BGH,
Beschl. v. 14.6.2005 - 5 StR 129/05
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
StPO § 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6, § 246 Abs. 1
Wurde eine Hauptverhandlung extrem verzögert, namentlich
durch zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellte
Beweisanträge,
ist zur Verhinderung weiterer Verfahrensverzögerung
die prozessuale Möglichkeit in Betracht zu ziehen, den
Verfahrensbeteiligten
eine Frist zu setzen und nach deren Ablauf gestellte
Beweisanträge grundsätzlich nicht mehr durch
gesonderten
Gerichtsbeschluß, sondern erst in den Urteilsgründen
zu bescheiden.
BGH, Beschluß vom 14.06.2005 - 5 StR 129/05
LG Hamburg -
5 StR 129/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 14.06.2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14.06.2005
beschlossen:
1. Die Revisionen der Angeklagten Z und Y gegen
das Urteil des Landgerichts Hamburg vom
27. März 2003 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet
verworfen.
2. Die Revision der Nebenklägerin A A gegen
dieses Urteil wird nach § 349 Abs. 1 StPO als
unzulässig
verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
zu tragen. Jeder Angeklagte hat die durch sein
Rechtsmittel den Nebenklägern V und G A
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen,
der Angeklagte Z darüber hinaus die durch sein
Rechtsmittel den Nebenklägerinnen E und M
entstanden notwendigen Auslagen.
G r ü n d e
Das Schwurgericht hat - nach über dreieinhalb Jahren
Verhandlungsdauer
am 291. Verhandlungstag - den Angeklagten Z wegen Mordes
(Tatkomplex A ; lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe), wegen
versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und wegen
Totschlags (Tatkomplex S /E ; Einzelfreiheitsstrafen von
neun und elf Jahren) sowie wegen (besonders) schwerer
räuberischer Erpressung
in Tateinheit mit versuchtem (besonders) schweren Raub (Tatkomplex
R ; Einzelfreiheitsstrafe von zehn Jahren) zu lebenslanger Frei-
3 -
heitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt, die besondere Schwere seiner
Schuld
festgestellt und die Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten
angeordnet.
Den Angeklagten Y hat das Schwurgericht wegen Anstiftung zum
Mord (nur Tatkomplex A ) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren
und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die
Angeklagten
mit Verfahrens- und Sachrügen sowie eine
Nebenklägerin mit einer
Sachrüge.
Die Revisionen der Angeklagten sind aus den Gründen der
Antragsschrift
des Generalbundesanwalts vom 7.04.2005 im Sinne von § 349
Abs. 2 StPO unbegründet; die Revision der
Nebenklägerin A A
ist aus den dort genannten Gründen unzulässig
(§ 400 Abs. 1 StPO).
Über die zutreffenden Ausführungen in der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts
hinaus sieht der Senat Anlaß zu folgenden Anmerkungen:
1. Die Revisionsbegründungsschrift von Rechtsanwalt Ri deckt
keine durchgreifenden Rechtsfehler des Schwurgerichts, sondern ein
Prozeßverhalten
dieses Verteidigers des Angeklagten Z auf, das in seiner
Gesamtheit als rechtsmißbräuchlich zu bewerten ist.
