BGH,
Beschl. v. 13.6.2001 - 5 StR 202/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 StR 202/01
vom 13. Juni 2001
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juni 2001
beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Chemnitz vom 13. Februar 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die
Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und zum
Vorsatz der Angeklagten aufrechterhalten.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das
Landgericht Dresden, zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision der
Angeklagten, mit der diese das Verfahren beanstandet und die Verletzung
materiellen Rechts rügt, hat den aus dem
Beschlußtenor ersichtlichen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind unzulässig bzw.
unbegründet; insoweit wird auf die zutreffenden
Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift
vom 9. Mai 2001 verwiesen.
2. Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der
erhobenen Sachrüge hat zu den Feststellungen zum Tatablauf und
zur subjektiven Tatseite ebenfalls keinen die Angeklagte beschwerenden
Rechtsfehler ergeben; jedoch halten die Ausführungen des
Landgerichts zur Schuldfähigkeit rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen begannen die Angeklagte und ihr
Lebensgefährte - ihrem üblichen Trinkverhalten
entsprechend - schon am Morgen damit, Bier und Schnaps zu trinken.
Spätestens in den Nachtstunden waren sie betrunken. Wie auch
schon bei früheren gemeinsamen Trinkgelagen kam es zwischen
beiden spätestens in den frühen Morgenstunden des
darauffolgenden Tages ohne erkennbaren aktuellen Anlaß zu
einer heftigen Auseinandersetzung, während der sich beide
lautstark anschrien und der später Geschädigte
Möbel umstieß und mit Gegenständen um sich
warf. Als sich ihr Lebensgefährte gerade in einer ruhigen
Position befand, versetzte ihm die Angeklagte sechs bis sieben
teilweise sehr kräftig geführte
Hammerschläge gegen den Kopf. Der Geschädigte, der
keinerlei Gegenwehr leistete, erlitt schwere
Schädelverletzungen, an denen er wenig später
verstarb. Eine der Angeklagten um 9.15 Uhr entnommene Blutprobe ergab
eine Blutalkoholkonzentration von 2,45 %.
Zur Schuldfähigkeit der Angeklagten hat sich das Schwurgericht
durch zwei Sachverständige beraten lassen. Beide haben
übereinstimmend ausgeführt, daß die
Trinkangaben der jede Tatbeteiligung bestreitenden Angeklagten, die
nach 20.15 Uhr zunächst keinen Alkohol mehr, am
nächsten Tag frühmorgens lediglich eine halbe Flasche
Bier nachgetrunken haben will, anzuzweifeln seien. Mit hoher
Wahrscheinlichkeit habe die Angeklagte während der Nacht
weiter Alkohol zu sich genommen. Während die
Sachverständige Dr. L sich angesichts unklaren Trinkverhaltens
zu einer konkreten Beurteilung des Alkoholisierungsgrades der
Angeklagten "im Tatzeitraum" außerstande sah, vertrat der
Sachverständige Dr. M die Auffassung, daß bei der
Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung
sowie ein chronischer Alkoholmißbrauch vorliege, die jeweils
einer krankhaften seelischen Störung entsprächen. In
Verbindung mit der erheblichen Alkoholisierung hätten diese
Störungen zu einer erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit
geführt. Ein Vorliegen der Voraussetzungen des § 20
StGB sei dagegen angesichts des Leistungsverhaltens der Angeklagten,
insbesondere der Geschicklichkeit und Treffsicherheit bei der
Ausführung der Tat und angesichts des durch Zeugen bekundeten
Nachtatverhaltens der Angeklagten sicher auszuschließen.
Diesem Gutachten hat sich das Landgericht ohne weitere Darlegungen
angeschlossen.
