BGH,
Beschl. v. 13.3.2002 - 1 StR 47/02
1 StR 47/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
13. März 2002
in der Strafsache gegen
wegen schweren Raubes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 13. März 2002
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 18. September 2001 mit den
Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten
in einer Entziehungsanstalt abgesehen ist.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Der Angeklagte wurde wegen schweren Raubes (§§ 249,
250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf
die Sachrüge gestützte Revision bleibt zum
Schuldspruch und zum Strafausspruch erfolglos (§ 349 Abs. 2
StPO), führt jedoch zur Aufhebung des Urteils, soweit von
einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen wurde (§ 349
Abs. 4 StPO; vgl. BGHSt 37, 5).
I.
1. Die Strafkammer hat festgestellt:
Um Geld aus einer Ladenkasse zu entwenden, spritzte der Angeklagte der
Kassiererin mit einem zu diesem Zweck mitgeführten Deo-Spray
aus etwa 60 cm Entfernung gezielt in das Gesicht. Als diese, wie von
ihm beabsichtigt, daraufhin in Folge des "Lidschlußreflexes"
die Augen schloß, entnahm er Geldscheine aus der offenen
Kasse. Die Kassiererin, die alsbald wieder die Augen öffnete,
versuchte letztlich vergeblich, den Angeklagten noch festzuhalten. Er
riß sich los und entkam mit einer Beute von 1.380 DM. Wie
auch vom Angeklagten erwartet, war das Deo nach der konkreten Art
seiner Verwendung ungeeignet, körperliche
Beeinträchtigungen herbeizuführen.
2. Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch:
a) Der Angeklagte hat dadurch Gewalt im Sinne des § 249 StGB
ausgeübt, daß er der Kassiererin die
Deodorantflüssigkeit in das Gesicht gespritzt hat.
Gewalt im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann vor, wenn durch
physische Einwirkung auf den Körper eines anderen bei diesem
eine physische Reaktion herbeigeführt wird, die dazu geeignet
und nach dem Willen des Täters dazu bestimmt ist, den von ihm
erwarteten Widerstand gegen die von ihm beabsichtigte Wegnahme zu
verhindern. Dabei genügt es auch, wenn der Täter zur
Einwirkung auf den Körper des Opfers ein Mittel - sei es fest,
flüssig oder gasförmig (zur Beibringung eines Schlaf-
oder Beruhigungsmittels vgl. BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 6
m. w. N.) - verwendet, ohne daß es darauf ankäme,
welche naturwissenschaftlichen (z.B. mechanische oder chemische)
Gesetzmäßigkeiten daraufhin letztlich die
körperliche Reaktion des Opfers hervorgerufen haben (vgl.
zusammenfassend Herdegen in LK 11. Aufl. § 249 Rdn. 6, 7 m. w.
N.).
b) All dies liegt hier vor. Der Angeklagte hat Flüssigkeit in
die Augen der Kassiererin gespritzt. Das dadurch hervorgerufene
Schließen ihrer Augen hat ihre
Widerstandsmöglichkeiten gegen die Wegnahme des Geldes
beeinträchtigt und dem Angeklagten das Ergreifen der
Geldscheine erleichtert.
3. Die Revision macht demgegenüber geltend, die Tat sei von
List und Schnelligkeit gekennzeichnet. Eine Handlung, die lediglich zu
einem kurzen reflexartigen Schließen der Augen
führe, sei nicht mit Gewalt vorgenommen. Schließlich
sei auch die Abwehrfähigkeit der Kassiererin nicht nennenswert
beeinträchtigt worden. Dies zeige sich daran, daß
die Kassiererin alsbald die Augen wieder geöffnet und sie,
wenn auch letztlich vergeblich, den Angeklagten jedenfalls
vorübergehend festgehalten habe.
Keiner dieser Einwände greift durch.
a) Allerdings erfüllt eine allein durch Schnelligkeit und List
gekennzeichnete Wegnahme wie z. B. das überraschende, aber
nicht mit besonderer Kraftanwendung verbundene Wegreißen
einer Handtasche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht
den Raubtatbestand (BGHSt 18, 329 ff., BGHR StGB § 249 Abs. 1
Gewalt 1, 2 und 4). Hier hat der Angeklagte jedoch nicht die
Überraschung der Kassiererin ausgenutzt, sondern ihre
physische Reaktion, die von einer für sie
überraschenden physischen Einwirkung auf ihren Körper
ausgelöst wurde. Insoweit gilt nichts anderes als bei der zur
Ermöglichung einer Wegnahme erfolgten Beibringung eines
Schlaf- oder Beruhigungsmittels, die ebenfalls als Gewalt im Sinne des
§ 249 StGB zu werten ist, auch wenn das Opfer ahnungslos ist
und der Täter keine besondere Kraft aufwenden muß
(BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewaltanwendung 6 m. w. N.).
b) Es führt auch zu keinem anderen Ergebnis, daß die
vom Angeklagten herbeigeführte physische Reaktion der
Kassiererin erwartungsgemäß nur kurz andauerte und
dementsprechend nur ebenso kurz vom Angeklagten genutzt werden konnte.
Entscheidend ist auch in diesem Zusammenhang, daß die
Wegnahme auf Grund der physischen Reaktion erfolgte und nicht, welcher
Zeitraum hierfür zur Verfügung stand. Daher ist auch
ohne Bedeutung, daß der Angeklagte in dieser Zeitspanne die
Tat zwar durch Ergreifen des Geldes vollenden, sie aber nicht auch
beenden konnte, sondern sich losreißen mußte,
nachdem ihn die Kassiererin festhalten wollte.
c) Schließlich ist für den Schuldspruch ohne
Bedeutung, daß die Folge des Handelns des Angeklagten bei der
Kassiererin, ein kurzfristiges Schließen der Augen,
für sich genommen geringfügig ist. Gewalt gegen eine
Person muß keine gegenwärtige Leibes- oder
Lebensgefahr bewirken (BGHSt 18, 75, 76). Es genügt, wenn beim
Opfer eine von dessen Willen unabhängige physische Reaktion
eintritt, die seine Widerstandsmöglichkeiten gegen die
Wegnahme beeinträchtigt (vgl. Herdegen aaO). Dies ist hier der
Fall. Die Kassiererin konnte nicht verhindern, daß sie die
Augen schloß, als ihr der Angeklagte gezielt ins Gesicht
spritzte. Dadurch konnte er in die Kasse greifen.
4. Nach alledem hat der Angeklagte Gewalt im Sinne des § 249
StGB angewandt. Da er hierzu das von ihm zu diesem Zwecke
mitgeführte Deo-Spray verwendete, hat die Strafkammer
zutreffend einen schweren Raub gemäß § 250
Abs. 1 Nr. 1 b StGB bejaht (vgl. BGH StV 1998, 660; Boetticher/ Sander
NStZ 1999, 292, 294 f. m. w. N.).
5. Der Strafausspruch hält rechtlicher
Überprüfung stand. Insoweit verweist der Senat auf
die Ausführungen im Antrag des Generalbundesanwalts vom 14.
Februar 2002.
II.
Die Erwägungen, aus denen heraus die Strafkammer von einer
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen
hat, halten dagegen rechtlicher Überprüfung nicht
stand:
1. Der Angeklagte ist heroinabhängig. Er war bereits 1997
wegen schweren Raubs zu Freiheitsstrafe verurteilt und in einer
Entziehungsanstalt untergebracht worden, weil er eine Spielhalle
überfallen hatte, um sich Geld für Drogen zu
beschaffen. Die Reststrafe und der weitere Vollzug der
Maßregel wurden dann bis 2004 zur Bewährung
ausgesetzt. Der Angeklagte war von 1997 bis 2000 drogenfrei, wurde dann
aber wieder rückfällig.
2. Auch die hier abgeurteilte Tat geht auf die
Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten
zurück, der sich Geld für Drogen beschaffen wollte.
Nach sachverständiger Beratung geht die Strafkammer davon aus,
daß die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tat
im Hinblick auf drohende Entzugserscheinungen erheblich vermindert
(§ 21 StGB) war.
3. Gleichwohl ist die Strafkammer der naheliegenden
Möglichkeit einer Unterbringungsanordnung
gemäß § 64 StGB nicht näher
nachgegangen. Sie hält dies im Hinblick auf die
frühere Unterbringungsanordnung nicht für
erforderlich. Die dem Angeklagten insoweit zugebilligte Aussetzung zur
Bewährung könne widerrufen werden. Aus § 67f
StGB ergibt sich jedoch, daß von einer an sich gebotenen
Unterbringungsanordnung nicht deshalb abgesehen werden kann, weil eine
bereits früher angeordnete und noch vollstreckbare
Unterbringungsanordnung besteht. Vielmehr ist mit der Rechtskraft der
späteren Anordnung die frühere erledigt (vgl. BGH
NStZ 1992, 432; Beschluß vom 17. Juli 1997 - 4 StR 314/97;
Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 64 Rdn. 15,
§ 67f Rdn. 1 m. w. N.). Daher muß hier über
die Möglichkeit einer Unterbringung neu befunden werden.
4. Im Einzelfall kann auch ein für sich genommen
rechtsfehlerfreier Strafausspruch (vgl. oben I. 5.) bei einer zu
Unrecht unterbliebenen Unterbringungsanordnung aufzuheben sein, sofern
nicht auszuschließen ist, daß bei einer
Unterbringungsanordnung eine niedrigere Strafe verhängt worden
wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da die Strafkammer
von der Möglichkeit der Vollstreckung einer anderweitig
erfolgten Unterbringungsanordnung ausgeht.
Schäfer Nack Wahl
Boetticher Kolz |