Dies wird insbesondere
durch folgende Umstände gekennzeichnet: Stellung einer
Vielzahl sachlich
unberechtigter Beweisanträge, zudem in sukzessiver Form, ohne
daß für
diese Vorgehensweise ein nachvollziehbares berechtigtes Interesse zu
erkennen
wäre; Reaktion auf die Ablehnung solcher und anderer
Anträge mit
umfangreichen „Gegenvorstellungen“ sowie vielfach
unzulässigen Ablehnungsgesuchen
und Unterbrechungsanträgen; Ankündigung zahlreicher
weiterer
Beweisanträge ohne auch nur andeutungsweise erfolgte
Offenlegung
eines berechtigten weiteren Aufklärungsbegehrens; letztendlich
ein „Plädoyer“,
in dem über neun Verhandlungstage jeweils stundenlang bis zum
schließlich notwendigen Abbruch durch das Gericht nahezu
ausschließlich
Zeugen- und Sachverständigenaussagen in chronologischer
Reihenfolge
ohne erkennbaren Versuch einer zusammenfassenden Würdigung der
Hauptverhandlungsergebnisse referiert wurden. Gerade in seiner
Kumulation
- 4 -
zeigt dieses Prozeßverhalten, daß es Rechtsanwalt
Ri damit nicht um
die Wahrnehmung legitimer Verteidigungsaufgaben - den Angeklagten vor
einem materiellen Fehlurteil oder auch nur einem
prozeßordnungswidrigen
Urteil zu schützen (vgl. BGH NStZ 2005, 341) - ging, sondern
vorrangig um
die Verhinderung eines Verfahrensabschlusses in angemessener Zeit durch
die massive Beeinträchtigung von Verfahrensherrschaft und
Arbeitsfähigkeit
des Strafgerichts (vgl. Hassemer in Festschrift für Lutz
Meyer-Goßner, 2001,
S. 127, 143).
Abgesehen davon führt die Art und Weise des - zudem vielfach
von urteilsfremdem
Sachvortrag durchsetzten - Revisionsvorbringens von Rechtsanwalt
Ri zu den einzelnen Verfahrensrügen - wie der
Generalbundesanwalt
in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - zur
Unzulässigkeit
all seiner verfahrensrechtlichen Beanstandungen, auch wenn die
Anforderungen
an die Vortragspflicht gemäß § 344 Abs. 2
Satz 2 StPO bei mehrjährigen
umfangreichen Verfahren wie dem vorliegenden im Lichte der nicht
verlängerbaren
Monatsfrist nach § 345 Abs. 1 StPO nachsichtiger beurteilt
werden.
Die Revisionen von Rechtsanwalt Me (weiterer Verteidiger
des Angeklagten Z ) und Rechtsanwältin L (für Y )
belegen,
daß ein geordneter Revisionsvortrag zu mehreren
Verfahrensrügen
auch im vorliegenden Verfahren innerhalb der Monatsfrist des §
345 Abs. 1
StPO möglich war.
2. Der näheren Erörterung bedarf eine von beiden
Angeklagten gerügte
Verfahrensweise des Schwurgerichts, mit der nach mehr als
dreijähriger
Verfahrensdauer die weitere Bescheidung von Beweisanträgen in
der Hauptverhandlung
abgelehnt wurde.
a) Aus dem Revisionsvortrag ergibt sich insoweit folgender
Verfahrensgang:
- 5 -
aa) Mit Beschluß vom 28. November 2002 (Protokollanlage 793,
veröffentlicht
in StraFo 2004, 170 mit Anm. Durth/Meyer-Lohkamp) hat das
Schwurgericht erklärt, vorbehaltlich eines früheren
Schlusses der Beweisaufnahme
werde es Beweisanträge nicht mehr entgegennehmen, wenn diese
nach dem 9. Januar 2003, 12.00 Uhr, gestellt würden. Zur
Begründung hat
es u. a. folgendes ausgeführt: Nach fast zweijähriger
Verhandlungsdauer mit
zwei Verhandlungstagen pro Woche sei das Beweisprogramm aus Sicht der
Kammer seit Mitte 2001 vollständig abgearbeitet gewesen; die
anschließende
Beweisaufnahme habe keine wesentlichen neuen Ergebnisse ergeben.
Seit Mitte 2001 seien über 320 Beweisanträge - teils
aus vielfachen Einzelanträgen
bestehend - gestellt worden, davon nach einem ersten Schluß
der
Beweisaufnahme am 14. Oktober 2002 allein 120 Anträge. Mit
Ausnahme
der auf präsente Beweismittel gerichteten Anträge
seien nahezu sämtliche
Beweisanträge abgelehnt worden, und zwar überwiegend
auch wegen Bedeutungslosigkeit.
Insgesamt zeige das Verteidigungsverhalten einen
Mißbrauch des Beweisantragsrechts zur Verschleppung des
Verfahrens auf,
zumal ohne sachlich erkennbaren Grund und ohne Konkretisierung
beweiserheblicher
Themenkomplexe eine Vielzahl weiterer Beweisanträge
angekündigt
sei. Die Amtsaufklärungspflicht bleibe von der
angekündigten Verfahrensweise
unberührt.
bb) Mit Beschluß vom 5. Dezember 2002 (Protokollanlage 797)
hat das
Schwurgericht den Beschluß vom 28. November 2002 dahingehend
klargestellt,
daß sich dieser nicht auf die Stellung von
Hilfsbeweisanträgen beziehe.
