BGH,
Beschl. v. 14.4.2010 - 5 StR 123/10
5 StR 123/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 14. April 2010
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. April 2010
beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 17. September 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufgehoben. Davon ausgenommen bleiben die Feststellungen
zum äußeren Geschehensablauf der rechtswidrigen Tat,
die aufrecht erhalten bleiben. Insoweit wird die weitergehende Revision
nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und ein
Klappmesser eingezogen. Die Revision des Beschuldigten hat den aus der
Beschlussformel ersichtlichen weitgehenden Teilerfolg.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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a) Bei dem jetzt 32 Jahre alten, nicht vorbestraften, in der
Türkei geborenen und aufgewachsenen, mittlerweile in
Deutschland lebenden Beschuldigten zeigten sich im Sommer 1997
psychische Auffälligkeiten. Im Oktober desselben Jahres
erfolgte seine Zwangseinweisung in eine psychiatrische
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Klinik in Berlin. Dort wurde die Diagnose einer schizophrenen Psychose
gestellt; er wurde mit einem Neuroleptikum behandelt und im Februar
1998 aus der stationären Behandlung entlassen. Zu einem
zweiten stationären Aufenthalt kam es im Juli/August 1998, bei
dem die Exacerbation einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie
diagnostiziert und der Beschuldigte hochpotent neuroleptisch behandelt
wurde. Er steht unter Betreuung und hatte zeitweise einen
Einzelfallhelfer; zum Zeitpunkt der Anlasstat lebte er
selbstständig in einer gemieteten Wohnung.
Am Tattag beobachtete eine Zeugin einen gesondert verfolgten Dritten
bei der Entwendung einer Kamera aus einem Kraftfahrzeug und sah, wie
der Dritte in Begleitung des Beschuldigten dessen Wohnhaus betrat. Die
Zeugin machte eine uniformierte Polizeibeamtin, die Zeugin
PHM’in M. , auf das Geschehen aufmerksam, die an der Wohnung
des Beschuldigten klingelte. Dieser öffnete die Tür;
nachdem die Polizeibeamtin ihn aufgefordert hatte, aus der Wohnung
herauszutreten, schlug er indes die Wohnungstür wieder zu. Die
Polizeibeamtin forderte daraufhin Unterstützung an. Es
erschienen weitere sieben Polizeibeamte, unter ihnen der in Zivil
gekleidete spätere Geschädigte. Sie klingelten und
klopften an der Wohnungstür des Beschuldigten und riefen mit
lauter Stimme: „Aufmachen, Polizei!“. Als die
Tür weiterhin geschlossen blieb, forderten die Beamten einen
Schlüsseldienst an. Der Beschuldigte machte jedoch die
Öffnung der Tür durch den Schlüsseldienst
unmöglich, indem er die Tür durch
Zuschließen des Schlosses mit einem Schlüssel von
innen verriegelte. Daraufhin öffneten die Beamten die
Tür mit Hilfe einer Ramme. Beim Betreten der Wohnung gaben
sich die Polizeibeamten wiederum laut und deutlich rufend als solche zu
erkennen. Der Geschädigte betrat als Erster die Wohnung und
ging auf den Beschuldigten zu. Dieser stach daraufhin in
Tötungsabsicht mit einem Klappmesser mehrmals gezielt in den
Oberkörperbereich des Geschädigten, der durch drei
Stiche in den Bauch und den Thorax verletzt wurde und bei dem ein
lebensbedrohlicher Pneumothorax entstand. Der Geschädigte
konnte nur durch sofortige notärztliche Versorgung mit
anschließender Notoperation gerettet werden.
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b) Nach der Überzeugung der sachverständig beratenen
Strafkammer handelte der Beschuldigte ohne Schuld; er sei „im
psychotischen Zustand“ gewaltsam vorgegangen (UA S. 10). Die
Gesamtwürdigung des Beschuldigten und seiner Tat ergebe, dass
von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu
erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit
gefährlich sei (§ 63 StGB). Insoweit
schließt sich die Strafkammer der Sachverständigen
an, die es für sehr wahrscheinlich erachtet hat, dass es bei
einem erneuten psychotischen Schub zu ähnlichen
Gewalthandlungen kommen könne. Denn die wahnhaften
Verfolgungserlebnisse des Beschuldigten würden bei diesem zu
Panik führen. Angesichts der dann von ihm empfundenen akuten
Bedrohungssituationen sei es ausgesprochen wahrscheinlich, dass es
wieder zu Gewalthandlungen gegenüber Dritten komme.
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2. Soweit sich die Revision gegen die Maßregelanordnung
wendet, greift - entsprechend der Begründung des
Teilaufhebungsantrags des Generalbundesanwalts - bereits die
Sachrüge durch.
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Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Die Anordnung nach § 63 StGB setzt unter anderem
die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur
vorübergehenden Zustands voraus, der zumindest eine erhebliche
Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des
§ 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34,
22, 27). Sie bedarf einer besonders sorgfältigen
Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls
langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende
Maßnahme darstellt. Den danach zu stellenden Anforderungen
genügt das angefochtene Urteil nicht. Das Landgericht hat
bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Beschuldigte bei Begehung
der Anlasstat schuldunfähig war. Darüber hinaus
begegnet auch die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts
rechtlichen Bedenken.
