BGH,
Beschl. v. 13.6.2006 - 4 StR 178/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 178/06
vom
13.6.2006
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13.06.2006
gemäß §§ 206 a, 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Saarbrücken vom 14.10.2005
a) im Schuldspruch zu a) (Tatzeitraum Januar 1996 bis 18. März
1998) dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung
wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen entfällt,
b) im Schuldspruch zu b) aufgehoben, soweit er die Verurteilung wegen
sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 54 Fällen
(Tatzeitraum 19. März 1998 bis 31. März 1999)
betrifft. In diesem Umfang wird das Verfahren eingestellt und werden
die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten erwachsenen
notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt;
c) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der
Taten im Tatzeitraum 19. März 2000 bis 24. April 2005
(Schuldspruch zu c und d) verurteilt worden ist, sowie im
Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung zu Nr. 1 Buchstabe c) wird die Sache zu
neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als
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Jugendschutzkammer zuständige Jugendkammer
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten
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a) des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit
sexuellem Missbrauch eines Kindes in 22 Fällen (Tatzeitraum 1.
Januar 1996 bis 18. März 1998),
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b) des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 104 weiteren
Fällen (Tatzeitraum 19. März 1998 bis 18.
März 2000),
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c) des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit
Vergewaltigung in 104 weiteren Fällen (Tatzeitraum 19.
März 2000 bis 18. März 2002) sowie
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d) der Vergewaltigung in 45 weiteren Fällen (Tatzeitraum
Anfang Juli 2004 bis 24. April 2005)
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für schuldig befunden und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet
sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren
beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das
Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang
Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen der insgesamt zum
Nachteil seiner am 19. März 1984 geborenen Stieftochter
begangenen Taten hinsichtlich der sexuellen Übergriffe im
Tatzeitraum bis zum 31. März 1999 wegen sexuellen Missbrauchs
einer Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB)
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für schuldig befunden hat, ist mit Blick auf die erst am 1.
April 2004 in Kraft getretene Änderung der Ruhensvorschrift
des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 (Gesetz vom 27. Dezember 2003, BGBl I
3007/3011) Verfolgungsverjährung eingetreten (vgl. BGHR StGB
§ 78 b Abs. 1 Ruhen 12). Dies hat zur Folge, dass der
Schuldspruch zu a) wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen
in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes in 22
Fällen (Taten bis 18. März 1998) dahin zu
ändern ist, dass der Angeklagte in diesen Fällen
allein des sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1
a.F. StGB) schuldig ist. Die insoweit ausgeworfenen
Einzelfreiheitsstrafen können gleichwohl bestehen bleiben,
weil sich der Schuldgehalt der Taten durch den Wegfall der
tateinheitlichen Verurteilung nach § 174 StGB nicht
rechtserheblich ändert. Des weiteren führt die
eingetretene Verfolgungsverjährung dazu, dass das Urteil
aufzuheben und das Verfahren einzustellen ist, soweit der Angeklagte
wegen der weiteren, bis zum 31. März 1999 begangenen sexuellen
Übergriffe verurteilt worden ist. Davon betroffen sind, wie
der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 11.05.2006
zutreffend ausgeführt hat, 54 der vom Schuldspruch zu b)
erfassten insgesamt 104 Fälle, so dass der Angeklagte insoweit
des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in lediglich 50
Fällen, begangen im Zeitraum vom 1. April 1999 bis 18.
März 2000, schuldig ist. Der Wegfall der Verurteilung wegen
54fachen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen zieht den Wegfall
der insoweit verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils
einem Jahr und drei Monaten nach sich, was schon für sich zur
Aufhebung auch des Gesamtstrafenausspruchs führen
würde.
