BGH,
Beschl. v. 14.12.2005 - 1 StR 420/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 420/05
vom 14.12.2005
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14.12.2005 beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 24. Juni 2005 wird verworfen. 2. Der
Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe: I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge in Tateinheit mit Erwerb in 20 Fällen,
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge sowie wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln in 24
Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs
Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte
die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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II. 1. Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der
von der Verteidigung nicht näher ausgeführten
Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler
ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). 2. Der Generalbundesanwalt hat
hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs beantragt, das Urteil
aufzuheben, weil eine Entscheidung über die Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB)
unterblieben ist. Der Senat vermag diesem Antrag nicht zu entsprechen.
a) Die Revision erwähnt § 64 StGB nicht. Die
Feststellungen des Landgerichts ergeben kein vollständiges
Bild zur Abhängigkeit des Angeklagten und damit zum "Hang" im
Sinne des § 64 StGB. Der Senat kann den
Urteilsgründen nicht entnehmen, dass eine neue Verhandlung mit
hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Unterbringungsanordnung
führen wird (vgl. BGHSt 37, 5, 9). Auf der Grundlage der
Einlassung des Angeklagten hat die Strafkammer einerseits festgestellt,
dieser habe während der Zeit bei der Bundeswehr
große Mengen Alkohol getrunken. Am Ende der Bundeswehrzeit
und während seiner Ausbildung zum Bürokaufmann habe
er mit dem Konsum von Kokain begonnen, den Konsum von sich aus wieder
eingestellt und im Oktober 2001 erneut damit begonnen. Auch danach habe
er immer wieder, auch für längere Zeit, den Konsum
unterbrochen. Im Frühjahr 2003 sei er mit Amphetaminen und
Ecstasy in Berührung gekommen, die er
regelmäßig konsumiert habe. Ein Leben ohne Drogen
habe er sich nicht mehr vorstellen können. Von Januar bis
mindestens Ende August 2004 habe er täglich Kokain konsumiert,
zudem unregelmäßig auch Amphetamin und Ecstasy; er
habe sich ständig in einem berauschten Zustand befunden, wobei
er schnell höhere Dosen an Kokain benötigt habe, um
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eine ausreichende Wirkung zu verspüren. Er habe bis zu vier
Gramm täglich konsumiert und seine Persönlichkeit
habe sich durch den Missbrauch verändert. Die abgeurteilten
Taten habe er begangen, um seinen Kokainkonsum zu finanzieren. Das
Landgericht hat aber auch festgestellt, dass der Angeklagte im Sommer
2004 seinen Kokainkonsum beendet habe (UA S. 4). Im Spätsommer
2004 habe er (nur noch) größere Mengen Medikamente
eingenommen, weil er depressive Phasen gehabt habe. Einer
Drogentherapie hat sich der Angeklagte bisher nicht unterzogen. b)
Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß
§ 64 ist (unter anderem) ein Hang, berauschende Mittel im
Übermaß zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist
auszugehen, wenn eine eingewurzelte, auf psychische Disposition
zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive
Neigung besteht, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese
Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht
haben muss (vgl. nur BGHSt StGB § 64 Abs. 1 Hang 5;
Körner BtMG 5. Aufl. § 35 Rdn. 297; Hanack in LK 11.
Aufl. § 64 Rdn. 40 jew. m.w.N.). "Im
Übermaß" bedeutet, dass der Täter
berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine
Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich
beeinträchtigt wird (Körner aaO; Hanack aaO Rdn. 44
m.w.N. in Fußn. 12). Dementsprechend hat der
Bundesgerichtshof auch die unterbliebene Erörterung einer
Unterbringung bei einem Täter gebilligt, bei dem zwar "eine
Tendenz zum Betäubungsmittelmissbrauch ... jedoch keine
Depravation und erhebliche Persönlichkeitsstörung"
vorlag (BGHR StGB § 64 Nichtanordnung 1). c) Auf der Grundlage
der im Revisionsverfahren allein maßgeblichen
Urteilsgründe zu den Auswirkungen des Rauschgiftkonsums auf
Sozialverhalten und Gesundheit des Angeklagten liegt die Annahme eines
Hangs i. S. d. § 64
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StGB beim Angeklagten eher nicht nahe. Eine Unterbringungsanordnung
gemäß § 64 StGB kommt jedoch nur in
Betracht, wenn das Vorliegen eins Hangs sicher ("positiv") festgestellt
ist. 3. Der Senat ist nicht gehindert, gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO zu entscheiden. Der Aufhebungsantrag
hinsichtlich der Entscheidung über eine
Maß-regelanordnung nach § 64 StGB wirkt zu Lasten
und nicht zu Gunsten des Angeklagten im Sinne des § 349 Abs. 4
StPO (BGH NStZ-RR 2003, 106, 107 m. w. Nachw.). Nack Wahl Boetticher
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