Zudem hat es ergänzend erläutert, weshalb die
bisherige Antragstellung allein
dem Zweck mißbräuchlicher
Verfahrensverzögerung gedient habe. Mit
einem weiteren Beschluß vom 7. Januar 2003 (Protokollanlage
978) hat das
Schwurgericht nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen,
daß sich der
Beschluß vom 28. November 2002 nicht auf die Stellung von
Hilfsbeweisanträgen
beziehe und nach Fristablauf gestellte Beweisanträge als
Beweisanregungen
gewertet sowie unter Aufklärungsgesichtspunkten
geprüft würden.
- 6 -
cc) Die nach Ablauf der gesetzten Frist gestellten
Beweisanträge der
Verteidigung hat das Schwurgericht in den Urteilsgründen im
einzelnen wie
Hilfsbeweisanträge beschieden (UA S. 390 ff.).
Sämtliche Anträge wurden
wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt, überwiegend zudem wegen
tatsächlicher
Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen,
darüber
hinaus - von einem Antrag auf Verlesung präsenter Urkunden
abgesehen
- mangels Aufklärungspflicht bei als
Ermittlungsanträgen gewerteten
Anträgen oder nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO.
b) Diese Vorgehensweise rügen die Revisionen letztlich
erfolglos.
aa) Im Ausgangspunkt zutreffend weisen sie freilich darauf hin,
daß
dem deutschen Strafprozeßrecht eine Präklusion im
Beweisantragsrecht
grundsätzlich fremd ist (vgl. BGH StraFo 2005, 249).
(1) Nach § 246 Abs. 1 StPO darf eine Beweiserhebung nicht
deshalb
abgelehnt werden, weil das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache
zu spät vorgebracht worden sind. Daraus wird auch gefolgert,
daß den Verfahrensbeteiligten
nicht vorgeschrieben werden kann, zu welchem Zeitpunkt
der Hauptverhandlung sie einen Beweisantrag zu stellen haben (vgl.
Meyer-
Goßner, StPO 48. Aufl. § 246 Rdn. 1 m.w.N.). Das
Gericht ist danach gemäß
§ 246 Abs. 1 StPO grundsätzlich verpflichtet, bis zum
Beginn der Urteilsverkündung
Beweisanträge entgegenzunehmen (st. Rspr., vgl. BGHSt 16, 389,
391; 21, 118, 123 f.; BGHR StPO § 238 Abs. 2 Beweisantrag 1).
(2) Dabei darf nach § 244 Abs. 6 StPO die Ablehnung
sämtlicher Beweisanträge
grundsätzlich nur durch Gerichtsbeschluß in der
Hauptverhandlung
erfolgen. Mit dem Erfordernis dieses Gerichtsbeschlusses kann, da er
mit dem wesentlichen Inhalt seiner Begründung zu
protokollieren ist, eine
erhebliche Hemmung für den Fortgang der Hauptverhandlung
einhergehen.
Entscheidung und Begründung dürfen nicht
nachträglich erfolgen, insbesondere
nicht erst in den Urteilsgründen enthalten sein (vgl. zum
Vorstehenden
- 7 -
BGH StraFo 2005, 249; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Entscheidung 3).
Eine
Ausnahme gilt lediglich für Hilfsbeweisanträge, wobei
dem Gericht die eigenmächtige
Umdeutung eines unbedingten Beweisantrags in einen Hilfsbeweisantrag
verwehrt ist (BGH StraFo 2005, 249). Wegen Verschleppungsabsicht
(§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) darf auch ein Hilfsbeweisantrag
nicht erst
in den Urteilsgründen abgelehnt werden
(Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl.
§ 244 Rdn. 44a m.w.N.).