2. Im Übrigen hat das Urteil insgesamt keinen Bestand, soweit
der Angeklagte des weiteren der Vergewaltigung zum Nachteil seiner
Stieftochter in insgesamt 149 Fällen, davon hinsichtlich des
Tatzeitraums vom 19. März 2000 bis zum 18. März 2002
in 104 Fällen tateinheitlich begangen mit sexuellem Miss-
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brauch einer Schutzbefohlenen, für schuldig befunden worden
ist (Schuldspruch zu c und d). Wie die Revision zu Recht geltend macht,
ist nicht hinreichend belegt, dass der Angeklagte den
Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter in allen Fällen
durch tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne des
§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB erzwungen hat.
a) Die Jugendkammer hat zu Gunsten des Angeklagten angenommen, dass der
erste Geschlechtsverkehr des Angeklagten mit seiner Stieftochter nach
deren 16. Geburtstag stattgefunden hat. Nach den dazu getroffenen
Feststellungen fing der Angeklagte zunächst an, sich vor
seiner Stieftochter zu befriedigen, bevor er sich plötzlich
auf sie legte, ihren Slip herunterzog und sein Glied in ihre Scheide
einführte. Sie versuchte vergeblich, den Angeklagten
wegzudrücken, was ihr auf Grund seiner körperlichen
Überlegenheit nicht gelang. In der Folgezeit nahm der
Angeklagte jede Gelegenheit wahr, mit ihr den Geschlechtsverkehr bis
zum Samenerguss durchzuführen. Weiter heißt es im
angefochtenen Urteil: "Hierbei nutzte der Angeklagte zum einen die
Angst der Nebenklägerin aus, wenn sie nicht mitmache, dann
verlasse er ihre Mutter. Au-ßerdem drohte er ihr, sie kaputt
zu schlagen, wenn sie nicht mitmache und etwas erzähle. Diese
Drohung nahm die Nebenklägerin auch ernst. Sie hatte Angst vor
dem Angeklagten" (UA 9).
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b) Diese Feststellungen belegen weder das Tatbestandsmerkmal der
qualifizierten Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für
Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) noch die
erforderliche finale Verknüpfung des Nötigungsmittels
mit dem - wie das Landgericht annimmt - jeweils erzwungenen
Geschlechtsverkehr in allen sich insgesamt über einen Zeitraum
von fünf Jahren erstreckenden Fällen. Allerdings kann
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einmal angewandte Gewalt
als Drohung im Sinne des § 177 Abs. 1
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Nr. 2 StGB fortwirken und dazu führen, dass das Opfer nur aus
Furcht vor weiterer Gewalt keinen nennenswerten Widerstand mehr
leistet; es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass bei lang
andauernden Missbrauchsverhältnissen immer Gewalt angewendet
oder ein Nötigungsmittel im Sinne des § 177 StGB
eingesetzt wird (BGHSt 42, 107, 111). Deshalb müssen die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 StGB auch bei einer
länger dauernden Serie von Tathandlungen
grundsätzlich für jede Tat konkret und
individualisiert festgestellt werden (BGHSt aaO). Geringere
Anforderungen an den Nachweis sind nur hinzunehmen, wenn sich der
Tatrichter im Einzelfall die Überzeugung eines von dem
Täter erzeugten und bewusst eingesetzten "Klimas
ständiger Gewalt" verschafft (vgl. BGHR StGB § 177
Serienstraftaten 4 und § 177 Abs. 1 Drohung 11 a.E.).
