BGH,
Beschl. v. 14.1.2010 - 3 StR 403/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 403/09
vom
14. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 14. Januar
2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 17. März 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels und die der
Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit
mit schwerem Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung zu
einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die
hiergegen gerichtete Revision hat mit einer Verfahrensrüge
Erfolg.
1
1. Das Urteil muss aufgehoben werden, weil das Landgericht es
unterlassen hat, den Angeklagten vom wesentlichen Inhalt dessen zu
unterrichten, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist, nachdem
der Angeklagte, der wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem
Sitzungszimmer entfernt war, wieder vorgelassen worden ist
(Verstoß gegen § 231 b Abs. 2, § 231 a Abs.
2 StPO).
2
- 3 -
a) Das Landgericht hat den Angeklagten am 5. Verhandlungstag wegen
massiver Störung der Hauptverhandlung nach § 177 GVG
aus dem Sitzungszimmer entfernt und von der Möglichkeit des
§ 231 b StPO, ohne den Angeklagten zu verhandeln, Gebrauch
gemacht. Es hat sodann in seiner Abwesenheit die Nebenklägerin
erneut vernommen und entlassen.
3
Am 7. Verhandlungstag ist die Hauptverhandlung in Anwesenheit des
Angeklagten fortgesetzt worden. Nach Wiedereintritt in die
Beweisaufnahme, Feststellungen zum Vollstreckungsstand einer
Vorverurteilung, Erteilung eines rechtlichen Hinweises und erneutem
Schluss der Beweisaufnahme sind die Schlussvorträge gehalten
worden. Über den wesentlichen Inhalt der Verhandlung
während seiner Abwesenheit ist der Angeklagte nicht
unterrichtet worden. Dies rügt die Revision zutreffend als
einen Verstoß gegen § 231 b Abs. 2, § 231 a
Abs. 2 StPO.
4
b) Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Hierzu im
Einzelnen:
5
aa) Ein Urteil beruht schon dann auf einem Rechtsfehler, wenn es als
möglich erscheint oder wenn nicht auszuschließen
ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. An
dem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der
Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder rein
theoretisch ist (Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl.
§ 337 Rdn. 255). Die Entscheidung über das Beruhen
hängt - insbesondere bei Verstößen gegen
das Verfahrensrecht - stark von den Umständen des Einzelfalls
ab (Hanack aaO Rdn. 257).
6
- 4 -
bb) Vorliegend ist in Abwesenheit des Angeklagten die
Nebenklägerin erneut vernommen worden. Vom Inhalt dieser
Aussage hat das Landgericht den Angeklagten nicht unterrichtet. Dem
Senat ist die Rekonstruktion dieser weiteren Aussage untersagt. Aus dem
Umstand, dass die Nebenklägerin bereits am 3. Verhandlungstag
vernommen worden war, kann - entgegen der Ansicht des
Generalbundesanwalts - nicht mit der notwendigen Sicherheit darauf
geschlossen werden, dass sie bei ihrer erneuten Vernehmung nur
für die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten
Unbedeutendes ausgesagt hat. Nach aller Erfahrung dienen
ergänzende Vernehmungen von Belastungszeugen der
Abklärung von Widersprüchen, die sich im Verlauf der
Beweisaufnahme nach der ersten Vernehmung ergeben haben; dies spricht
vielmehr für die Bedeutung der weiteren Aussage. Hinzu kommt,
dass die Nebenklägerin die einzige Zeugin für das von
dem Angeklagten bestrittene Tatgeschehen war. Allein auf ihrer Aussage
beruht die Überzeugung der Strafkammer, dass der Angeklagte
die Nebenklägerin durch eine Vergewaltigung dazu gebracht hat,
eine Tätigkeit als Prostituierte aufzunehmen. Das Landgericht
legt in seiner Beweiswürdigung dar, warum es der Darstellung
der Nebenklägerin folgt, und setzt sich dabei mit mehreren
Umständen auseinander, die gegen die Glaubhaftigkeit der
Darstellung der Nebenklägerin sprechen könnten. So
hat die Nebenklägerin, nachdem sie in einem Bordell als
Prostituierte aufgefallen und polizeilich nach den
Hintergründen befragt worden war, nicht sogleich, sondern erst
im Verlauf einer weiteren Vernehmung davon berichtet, durch eine
Vergewaltigung zur Prostitution gebracht worden zu sein. Zu den Details
dieser Vergewaltigung hat sie im Verlauf mehrerer Vernehmungen ebenso
unterschiedliche Angaben gemacht wie zu den Umständen, unter
denen sie, nachdem der Angeklagte seine Tätigkeit als
Wirtschafter in einem Bordell aufgegeben hatte, in ein anderes Bordell
verbracht worden war. Wenngleich die Beweiswürdigung des
Landgerichts, das sich trotz dieser Besonderheiten im Aussageverhalten
der Nebenklägerin von
7
- 5 -
der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt hat, einen
sachlichrechtlichen Fehler nicht erkennen lässt, kann der
Senat angesichts der Gesamtumstände nicht
ausschließen, dass der Angeklagte weitere
Verteidigungsmöglichkeiten gehabt hätte, wenn ihm der
Inhalt der ergänzenden Vernehmung der Nebenklägerin
mitgeteilt worden wäre.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass
im Falle einer erneuten Verurteilung aufzuklären sein wird, ob
der Angeklagte in dieser Sache in Brasilien Freiheitsentziehung
erlitten hat. Gegebenenfalls wird eine Entscheidung über den
Anrechnungsmaßstab zu treffen sein.
8
Becker Pfister von Lienen
Hubert RiBGH Dr. Schäfer befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker |