BGH,
Beschl. v. 13.6.2006 - 4 StR 123/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 123/06
vom
13.6.2006
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 13.06.2006 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 22. Dezember 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf
eine Verfahrensrüge und die Sachrüge
gestützte Revision des Beschuldigten erweist sich als
unbegründet.
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1. Die erhobene Verfahrensrüge ist bereits
unzulässig, da sie - wie der Generalbundesanwalt in seiner
Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - nicht den
Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.
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2. Das Rechtsmittel hat auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht im
Ergebnis keinen Erfolg. Näherer Erörterung bedarf
insoweit nur die Annahme des Landgerichts, der Beschuldigte habe durch
sein Verhalten auch den objektiven Tatbestand eines
gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr
(§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) und einer gefährlichen
Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB)
verwirklicht.
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a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen bestieg der Beschuldigte
in Straubing ein Taxi, um sich zum Flughafen München fahren zu
lassen. Auf der Bundesautobahn A 92 gab er plötzlich vor,
einen Herzinfarkt zu haben und keine Luft mehr zu bekommen. Als die
Taxifahrerin daraufhin die Fahrt verlangsamte, um auf dem
Seitenstreifen anzuhalten und einen Notarzt zu benachrichtigen, war der
auf dem Beifahrersitz sitzende Beschuldigte damit nicht einverstanden
und bestand auf eine Weiterfahrt. Er griff unvermittelt in das Lenkrad
des Taxifahrzeugs, so dass dieses ins Schlingern geriet. Die
Taxifahrerin konnte das Fahrzeug jedoch wieder unter Kontrolle bringen,
hielt auf dem Seitenstreifen an und weigerte sich weiterzufahren.
Anschließend stieg sie aus dem Taxi aus und entfernte sich
unter Mitnahme der Fahrzeugschlüssel einige Meter. Der
Beschuldigte nahm darauf hin ihre Verfolgung auf, warf sie zu Boden und
entnahm aus ihrer Jackentasche einen Autoschlüssel. Nachdem er
festgestellt hatte, dass es sich nicht um die zu dem Taxi passenden
Fahrzeugschlüssel handelte, verfolgte er die Taxifahrerin
erneut und stieß sie - als er sie erreicht hatte - wiederum
zu Boden. Die Taxifahrerin fiel dabei seitlich auf die rechte Fahrspur
der viel befahrenen Bundesautobahn A 92. Ihr Kopf kam in Richtung
Mittelleitplanke ungefähr auf der Höhe des
Mittelstreifens zu liegen. Sodann setzte sich der Beschuldigte auf die
Taxifahrerin und forderte sie auf weiterzufahren. Während die
Taxifahrerin dergestalt fixiert auf der Fahrbahn lag, fuhren mehrere
nachfolgende PKW mit hoher Geschwindigkeit dicht an ihrem Kopf vorbei.
Andere Fahrzeuge mussten ausweichen und auf die linke Fahrspur
wechseln, um sie und den Beschuldigten nicht zu überfahren.
Der Beschuldigte nahm hierbei die Gefährdung des nachfolgenden
Verkehrs sowie die lebensbedrohliche Lage der Taxifahrerin billigend in
Kauf. Durch den Sturz erlitt diese unter anderem Prellungen im rechten
Schulterbereich sowie Blutergüsse am Kopf und am Knie.
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b) Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten rechtlich als
einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr
(§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) gewertet. Zu der für die
(objektive) Tatbestandserfüllung erforderlichen (konkreten)
Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde
Sachen von bedeutendem Wert hat es ausgeführt, in der
konkreten Verkehrssituation habe es vom bloßen Zufall
abgehangen, ob es zu einem Überfahren der Taxifahrerin und des
Beschuldigten komme oder auf Grund eines Ausweichmanövers
eines der sich mit hoher Geschwindigkeit herannähernden
Fahrzeuge zu einem sonstigen Verkehrsunfall. Dies hält
rechtlicher Nachprüfung stand.
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aa) Als taugliche Tathandlung im Sinne des § 315 b Abs. 1 Nr.
3 StGB kam zunächst der Griff des Beschuldigten in das Lenkrad
des Taxi in Betracht. Allerdings hat der Senat in einer
früheren Entscheidung (NZV 1990, 35 mit Anm. Molketin) die
Auffassung vertreten, bei einem Griff des Beifahrers in das
Fahrzeuglenkrad liege ein gefährlicher Eingriff nur vor, wenn
der Täter in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem
Eingriff zu pervertieren, es müsse ihm darauf ankommen, durch
diesen in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen.
Soll hingegen nur auf einen Verkehrsvorgang Einfluss genommen werden,
etwa zur Erzwingung eines bestimmten Fahrverhaltens, so seien die
Voraussetzungen des § 315 b StGB nicht gegeben (vgl. hierzu
kritisch König in LK 11. Aufl. § 315 b Rdn. 54).
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bb) Ob an dieser Rechtsauffassung uneingeschränkt festzuhalten
ist, bedarf hier keiner Entscheidung, da der Beschuldigte jedenfalls
(objektiv) die Tatbestandsvariante des § 315 b Abs.1 Nr. 2
StGB verwirklicht hat. Indem er die Taxifahrerin dergestalt zu Boden
stieß, dass sie quer auf der rechten Fahrspur einer
Bundesautobahn zu liegen kam, und sich anschließend auf sie
setzte, hat er die Sicherheit des Straßenverkehrs durch das
Bereiten eines Hinder-
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nisses beeinträchtigt. Da diese Tathandlung nicht im Rahmen
der Teilnahme am Straßenverkehr erfolgte (sog.
„Außeneingriff“), war für die
Tatbestandserfüllung eine besondere verkehrsfeindliche
Einstellung des Täters nicht erforderlich (vgl. hierzu BGHSt
48, 233, 236 f.; BGHR StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 2
Hindernisbereiten 3). Das Verhalten des Beschuldigten hat auch zu einer
konkreten Gefährdung eines der in § 315 b Abs. 1 StGB
bezeichneten Rechtsgüter geführt. Eine solche kann
entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts allerdings nicht
bereits daraus hergeleitet werden, dass die Taxifahrerin durch den
Sturz auf die Fahrbahn verletzt worden ist. § 315 b Abs. 1
StGB setzt in allen Tatbestandsvarianten eine besondere kausale
Verknüpfung zwischen Gefährdungshandlung und
Gefährdungserfolg voraus. Erforderlich ist, dass die
Tathandlung eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit des
Straßenverkehrs bewirkt, die sich zu einer konkreten Gefahr
für das Schutzobjekt verdichtet (BGHSt 48, 119, 122). Der
Sturz der Taxifahrerin, der zu ihren Verletzungen führte, war
indes nicht die Folge einer abstrakten Verkehrsgefahr, sondern
umgekehrt die Ursache dafür, dass eine solche Gefahr
überhaupt erst entstand. Das Landgericht hat jedoch angesichts
der hier gegebenen besonderen Umstände - vollständige
Blockade der Fahrspur einer viel befahrenen Bundesautobahn durch ein
schlecht wahrnehmbares Hindernis, mit hoher Geschwindigkeit
nachfolgender Verkehr - rechtsfehlerfrei eine konkrete
Gefährdung der herannahenden nachfolgenden Fahrzeuge und deren
Insassen bejaht.
c) Die Annahme des Landgerichts, der Beschuldigte habe auch den
objektiven Tatbestand einer gefährlichen
Körperverletzung verwirklicht, begegnet hingegen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB
setzt voraus, dass die Körperverletzung „mittels
einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen
wird. Erforderlich, aber auch genügend ist, dass die Art der
Behandlung durch den Täter nach den Umständen des
Einzelfalls (generell)
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geeignet ist, das Leben zu gefährden (st. Rspr.; vgl. nur
Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 224 Rdn. 12). Die
getroffenen Feststellungen belegen indes nicht, dass die Art der
Behandlung - hier: Stoßen auf den Boden - bereits
für sich als lebensbedrohend in diesem Sinne angesehen werden
kann. Der - für das Landgericht ersichtlich
maßgebliche - Umstand, dass es infolge der durch den
Stoß verursachten Lage des Tatopfers auf der Fahrbahn zu
einem nachfolgenden, sein Leben bedrohendem Unfallgeschehen
hätte kommen können, ist für die rechtliche
Bewertung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB
ohne Relevanz. In diesem Fall würde der
Körperverletzungserfolg erst durch den nachfolgenden Unfall,
nicht aber „mittels“ der Art der Behandlung durch
den Täter eintreten (vgl. auch Senat, Urteil vom 22. Dezember
2005 - 4 StR 347/05 zu § 224 Abs.1 Nr. 2 StGB). Das Verhalten
des Beschuldigten stellt sich danach „nur“ als eine
vorsätzliche (einfache) Körperverletzung (§
223 StGB) dar.
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d) Der aufgezeigte Rechtsfehler gefährdet jedoch nicht den
Bestand des Maßregelausspruchs. Das Landgericht hat die
Voraussetzungen des § 63 StGB rechtsfehlerfrei dargetan. Es
hat mit zutreffenden Erwägungen ausgeführt, dass von
dem Beschuldigten infolge seines Zustandes auch in Zukunft erhebliche
rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die
Allgemeinheit gefährlich ist. Diese Einschätzung wird
durch die dargestellte rechtlich fehlerhafte Beurteilung einer der
insgesamt fünf Anlasstaten nicht berührt.
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Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Ernemann |