(3) Eine Einschränkung des Beweisantragsrechts des Angeklagten
hat
der Bundesgerichtshof bislang lediglich im Falle eines massiven
Mißbrauchs
dieses Rechts durch exzessive Antragstellung eines Angeklagten
angenommen
und es gebilligt, daß der Angeklagte hiernach darauf
verwiesen wird,
Anträge nur noch über seinen Verteidiger zu stellen
(BGHSt 38, 111; vgl.
auch BayObLG StV 2005, 12; ferner zur hier nicht relevanten
Möglichkeit der
Mißbrauchsverhinderung durch Anwendung des § 257a
StPO: Diemer in KK
5. Aufl. § 257a Rdn. 1; BGH, Beschluß vom 16.03.2005
- 5 StR 514/04).
Hingegen ist das Gericht nicht befugt, der Verteidigung schlechthin und
von
vornherein die Stellung prozessual zulässiger Anträge
zu verbieten
(BGHSt 38, 111, 114; vgl. auch BGH JR 1980, 218 m. Anm. Meyer).
bb) Im vorliegenden Fall hat das Schwurgericht allerdings das Recht
der Angeklagten auf die Stellung von Beweisanträgen als
solches nicht beschnitten.
Es hat vielmehr - wie durch mehrfache Klarstellung des fristsetzenden
Ausgangsbeschlusses deutlich gemacht - lediglich die weitere Bescheidung
von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung abgelehnt und diese
der Urteilsbegründung
vorbehalten. Zudem hat das Gericht in dem fristsetzenden
Beschluß den Angeklagten und ihren Verteidigern hinreichend
klargemacht,
daß die Ablehnungsgründe der Verschleppungsabsicht
und Bedeutungslosigkeit
nach dem bisherigen Verfahrenslauf alle weiteren gleichartigen
Beweisanträge
der Verteidigung treffen würden und andere Arten von Beweis-
8 -
anträgen nach seiner Einschätzung nicht zu erwarten
seien. Diese Erwartung
war vor dem Hintergrund der bis dahin erfolgten Antragstellung in der
Sache
ersichtlich nicht zu beanstanden.
Werden Beweisanträge in dieser Weise bis zur
Urteilsverkündung entgegen-
und zur Kenntnis genommen und - bei Einzelbescheidung im Urteil -
vorab die grundsätzlichen Ablehnungsgründe
für alle nachfolgenden Beweisanträge
ausdrücklich benannt, bleibt nicht nur die
vollständige Überprüfbarkeit
der Ablehnungsbegründung durch das Revisionsgericht erhalten;
der mit
der Fristsetzung verbundene Eingriff in die durch § 244 Abs. 6
StPO garantierte
Informationsfunktion des individuellen Ablehnungsbeschlusses
hält sich
aufgrund der gleichsam „vor die Klammer gezogen“
Vorabinformation über
die zukünftigen Ablehnungsgründe auch in Grenzen.
cc) Die so verstandene Vorgehensweise des Schwurgerichts würde
angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falls keinen
durchgreifenden
Bedenken begegnen.
Wurde eine Hauptverhandlung extrem verzögert, namentlich durch
zum
Zweck der Prozeßverschleppung gestellte
Beweisanträge, ist zur Verhinderung
weiterer Verfahrensverzögerung die prozessuale
Möglichkeit in Betracht
zu ziehen, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zu setzen und nach deren
Ablauf gestellte Beweisanträge grundsätzlich nicht
mehr durch gesonderten
Gerichtsbeschluß, sondern erst in den Urteilsgründen
zu bescheiden.
(1) Jenseits der Frage eines Mißbrauchs von Verfahrensrechten
(vgl.
hierzu insb. BGHSt 38, 111, 113), die wesentlich von der jeweiligen
inneren
Einstellung des Betroffenen abhängt und bei verschiedenen
Verfahrensbeteiligten
unterschiedlich beurteilt werden kann, ist nach monate-, gar jahrelanger
Verhandlungsdauer über das vom Gericht selbst bestimmte
Beweisprogramm
hinaus, namentlich bei lang andauernder Untersuchungshaft von
Angeklagten,
nach einer verfahrensrechtlich vertretbaren Möglichkeit zu su-
9 -
chen, die Hauptverhandlung - allerdings unter fortdauernder Wahrung
unverzichtbarer
Verteidigungsinteressen - zu einem Abschluß zu bringen. Dies
gebieten die mit zunehmender Verfahrensdauer immer gewichtiger werdenden
Gebote der Beschleunigung des Verfahrens, insbesondere in Haftsachen
(Art. 6 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 GG), und der
Gewährleistung einer dem Gleichheitsgedanken verpflichteten
funktionsfähigen
Strafrechtspflege vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen der
Strafjustiz
(vgl. BGH-GS NJW 2005, 1440, 1443 f.). Je länger ein Verfahren
dauert,
desto größer wird das legitime Interesse daran, es
in absehbarer Zeit
einer abschließenden Urteilsfindung zuzuführen,
sofern nicht sachliche
Gründe eine Verhandlung über Monate oder gar Jahre
hin unerläßlich machen.
(2) Bei dieser Sachlage hält der Senat in extrem gelagerten
Fällen bei
Abwägung der widerstreitenden Interessen und
Rechtsgüter - namentlich
des Informationsinteresses des Angeklagten an der Bescheidung von
Beweisanträgen
in der Hauptverhandlung einerseits, des Beschleunigungsgrundsatzes
in Haftsachen und des Gebots einer funktionsfähigen
Strafrechtspflege
andererseits - im Wege verfassungs- und konventionskonformer
Einschränkung von § 244 Abs. 6 StPO folgende
Verfahrensweise für
erwägenswert:
Es wird den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Entgegennahme von
Beweisanträgen gesetzt und - mit eingehender
Begründung - die pauschale
Ablehnung nach Fristablauf gestellter Anträge wegen
Verschleppungsabsicht
vorab beschlossen; hernach überprüft das Gericht die
Anträge, ohne sie allerdings
jeweils durch Gerichtsbeschluß nochmals gesondert individuell
zu
bescheiden, und zwar vornehmlich unter
Aufklärungsgesichtspunkten, zudem
bescheidet es sie wie Hilfsbeweisanträge in den
Urteilsgründen; hierbei
ist dann freilich der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nicht
ausgeschlossen.
Diese besondere Verfahrensweise wird allerdings
regelmäßig
erst dann in Betracht kommen können, wenn zuvor gestellte
Beweisanträge
- 10 -
wiederholt wegen Verschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2,
§ 245 Abs. 2
Satz 3 StPO) abgelehnt werden mußten.
(3) Der vorliegende Fall ist als Extremfall, für den eine
solche Verfahrensweise
in Betracht kam, zu werten.
Für eine mehr als dreijährige Verhandlungsdauer ist
unter Berücksichtigung
der gegebenen Beweislage kein vertretbarer Grund ersichtlich. Die drei
Tatkomplexe waren sachlich überschaubar, die Beweislage war
nicht einmal
übermäßig schwierig. Der Angeklagte Z hatte
im Ermittlungsverfahren
nicht nur seine Beteiligung an der Tötung von S A in einem
Umfang zugegeben, der wohl zumindest eine Verurteilung wegen
gemeinschaftlichen
Raubes mit Todesfolge getragen hätte, sondern sich auch in
weiteren polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen selbst
der
Täterschaft in den beiden anderen Tatkomplexen bezichtigt.
Über diese Geständnisse
hinaus wurde die Beweislage im Sinne der Anklage durch gewichtige
objektive Spuren - etwa die Faserspuren im Fall S /E -
und mit Täterwissen durchsetzte selbstbelastende Angaben Z s
gegenüber
dem Zeugen L sowie durch die Angaben weiterer Zeugen bestärkt.
Auch der Angeklagte Y hat im Laufe der Hauptverhandlung eine Beteiligung
an dem Geschehen zum Nachteil von S A in einem erheblichen
Umfang eingeräumt; hinzu kamen auch bei ihm
übereinstimmende,
sich ergänzende belastende Angaben von Zeugen, die durch das
weitere
Beweisergebnis gestützt wurden.
