BGH,
Beschl. v. 13.9.2001 - 3 StR 333/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 333/01
vom
13.09.2001
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwaltes, zu 2. auf
dessen Antrag, am 13. Sep-tember 2001 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Verden vom 28. März 2001 im Maßregelausspruch mit
den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit
mit (vorsätzlicher) Körperverletzung,
Nötigung und Freiheitsberaubung, wegen Hausfriedensbruchs in
Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen
(vorsätzlicher) Körperverletzung in Tateinheit mit
(vorsätzlichem) Fahren ohne Fahrerlaubnis und Unterschlagung
und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet
der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung
materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat allein zum
Maßregelausspruch Erfolg.
1. Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch und den
Strafausspruch wendet, ist sie unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO. Lediglich
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zu der unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das
Gebot fairer Verfahrensgestaltung erhobenen Rüge, die
Strafkammer habe es unterlassen, vor Urteilsverkündung darauf
hinzuweisen, daß sie es für möglich halte,
die vereidigten Zeugen K. und S. könnten bewußt
wahrheitswidrig ausgesagt haben (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 60 Rdn.
30 und 34 a. E.), bemerkt der Senat ergänzend zur
Antragsschrift des Generalbundesanwaltes:
Auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß beruht das Urteil
jedenfalls auch deshalb nicht, weil sich das Landgericht in den
Urteilsgründen ausführlich mit dem Inhalt der
Protokolle der polizeilichen Vernehmungen dieser Zeugen
auseinandersetzt, die wesentlich präzisere Angaben zu dem
angeblichen Anruf des Angeklagten vom 30. Dezember 1999 enthielten als
die Aussagen der Zeugen in der Hauptverhandlung. Es kann daher
ausgeschlossen werden, daß das Landgericht zu einer anderen
Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten
gelangt wäre, wenn es die weiteren Beweise zur Glaubhaftigkeit
der Angaben der Zeugen anläßlich ihrer polizeilichen
Vernehmungen erhoben hätte, die die Verteidigung nach dem
Vortrag der Revision bei Erteilung des vermißten Hinweises
angetreten hätte, zumal der Inhalt des angeblichen Telefonats
vom 30. Dezember 1999 ohnehin nur ein Randindiz für die
Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin
darstellen könnte.
2. Dagegen hält der Maßregelausspruch rechtlicher
Überprüfung aufgrund der Sachrüge nicht
stand. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB kommt
nur in Betracht, wenn positiv feststeht, daß die
Schuldfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt zumindest
erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war (BGHSt 34, 22,
26 f.; 42, 385, 386; BGH NStZ 1999, 128, 129; 2000, 585). Das
Landgericht geht zwar davon aus, daß beim Angeklagten bei
Begehung der Taten vom 28. Dezember 1999, 4./5. Februar 2000 und 18.
April 2000
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aufgrund einer schweren anderen seelischen Abartigkeit eine erheblich
verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21
StGB vorlag. Jedoch belegen die Urteilsgründe nicht,
daß es sich hiervon rechtsfehlerfrei überzeugt
hätte.
Der vom Landgericht gehörte Sachverständige ist
zunächst aufgrund von ihm eingesehener Krankenakten, einer in
einer Verhandlungspause durchgeführten Untersuchung des
Angeklagten sowie des Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von
dem schweigenden - Angeklagten gewann, zu der Beurteilung
gelangt, es sei nicht auszuschließen, daß beim
Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung mit
narzißtischer und dissozialer Ausprägung vorliege,
die als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20
StGB anzusehen wäre. Es sei ihm aber kaum möglich zu
beurteilen, wie sich eine solche
Persönlichkeitsstörung bei der Tatbegehung auf die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgewirkt habe, da sich
der Angeklagte ihm gegenüber zu den Taten nicht
geäußert habe. Die diesbezüglichen
Zeugenaussagen habe er nicht berücksichtigt, da sie kein
einheitliches Bild ergäben. Auf Vorhalt des Landgerichts, er
möge die Aussagen der Zeugen, die den Tatvorwurf
bestätigten bzw. die allgemein zu den Verhaltensweisen des
Angeklagten außerhalb des Tatgeschehens, insbesondere zu
seinem gleichförmig aggressiven Vorgehen gegen andere Personen
und seinen Selbstmordversuchen gehört wurden, als zutreffend
unterstellen, hat der Sachverständige sodann erklärt,
daß diese Umstände zusätzlich für
eine Persönlichkeitsstörung mit massiver
Intensität und einer hierdurch entstandenen Prägung
der Persönlichkeit des Angeklagten sprechen würden.
