Beweisstücken
ausländischer Ermittlungsbehörden hat sich eine
umfangreiche Sammlung von Beweismaterial ergeben, deren Auswertung mit
einem erheblichen Aufwand verbunden ist. Sie wird noch dadurch
erschwert, daß eine Vielzahl von Schriftstücken,
Abhörprotokollen und auf Datenträgern gespeicherter
Dokumente zunächst ins Deutsche zu übersetzen war, um
eine Auswertung erst zu ermöglichen. Nach Mitteilung des
Generalbundesanwaltes ist mit dem Abschluß der Ermittlungen
und der Anklageerhebung noch im November 2001 zu rechnen. Es ist danach
kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, daß die
Ermittlungen bisher nicht mit der in Haftsachen gebotenen
Beschleunigung betrieben worden wären.
Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht auch nicht
außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der
für den Beschuldigten zu erwartenden Strafe (§ 120
Abs. 1 Satz 1 StPO).
Tolksdorf Winkler Becker |