Diese Begründung trägt den Ausschluß von
Schuldunfähigkeit nicht. So wird aus den Urteilsfeststellungen
schon nicht deutlich, von welcher konkreten Tatzeit das Landgericht
ausgeht. Setzt man diese mit ca. 5.00 Uhr morgens an, weil eine
Nachbarin zu diesem Zeitpunkt einen heftigen Streit der Angeklagten mit
ihrem Lebensgefährten gehört hat, der abrupt mit
einem heftigen, schrillen Schrei der Angeklagten abgebrochen sei, so
ergibt eine Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration vom
Zeitpunkt der entnommenen Blutprobe um 9.15 Uhr bei Zugrundelegung
eines stündlichen Abbauwertes von 0,2 % und einem einmaligen
Sicherheitszuschlag von 0,2 % eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit
von 3,45 %. Auch nach Abzug eines Nachtrunks einer halben Flasche Bier
dürfte die alkoholische Beeinflussung der Angeklagten, deren
Körpergewicht nicht mitgeteilt wird, zur Tatzeit deutlich
über 3 % gelegen haben. Umstände, die gegen die Menge
des von der Angeklagten behaupteten Nachtrunks sprechen, führt
das Landgericht nicht an.
Stellt bereits die Blutalkoholkonzentration als solche ein gewichtiges
Indiz für eine vollständige Aufhebung der
Steuerungsfähigkeit dar, waren hier noch weitere
Umstände in Betracht zu ziehen, die geeignet waren, die
Wirkung des genossenen Alkohols zu steigern. So hätten neben
den Auswirkungen der dissozialen
Persönlichkeitsstörung der Angeklagten auch deren
mutmaßliche Übermüdung und die affektive
Aufladung der gesamten Situation in Betracht gezogen werden
müssen. Hierzu verhält sich das Urteil jedoch nicht.
Eine "motorische Geschicklichkeit", die sich lediglich darin
äußert, daß mit insgesamt sechs einer
unbekannten Vielzahl von Hammerschlägen der nach den
Feststellungen des landgerichtlichen Urteils in Ruhestellung
befindliche Kopf eines Menschen getroffen wird, vermag eine
Gesamtwürdigung der physischen und psychischen Situation der
Angeklagten im übrigen nicht entbehrlich zu machen. Dies gilt
auch für das vom Landgericht im Anschluß an die
Ausführungen des Sachverständigen herangezogene
Nachtatverhalten der Angeklagten. Dieses bestand darin, daß
sie - bei einer unterstellten Tatzeit von 5.00 Uhr - etwa eine Stunde
nach der Tat, durch die zudem ein gewisser Ernüchterungseffekt
eingetreten sein mag, immer noch erkennbar angetrunken bei einem
Nachbarn klingelte und diesem in verwaschener Sprache mitteilte,
daß ihr Mann die ganze Nacht "gewüt" habe, jetzt im
Wohnzimmer liege und daß sie denke, er sei tot. Die gleichen
Angaben wiederholte sie sinngemäß einige Zeit
später auf Befragen gegenüber einem Polizeibeamten.
Den gegen 6.15 Uhr in ihrer Wohnung eintreffenden
Rettungssanitäter machte sie durch "Hallo"-Rufen auf sich
aufmerksam und verlangte, daß er ihren Blutdruck messe. Im
übrigen zeigte sie sich teilnahmslos. Aussagekräftige
Rückschlüsse auf eine erhaltene
Steuerungsfähigkeit lassen sich diesem der Situation kaum
angemessenen Verhalten nicht entnehmen (zu psychodiagnostischen
Kriterien vgl. auch BGHR StGB § 21 - Blutalkoholkonzentration
34 m.w.N.).
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache. Sollten in der neuen Verhandlung
zur Alkoholisierung der Angeklagten im Tatzeitpunkt keine genaueren
Feststellungen möglich sein, wird eine Strafbarkeit der
Angeklagten wegen Vollrausches (§ 323a StGB) in Betracht zu
ziehen sein. Für den Fall der erneuten Feststellung einer
lediglich verminderten Steuerungsfähigkeit wird der neue
Tatrichter im Rahmen der Prüfung eines minder schweren Falles
des Totschlags die Gewaltbereitschaft des späteren Tatopfers
zu berücksichtigen haben; zur Bewertung der
Handlungsintensität bei erheblicher alkoholbedingter
Enthemmung vgl. Tröndle/Fischer, 50. Aufl., § 46 Rdn.
28, 33 m.w.N.
Harms Basdorf Tepperwien
Raum Brause
1
- 6 - |