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BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 5 StR 401/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 13.10.2005 - 5 StR 401/05
5 StR 401/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
13.10.2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13.10.2005
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Leipzig vom 24.05.2005 wird nach § 349 Abs. 2
StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und
die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen warf der Angeklagte
mit unbedingtem Tötungsvorsatz sein acht Monate altes Kind vom Balkon
aus einer Höhe von 10,70 m in die Tiefe und sprang, nachdem er seine ausweglose
Lage erkannt hatte, aufgrund eines spontan gefassten Entschlusses
zur Selbsttötung hinterher. Beide überlebten mit erheblichen Verletzungen.
Für die Beurteilung der Tat kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte kurz
zuvor seiner Partnerin, der Mutter des gemeinsamen Kindes, angekündigt
hat, gemeinsam mit dem Kind vom Balkon zu springen. Dafür ist insbesondere
bedeutsam, dass der Angeklagte in der Zeit zuvor seiner Partnerin mehrfach
angedroht hatte, das Kind - im Fall der Auflösung der Partnerschaft
durch die Partnerin - „über den Balkon zu werfen“ oder „aus dem Fenster zu
schmeißen“. Auch zu der Tante der Partnerin des Angeklagten hatte dieser
bei mindestens drei Gelegenheiten sinngemäß gesagt, dass er das Kind
„auch vom Balkon werfen“ könne, ihm sei es egal, ob er „in den Knast“ gehe.
Diese vielfach geäußerten Androhungen der schließlich begangenen Tat
würden den - sonst für den Grad der Schuldfähigkeit und die Strafzumes-
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sung in Betracht kommenden - Bedeutungswert einer etwaigen Ankündigung
des Angeklagten kurz vor der Tat, er werde gemeinsam mit dem Kind vom
Balkon springen, bis zur Bedeutungslosigkeit relativieren.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass das Landgericht, das den Angeklagten
insoweit allein wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung verurteilt hat, das Vorliegen eines versuchten Mordes mit
nicht tragfähigen Begründungen verneint hat.
So hat das Landgericht bei der Verneinung von Heimtücke allein darauf abgestellt,
dass das achtmonatige Kind noch nicht fähig war, Argwohn zu hegen.
Dabei ist übersehen worden, dass bei der Tötung von Kleinkindern die
Heimtücke in der Ausnutzung der Arglosigkeit schutzbereiter Dritter liegen
kann (vgl. BGHSt 3, 330, 332; 8, 216; Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdn. 42).
Hier hatte der Angeklagte der Mutter des Kindes drei kräftige Faustschläge
ins Gesicht versetzt, so dass sie kurze Zeit benommen war. „Diesen Augenblick
bewusst erkennend und ausnutzend“ (UA S. 10), ergriff der Angeklagte
das Kind und warf es schließlich vom Balkon. Danach ist heimtückisches
Handeln kaum ausschließbar.
Bei der Verneinung des Vorliegens niedriger Beweggründe ist das Landgericht
davon ausgegangen, dass es das Motiv des Angeklagten zur Tötung
des Kindes war, seine Partnerin für die von ihr beabsichtigte Trennung zu
bestrafen und sich an der Partnerin zu rächen. Zu Recht hat das Landgericht
angenommen, dass dieses Motiv nach allgemeiner Wertung sittlich auf tiefster
Stufe steht und besonders verachtenswert ist (vgl. BGH, Urt. vom
8. August 2001 - 3 StR 162/01). Soweit das Landgericht gleichwohl „insbesondere
aufgrund des soziokulturellen und religiösen Hintergrundes der Beziehung“
sich nicht davon hat überzeugen können, dass der Angeklagte die
Niedrigkeit seiner Beweggründe auch erkannt hat, ist dies nicht nachvollziehbar.
Unabhängig von der Frage, in welchem Umfang eigentümliche
Wertvorstellungen des heimatlichen Kulturkreises eines Täters für das etwai-
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ge Vorliegen niedriger Beweggründe von Bedeutung sind (vgl. Jähnke aaO
§ 211 Rdn. 37; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 211 Rdn. 14), ist auszuschließen,
dass die Zivilisation oder die Religion, die den aus Algerien stammenden
Angeklagten geprägt haben, dessen Motiv für die Tötung des Kindes
etwa billigen würden.
Harms Häger Basdorf
Gerhardt Raum


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