An diesen Voraussetzungen scheitert es vorliegend schon deshalb, weil
der Angeklagte ausweislich der Feststellungen gegen seine Stieftochter
mit Ausnahme eines Vorkommnisses, welches sich zudem erst ganz zum
Schluss des Tatzeitraums und ohne jeglichen Zusammenhang mit dem
Tatgeschehen ereignete (UA 11), nicht gewalttätig geworden
ist. Soweit der Angeklagte damit gedroht hat, im Weigerungsfalle die
Mutter zu verlassen, sowie hinsichtlich der 15 Fälle des
Tatgeschehens in der eigenen Wohnung der Stieftochter im April 2005
angedroht hat, er würde im Weigerungsfalle "mit seinem Auto in
ihr Wohnzimmerfenster reinfahren und die Wohnung kurz und klein
schlagen" (UA 11), erfüllt dies von vornherein nicht die
Voraussetzungen einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr
für Leib oder Leben. Anders verhält es sich
allerdings mit der festgestellten Drohung des Angeklagten, "sie kaputt
zu schlagen", wenn sie nicht mitmache und etwas erzähle" (UA
9). Doch fehlt es insoweit bereits an der konkreten Feststellung, zu
welchem Zeitpunkt innerhalb der Tatserie der Angeklagte diese Drohung
aussprach (vgl. UA 37). Darauf kommt es aber
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schon mit Blick auf den Nachweis des finalen und kausalen Zusammenhangs
zwischen der Drohung und den sexuellen Handlungen an, und zwar
unabhängig von der von der Revision aufgeworfenen Frage, ob
der Angeklagte mit der Drohung allein erreichen wollte, dass seine
Stieftochter über das Tatgeschehen nichts Dritten
erzähle. Angesichts dieser Mängel in den
Feststellungen genügt auch die das Tatgeschehen in der Dusche
betreffende Äußerung des Angeklagten, sie
„wisse, was passiere, wenn sie nicht mitmache“ (UA
10, 38), nicht, um eine fortwirkende konkludente qualifizierte Drohung
anzunehmen, zumal sich dieser Fall erst ereignete, nachdem die
Stieftochter im Juli 2004 nach mehr als zweijähriger
Unterbrechung wieder zu Hause bei dem Angeklagten eingezogen war.
Schließlich ist mit der Annahme eines von dem Angeklagten
erzeugten "Klimas ständiger Angst" auch nicht ohne weiteres
vereinbar, dass der Angeklagte und seine Stieftochter zu Hause immer
einen sehr engen körperlichen Kontakt suchten (UA 19; vgl.
auch UA 27).
c) Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des
Urteils in den Fällen der Verurteilung des Angeklagten wegen
Vergewaltigung (Schuldspruch zu c und d) insgesamt, auch wenn die
tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer
Schutzbefohlenen in 104 Fällen (Tatzeitraum 19. März
2000 bis 18. März 2002) für sich genommen keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist (vgl. BGHR StPO
§ 353 Aufhebung 1).
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Der Senat kann auch nicht die Verurteilung wegen Vergewaltigung (in
Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen)
hinsichtlich des ersten Falls des - nach Auffassung des Landgerichts
erzwungenen - Geschlechtsverkehrs bestehen lassen. Zwar können
die dazu getroffenen Feststellungen, denen zufolge - wie oben
ausgeführt - die Stieftochter den Angeklagten vergeblich
wegzudrücken versuchte (UA 8 a.E.), dahin verstanden werden,
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dass sich die Nebenklägerin hierbei gegen den sexuellen
Übergriff zur Wehr setzte und der Angeklagte ihren Widerstand
durch Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB
überwunden hat. Das Landgericht hat diese
Tatbestandsalternative indes, wie die rechtliche Würdigung (UA
36 f.) ergibt, nicht angenommen, sondern mit der unverändert
zugelassenen Anklage lediglich die Drohungsalternative des §
177 Abs. 1 Nr. 2 StGB als verwirklicht angesehen. Angesichts dessen
stünde einer Bestätigung des Schuldspruchs auf
veränderter rechtlicher Grundlage bereits § 265 StPO
entgegen.
3. Die Aufhebung des Urteils in den 149 Fällen der
Vergewaltigung (Schuldspruch zu c und d) entzieht auch den insoweit
verhängten Einzelstrafen die Grundlage und hat die Aufhebung
des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf
hin, dass der neue Tatrichter, falls er sich nicht vom Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 StGB in objektiver
und subjektiver Hinsicht zu überzeugen vermag, mit Blick auf
die von dem Angeklagten gegenüber seiner Stieftochter
geäußerten Drohungen insoweit auch eine Strafbarkeit
wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) in
Betracht zu ziehen haben wird.
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Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Ernemann |