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a) Wenn sich der Tatrichter − wie hier − darauf
beschränkt, sich der Beurteilung eines
Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit
anzuschließen, muss er dessen wesentliche
Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiedergeben, wie
dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner
Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. Senat, Beschluss vom 28.
Oktober 2008 − 5 StR 397/08; Senat, Urteil vom 19. Februar
2008 − 5 StR 599/07; BGH NStZ 2003, 307 f.; NStZ-RR 2003, 232
jeweils m. w. N.). Daran mangelt es hier. Im Rahmen der rechtlichen
Würdigung verweist die Strafkammer auf die ‚insoweit
getroffenen Feststellungen’, ohne diese indes darzulegen. Auf
der Grundlage der Ausführungen der Sachverständigen
getroffene Feststellungen lassen sich den Urteilsgründen mit
Ausnahme von Darlegungen zum Lebenslauf des Beschuldigten nicht
entnehmen. So stellt das Landgericht zum Krankheitsbild des
Beschuldigten lediglich fest, dass im Jahr 1997 eine schizophrene
Psychose und im Jahr 1998 eine Exacerbation einer
paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie diagnostiziert wurde.
Hingegen lassen sich dem Urteil selbst bei wohlwollender
Lektüre die Erkenntnisse der Sachverständigen zum
Krankheitsbild des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Begutachtung und bei
Begehung der Anlasstat nicht entnehmen. Die Strafkammer
beschränkt sich stattdessen auf die pauschale Feststellung,
die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sei bei Begehung der
Tat aufgrund einer krankhaften seelischen Störung aufgehoben
(§ 20 StGB; UA S. 9). Dies genügt den
Darlegungsanforderungen ebenso wenig wie die Feststellung, der
Beschuldigte sei im ‚psychotischen Schub’ (UA S.
10) vorgegangen. Dem Revisionsgericht wird daher bereits aufgrund der
fehlenden Ausführungen zum Sachverständigengutachten
eine rechtliche Überprüfung der
Maßregelanordnung nicht möglich sein.
b) Angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der Unterbringung nach
§ 63 StGB verbunden ist, bestehen überdies rechtliche
Bedenken, ob das Landgericht seine Überzeugung von der
zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten
hinreichend begründet hat. Auch hier ist es der
Sachverständigen gefolgt und hat lediglich
ausgeführt, dass der Beschuldigte im psycho-
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tischen Zustand vorgegangen und es daher sehr wahrscheinlich sei, dass
es bei einem erneuten psychotischen Schub zu ähnlichen
Gewalthandlungen kommen könne. Zwar teilt die Strafkammer mit,
sie habe bedacht, dass es zu dieser Tat nur durch eine Verkettung von
Umständen gekommen sei, die der Beschuldigte nicht zu
vertreten habe. Gleichwohl lassen die Urteilsgründe
vertiefende Erwägungen zu der Frage, weshalb von dem
Beschuldigten infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu
erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit
gefährlich sei, vermissen. So ist schon nicht dargetan,
inwieweit mit weiteren psychotischen Schüben gerechnet werden
müsse, etwa weil der Beschuldigte seine Medikamente
eigenmächtig absetzt oder dies zu erwarten wäre.
Soweit die Strafkammer für ihre Beurteilung auf aggressive
Schübe des Beschuldigten gegenüber nahestehenden,
aber auch außenstehenden Personen abstellt, ist nicht
erkennbar, inwieweit diese im Urteil nicht näher beschriebenen
Vorkommnisse die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts zu
untermauern vermögen.“
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Dem schließt sich der Senat mit folgenden
ergänzenden Hinweisen an: Dem Urteil lässt sich
über die Entwicklung der psychischen Erkrankung des
Beschuldigten, das Auftreten etwaiger krankheitsbedingter
Verhaltensauffälligkeiten sowie die gegebenenfalls
erforderliche Behandlung des Beschuldigten und seine
Behandlungsbereitschaft seit dem Jahr 1998 nichts entnehmen. Die
Anlasstat wurde in einer zumindest vom Beschuldigten subjektiv als
bedrohlich empfundenen Situation begangen, die auch bei psychisch
gesunden Menschen geeignet ist, Fehlreaktionen hervorzurufen. Dies wird
bei der Beuteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten
besonders in Betracht zu ziehen sein.
3. Da die genannten Rechtsfehler sich nicht auf die Feststellungen zum
äußeren Geschehensablauf der rechtswidrigen Tat
auswirken, können diese bestehen bleiben. Sie können
durch ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzt
werden. Mitaufgehoben werden indes sämtliche Feststellungen,
die sich auf die innere Tatseite beziehen. Sie stehen in en-
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gem Zusammenhang mit den allein die Schuldfähigkeit
betreffenden Feststellungen. Der Senat kann daher dahinstehen lassen,
ob die auf Einholung eines ärztlichen Gutachtens zur
behaupteten Hörverminderung des Beschuldigten bezogene
Beweisantragsrüge im Blick auf den Widerspruch zwischen der
antragsablehnenden Begründung und den Feststellungen im Urteil
durchgegriffen hätte.
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