Möglicherweise sei dann positiv von einer verminderten
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung
auszugehen. Der Sachverständige hat somit positiv weder
festgestellt, daß beim Angeklagten eine schwere andere
seelische Abartigkeit in der Form einer narzißtischen und
dissozialen Persönlichkeitsstörung vorliegt, noch
daß eine derartige Persönlichkeitsstörung
die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung
gemindert hat.
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Das Landgericht hat sich demgegenüber davon
überzeugt, daß bei dem Angeklagten eine schwere
Persönlichkeitsstörung mit narzißtischer
und dissozialer Ausprägung besteht, die zumindest bei den
Taten Ziffer II. 1. bis 3. der Urteilsgründe die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert hat.
Hiergegen ist zwar grundsätzlich nichts einzuwenden. Denn das
Gericht ist nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen
Sachverständigen abzuweichen, da dieses stets nur Grundlage
der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann (BGHR StPO
§ 261 Sachverständiger 5). Insbesondere kann ihm das
erstattete Gutachten die erforderliche Sachkunde verschafft haben, um
die zu klärende Beweisfrage eigenständig und auch im
Gegensatz zum Sachverständigen zu beantworten (BGH NStZ 1984,
467). Will es jedoch eine Frage, für deren Beantwortung es
sachverständige Hilfe erforderlich gehalten hat, im
Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muß es die
Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem
Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob es das Gutachten
zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige
Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer
erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des
Sachverständigen, insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf
welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (BGHR
StPO § 261 Sachverständiger 1 und 5; BGH NStZ-RR
1997, 172). Dies lässt die angefochtene Entscheidung vermissen.
Das Landgericht referiert zwar im einzelnen die
Anknüpfungstatsachen, auf die es seine Überzeugung
von der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten bei den ersten drei abgeurteilten Taten stützt (UA
S. 67 - 70). Dies sind aber dieselben, die der Sachverständige
auf Vorhalt des Gerichts seiner eigenen Begutachtung zugrunde gelegt
hat. Welche Gründe er dafür anführte,
daß er auf dieser Grundlage eine narzißtische und
dissoziale Persönlichkeitsstörung und eine
Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu den
Tatzeitpunkten nicht sicher festzustellen vermochte,
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teilt das Landgericht nicht mit. Ebensowenig legt es dar, welche
Erwägungen maßgeblich dafür waren,
daß es sich entgegen dem Sachverständigen positiv
von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten bei den drei ersten abgeurteilten Taten zu
überzeugen vermochte. Damit bleibt auch offen, ob das
Gutachten dem Landgericht tatsächlich das notwendige Wissen
vermittelt hat, um eine eigenständige Beurteilung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten vornehmen zu können.
So befaßt sich etwa weder - soweit im Urteil mitgeteilt - der
Sachverständige noch das Landgericht mit den Merkmalen der
dissozialen und narzißtischen
Persönlichkeitsstörung, wie sie beispielsweise in
Kapitel V der Internationalen Klassifikation psychischer
Störungen (ICD-10) unter F 60.2 und Anhang I F 60.80 (vgl.
Dilling/Mombour/Schmidt (Hrsg.) Internationale Klassifikation
psychischer Störungen 4. Aufl. S. 229 und 324) beschrieben
werden (wobei die narzißtische
Persönlichkeitsstörung bisher noch nicht in den
Katalog des Kapitels V aufgenommen wurde). Ebensowenig
erörtert das Landgericht näher die Frage, ob die
Auswirkungen der angenommenen Persönlichkeitsstörung
in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten in vergleichbar schwerer
Weise beeinträchtigen, belasten oder einengen wie krankhafte
seelische Störungen, so daß sie als schwere andere
seelische Abartigkeit einzustufen ist (vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397,
401; BGH NStZ-RR 1999, 77, 78), oder ob in der Person des Angeklagten -
sei es möglicherweise auch in extremer Spielart - letztlich
nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen
dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und
übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl.
BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 63 Zustand 26; BGH NStZ 2000,
585, 586).
Der Senat ist daher nicht in der Lage zu prüfen, ob das
Landgericht die Maßregel nach § 63 StGB
rechtsfehlerfrei angeordnet hat. Über die Unterbringung des
Angeklagten muß daher neu entschieden werden. Hierbei
könnte es sich empfehlen, einen anderen Gutachter zu
hören.
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Rissing-van Saan Winkler Pfister Becker Sost-Scheible |