BGH,
Beschl. v. 13.2.2001 - 4 StR 23/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 23/01
vom
13. Februar 2001
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. Februar
2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Paderborn vom 19. Oktober 2000 im Strafausspruch mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der
Sachbeschwerde zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat minder schwere Fälle nach § 176
Abs. 1 StGB verneint und die Einzelstrafen jeweils dem nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen
dieser Vorschrift entnommen. Diese Strafrahmenwahl begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht hierzu
lediglich ausgeführt hat, auch unter Berücksichtigung
der - aufgrund seiner altersbedingten Demenz nicht
ausschließbaren - erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten lägen die
abgeurteilten Fälle im Rahmen des "Normalfalles".
Für das Vorliegen eines minder schweren Falles ist
entscheidend, ob das Gesamttatbild einschließlich aller
subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom
Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden
Fälle in einem Maße abweicht, daß die
Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (st. Rspr., vgl.
BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall
Prüfungspflicht 1; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl.
§ 46 Rdn. 85 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die
Begründung der Verneinung minder schwerer Fälle nicht
gerecht. Insbesondere hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht,
daß bereits der lange zeitliche Abstand zwischen Taten
(Tatzeitraum: Oktober 1992 bis Anfang April 1995) und Urteil zu einem
wesentlichen Strafmilderungsgesichtspunkt führt (vgl. BGHR
StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 6, 13). Zudem
lagen die festgestellten sexuellen Handlungen entgegen der Auffassung
des Landgerichts - insbesondere in den Fällen II 3 und 4 der
Urteilsgründe - nicht "deutlich" (UA 18), sondern nur knapp
über der Erheblichkeitsschwelle (§ 184 c Nr. 1 StGB),
was ebenfalls im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu
Gunsten des Angeklagten hätte berücksichtigt werden
müssen.
Die danach gebotene Aufhebung der Einzelstrafen führt zur
Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |