BGH,
Beschl. v. 13.9.2001 - 3 StR 269/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 269/01
vom
13. September 2001
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
13. September 2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Wuppertal vom 16. März 2001 im Strafausspruch
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von
Kindern, schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern und wegen
Verbreitung
pornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier
Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des
Angeklagten
mit der allgemeinen Sachrüge und mit Einzelbeanstandungen zum
Strafausspruch.
Während die Überprüfung des Schuldspruchs
keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben hat, hält der Strafausspruch
rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall II. 4. der
Urteilsgründe
des schweren sexuellen Mißbrauchs gemäß
§ 176 a Abs. 1 Nr. 4 StGB schul-
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dig gesprochen, weil der Angeklagte bereits 1997 wegen sexuellen
Mißbrauchs
von Kindern in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt
worden war. Bei
der Ablehnung eines minder schweren Falles (§ 176 a Abs. 3
StGB) und bei
der konkreten Strafzumessung dieser Einzelstrafe hat das Landgericht zu
Lasten
des Angeklagten berücksichtigt, daß er
"einschlägig" vorbestraft ist. Diese
Wertung ist rechtsfehlerhaft.
a) Bestimmte Formen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern sind
in
§ 176 a Abs. 1 und 2 StGB als schwerer sexueller
Mißbrauch qualifiziert und
mit erhöhter Mindest- und Höchststrafe bedroht. Die
Qualifikationen knüpfen an
bestimmte Tatmodalitäten (Abs. 1 Nr. 1 und 2), an bestimmte
Tatfolgen (Abs. 1
Nr. 3) bzw. an mit der Tat verbundene weitere Absichten des
Täters (Abs. 2)
an.
Die Qualifikation nach Abs. 1 Nr. 4 setzt voraus, daß der
Täter innerhalb
der letzten fünf Jahre wegen einer Straftat nach §
176 Abs. 1 oder 2 StGB
rechtskräftig verurteilt worden ist. Der gleichartige
Rückfall des Täters macht
die neue Tat zum Verbrechen. Unter Hinweis auf die Kritik, der sich
frühere
Rückfallvorschriften des StGB gegenübergesehen hatten
und die 1986 zur
Aufhebung der zuletzt geltenden Rückfallvorschrift des
§ 48 StGB a.F. geführt
hatte, wird in der Literatur gefordert, § 176 a Abs. 1 Nr. 4
StGB wie folgt einschränkend
auszulegen: Die Anwendung der Qualifikation erfordere, daß dem
Angeklagten im Hinblick auf Art und Umstände der Tat
vorzuwerfen sei, daß er
sich frühere Verurteilungen nicht habe zur Warnung dienen
lassen; dies müßten
die Gerichte in jedem Einzelfall prüfen (Renzikowski NStZ
1999, 440, 441;
Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl.
§ 176 a Rdn. 7; Tröndle/
Fischer, StGB 50. Aufl. § 176 a Rdn. 8). Diese Ansicht
knüpft an die verfassungsgerichtliche
Rechtsprechung des § 48 StGB a.F. (BVerfGE 50, 134 =
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NJW 1979, 1037) an. Bei der Entscheidung, daß § 48
StGB a.F. mit dem
grundgesetzlich verbürgten Schuldgrundsatz vereinbar war, hat
das Bundesverfassungsgericht
auf den Gesetzeswortlaut abgehoben, wonach dem Täter
"im Hinblick auf Art und Umstände der [neuen] Straftaten
vorzuwerfen [sein
mußte], daß er sich die früheren
Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen
lassen". Der Gesetzgeber hatte demnach die Anwendung des § 48
StGB a.F.
davon abhängig gemacht, daß den Täter im
konkreten Fall im Blick auf die
Warnfunktion der Vorverurteilungen ein verstärkter
Schuldvorwurf traf.
Der Senat muß nicht entscheiden, ob dieser Auffassung bei der
Auslegung
des § 176 a Abs. 1 Nr. 4 StGB zu folgen ist. Ihr
könnte entgegenstehen,
daß die von ihr in Anspruch genommene Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts
zu einer allgemeinen Rückfallbestimmung ergangen ist, die auch
dem ungleichartigen Rückfall strafschärfende Wirkung
beigelegt hat. In dieser
Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht Umstände
aufgeführt, die
dem Tatrichter als mögliche Anhaltspunkte für eine
Warnfunktion dienen können:
ein "innerer Zusammenhang" bzw. ein "kriminologisch faßbarer
Zusammenhang"
zwischen den Vortaten und der neuen Tat, eine "bestimmte kriminelle
Kontinuität" oder ein "tatschuldrelevanter Zusammenhang" (vgl.
BVerfG
NJW 1979, 1037, 1038). Solche Anhaltspunkte sind aber dem gleichartigen
Rückfall beim sexuellen Mißbrauch von Kindern
immanent, so daß es der geforderten
ausdrücklichen Einzelfallprüfung einer solchen
Warnfunktion der
Vorverurteilung nicht bedürfte.
Das Erfordernis ausdrücklicher Prüfung einer
Warnfunktion kann hier
dahinstehen, denn dem Angeklagten ist hier in jedem Fall ein
verstärkter
Schuldvorwurf zu machen: Er ist im September 1997 wegen sexuellen
Mißbrauchs
von Kindern in zwei Fällen, begangen u.a. an einem der
Tatopfer der
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jetzt abzuurteilenden Straftaten, zu einer Freiheitsstrafe von zwei
Jahren verurteilt
worden. Die Strafvollstreckung ist zur Bewährung ausgesetzt
und dem
Angeklagten auferlegt worden, sich wegen seiner pädophilen
Neigung einer
Psychotherapie zu unterziehen. Er hat knapp ein Jahr danach im
uneingeschränkt
schuldfähigen Zustand die erste der neuen Taten begangen.
b) Bei Annahme der Qualifikation des § 176 a Abs. 1 Nr. 4 StGB
ist es
sowohl bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt,
als auch bei der
konkreten Strafzumessung grundsätzlich rechtsfehlerhaft, zu
Lasten eines erst
einmal nach § 176 Abs. 1 oder 2 StGB verurteilten Angeklagten
zu würdigen,
daß er einschlägig vorbestraft ist. Diese
Erwägung verstößt gegen § 46 Abs. 3
StGB, denn mit ihr wird nur der Umstand straferschwerend gewertet, der
bereits
die Qualifikation begründet.
Mit der Erwägung, eine der beiden seinerzeit abgeurteilten
Taten sei
durch die Annahme der Qualifikation "verbraucht" (UA S. 38), hat das
Landgericht
möglicherweise die Doppelverwertung einschränken
wollen; die Urteilsausführungen
lassen aber gleichwohl besorgen, das Landgericht habe verkannt,
daß § 176 a Abs. 1 Nr. 4 StGB allein an die Tatsache
einer einschlägigen
Vorverurteilung und der von dieser ausgehenden Warnwirkung und nicht
an die Zahl der dieser Vorverurteilung zugrundeliegenden Straftaten
anknüpft.
Eine die Art der Vorstrafe (Geld- oder Freiheitsstrafe) und der dieser
zugrundeliegenden
Taten (Täterschaft oder Teilnahme, Versuch oder Vollendung)
wertende Betrachtung ist damit bei der Strafzumessung nicht
gänzlich
ausgeschlossen. Der möglichen Bandbreite des der Qualifikation
zugrundeliegenden
Schuldumfangs kann der Tatrichter im Rahmen der Prüfung eines
minder
schweren Falles des schweren sexuellen Mißbrauchs nach
§ 176 a Abs. 3
1. Alt. StGB oder bei der Strafzumessung im engeren Sinne Rechnung
tragen,
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wenn die Warnwirkung einer einschlägigen Vorverurteilung
deutlich vom
Durchschnittsfall abweicht. Ein Fall einer solch deutlich
über- oder unterdurchschnittlichen
Warnwirkung liegt bei der Vorstrafe des Angeklagten nicht vor.
c) Der Senat kann nicht ausschließen, daß die
für diese Tat verhängte
Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten auf der beanstandeten
Doppelverwertung
beruht und diese Strafe, die zugleich die Einsatzstrafe ist, auch
die beiden anderen Einzelstrafen beeinflußt hat.
2. Für die neue Strafzumessung weist der Senat darauf hin,
daß im Fall
II. 1. der Urteilsgründe die strafschärfende
Berücksichtigung einer vorläufigen
Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO wegen einer Tat,
die nach den
mitgeteilten Umständen im Grenzbereich der Erheblichkeit nach
§ 184 c StGB
liegen dürfte, nicht unbedenklich ist.
Rissing-van Saan Winkler Pfister
Becker Sost-Scheible |