BGH,
Beschl. v. 13.6.2002 - 4 StR 51/02
4 StR 51/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
13. Juni 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 13. Juni
2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B. und S. wird das Urteil des
Landgerichts Schwerin vom 27. Juni 2001, soweit es sie betrifft,
a) in den Schuldsprüchen dahin geändert,
daß die Angeklagten jeweils statt des Totschlags des
versuchten Totschlags schuldig sind;
b) in den Aussprüchen über die Einzelstrafen im Fall
II 2 der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafen mit
den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten B. und S. wegen Totschlags und
versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung, den Angeklagten S. darüber hinaus
wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung in einem weiteren Fall zu
Gesamtfreiheitsstrafen von sechs Jahren (B. ) und sechs Jahren und neun
Monaten (S. ) verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die
Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung
materiellen Rechts rügen; der Angeklagte B. beanstandet
darüber hinaus das Verfahren.
Die - nicht ausgeführte - Verfahrensrüge des
Angeklagten B. ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2
StPO). Mit den Sachrügen haben die Rechtsmittel nur im
Hinblick auf das Tötungsdelikt zum Nachteil des
Jürgen Se. Erfolg; im übrigen sind sie
unbegründet im Sinne des § 349 Abs 2 StPO.
1. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten B. und S.
hätten sich im Fall II 2 der Urteilsgründe des
vollendeten Totschlags (durch Unterlassen) schuldig gemacht,
hält rechtlicher Überprüfung nicht stand:
a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen wollten die Angeklagten
gemeinsam mit den Mitangeklagten M. , J. und A. in einem
Abrißhaus Obdachlosen - notfalls mit Gewalt - Geld abnehmen
(Fall II 1). In Ausführung dieses Vorhabens weckte der
Mitangeklagte A. den dort schlafenden Jürgen Se. und verlangte
von ihm die Herausgabe von Geld. Als dieser angab, kein Geld zu haben,
schlug A. ihm mit der Faust mehrmals ins Gesicht und durchsuchte seine
Jackentaschen, fand aber nichts. Daraufhin mißhandelten ihn
auch die übrigen Angeklagten. Nachdem sie das Haus verlassen
hatten, befürchteten die Angeklagten, die Verletzungen
könnten möglicherweise zum Tod des Jürgen
Se. geführt haben. Sie kehrten später zu dem
Gebäude zurück, auch, um sich über den
Gesundheitszustand des Se. zu vergewissern (Fall II 2). Als sie ihn
noch lebend vorfanden und er (wahrheitswidrig) angab, ihm seien gerade
2000.- DM geraubt worden, mißhandelten ihn die Mitangeklagten
J. , M. und A. - insbesondere durch Tritte - weiter, diesmal mit
(mindestens) bedingtem Tötungsvorsatz. Die Angeklagten B. und
S. beteiligten sich hieran nicht, sondern schauten wortlos zu. Dann
verließen die Angeklagten das Haus. Zu diesem Zeitpunkt lebte
Jürgen Se. noch. Er verstarb schließlich aufgrund
der erlittenen massiven Gewalteinwirkungen, wobei ihm die todbringenden
Verletzungen möglicherweise bereits im ersten Tatkomplex (Fall
II 1) beigebracht worden sind; die Mißhandlungen im zweiten
Tatkomplex (Fall II 2) haben den Todeseintritt jedoch beschleunigt (UA
25 f.). Das Leben des Jürgen Se. hätte "mit einiger
Wahrscheinlichkeit gerettet werden können, wenn er [noch im
zweiten Tatkomplex] umgehend ärztlicher Hilfe
zugeführt worden wäre" (UA 15).
b) Das Landgericht geht davon aus, daß sich die Angeklagten
B. und S. im Fall II 2 jeweils des (vollendeten) Totschlags durch
Unterlassen (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB) schuldig
gemacht haben, weil sie wegen ihrer Beteiligung an der
lebensgefährlichen Behandlung des Opfers im ersten Tatkomplex
die Pflicht gehabt hätten, weitere Gefahren für
dessen Leben abzuwenden. Den beiden Angeklagten sei es auch zumutbar
und möglich gewesen, wenigstens verbal zu versuchen, das Tun
der anderen aufzuhalten. Wenn sie den Tatort verlassen hätten,
nachdem offenbar geworden sei, daß der Geschädigte
erneut tätlich angegriffen wurde, so wären "die
weiteren massiven Tritte wahrscheinlich unterblieben".
Außerdem hätten die Angeklagten einen Notarzt
alarmieren können. Mit der Todesfolge hätten sie
gerechnet und sie billigend in Kauf genommen (UA 37 f.).
c) Diese rechtliche Wertung hält der Nachprüfung
insofern nicht stand, als - was die Revisionen zu Recht beanstanden -
nicht festgestellt ist, daß durch ein Eingreifen der
Angeklagten B. und S. der Tod des Jürgen Se. , so wie er
konkret eingetreten ist (vgl. BGH NStZ 1981, 218; 1985, 26, 27; StV
1986, 59), mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert
worden wäre; denn nur dann könnte das Unterlassen
für den konkreten Todeseintritt ursächlich geworden
sein (vgl. BGHSt 6, 1, 2; 43, 381, 397; BGH NStZ 2000, 583). Allein,
daß die Mißhandlungen im zweiten Tatkomplex durch
die Angeklagten "wahrscheinlich" hätten unterbunden werden
können und daß "einige Wahrscheinlichkeit" der
Lebensrettung bestanden hat, reicht hierfür nicht aus. Nach
der Gesamtheit der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen haben
sich die Angeklagten B. und S. im Fall II 2 jeweils (lediglich) wegen
vers2uchten Totschlags (durch Unterlassen) strafbar gemacht (vgl. BGHSt
38, 356, 358 ff.; 40, 257, 270 ff.; BGH NStZ 2000, 414, 415). Da in
einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen, die eine
Verurteilung wegen vollendeten Totschlags (durch Unterlassen oder durch
aktives Tun in Mittäterschaft) tragen könnten, nicht
zu erwarten sind, ändert der Senat die Schuldsprüche
entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil
sich die Angeklagten gegen die geänderten
Schuldsprüche nicht wirksamer als bisher hätten
verteidigen können.
2. Die Änderung der Schuldsprüche führt zur
Aufhebung der im Fall II 2 verhängten Einzelstrafen und der
Gesamtstrafen, weil nicht auszuschließen ist, daß
das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung niedrigere
Strafen verhängt hätte. Die übrigen
Einzelstrafen können bestehen bleiben, denn sie werden von dem
Rechtsfehler nicht berührt.
3. Da sich das weitere Verfahren nur noch gegen Erwachsene richtet,
verweist der Senat die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer
Verhandlung und Entscheidung an eine als Schwurgericht
zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl.
BGHSt 35, 267).
Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanovic Ernemann
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