Es ist auch kein für sich sachlich nachvollziehbares
berechtigtes Interesse
der Verfahrensbeteiligten an einer Antragstellung nach Ablauf der ihnen
gesetzten Frist ersichtlich (vgl. hierzu auch Basdorf StV 1995, 310,
314);
weder gab es eine erheblich veränderte Sachlage noch
wesentliche neue
Informationen, die es gerechtfertigt hätten, die jeweiligen
Anträge erst zu einem
so späten Zeitpunkt vorzubereiten und zu stellen.
- 11 -
dd) Eine abschließende Beurteilung der vom Senat erwogenen
Verfahrensweise,
insbesondere auch der Frage, ob das Vorgehen des Schwurgerichts
einer solchen Verfahrensweise in jeder Beziehung entsprach, kann
indes dahinstehen.
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend
ausgeführt
hat, zeigen die Revisionen der Angeklagten nicht auf, in welcher
Weise das Urteil auf einer Verletzung von § 244 Abs. 6 StPO
beruhen könnte
(§ 337 Abs. 1 StPO) oder in welchem für die
Entscheidung wesentlichen
Punkt die Verteidigung durch die entsprechenden
Gerichtsbeschlüsse beschränkt
worden wäre (§ 338 Nr. 8 StPO).
Es ist nach dem Revisionsvortrag nicht ersichtlich, inwieweit sich die
Angeklagten bei einer dem Wortlaut des § 244 Abs. 6 StPO
entsprechenden
Verfahrensweise anders als geschehen hätten verteidigen
können. Die erst
im Urteil beschiedenen Anträge offenbaren sämtlich
keine neuen Ansätze
der Verteidigung und stellen auch das nach umfassender
Sachaufklärung
gewonnene sichere Beweisergebnis des Schwurgerichts nicht in Frage (vgl.
auch BGH, Beschluß vom 16.03.2005 - 5 StR 514/04). Soweit die
hierzu
angebrachten Beanstandungen überhaupt zulässige
Beweisanträge betreffen,
handelt es sich bei den erst im Urteil beschiedenen, nach Ablauf der
gesetzten
Frist eingereichten Beweisanträgen um solche, mit denen die
Frage
der Glaubwürdigkeit als problematisch angesehener
Beweispersonen weiter,
aber in keinem Fall mit durchgreifend neuen Ansätzen, in
Zweifel gezogen
werden sollte.
c) Der vorliegende Fall verdeutlicht, daß für den
Gesetzgeber Anlaß zur
Prüfung besteht, ob unter Berücksichtigung der
genannten gegenläufigen
Interessen eine Änderung des derzeitigen - einen
verfahrensverzögernden
Mißbrauch ermöglichenden - Rechtszustands
herbeigeführt werden sollte,
etwa durch Ergänzung von § 244 Abs. 6 StPO oder
§ 246 Abs. 1 StPO (hierzu
näher Basdorf StV 1995, 310, 314 f., Fn. 30 und StV 1997, 488,
490; vgl.
- 12 -
auch Brause NJW 1992, 2865, 2869). Im Blick auf andere
Präklusionsregelungen,
welche in angemessener Abwägung zwischen den
Bedürfnissen einer
funktionstüchtigen Strafrechtspflege wie einer effektiven
Verteidigung
unmittelbar vom Gesetzgeber (vgl. nur §§ 6a, 25, 222b
StPO) oder von der
Rechtsprechung in Anwendung und Auslegung bestehender prozessualer
Normen (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 136
Rdn. 25; § 238
Rdn. 22; jeweils m.w.N.) aufgestellt worden sind, wäre eine im
Eingriff zurückhaltende
gesetzliche Einschränkung der bestehenden Regelung keineswegs
systemfremd.
3. Erfolglos bleiben auch die Rügen, wonach dem Angeklagten Z
nach berechtigtem Ausschluß von der weiteren
Sitzungsteilnahme infolge
ungebührlichen Verhaltens zu Unrecht nicht das letzte Wort
gewährt oder
sonstige Gelegenheit zur Äußerung bzw. zur
Untersuchung durch einen
Sachverständigen gegeben worden sein soll.
a) Angesichts von zwei massiven Ausschlußvorfällen
vor dem Hintergrund
eines vielfach auf Verzögerung ausgerichteten
Prozeßverhaltens dieses
Angeklagten hat das Schwurgericht mit seinem Vorgehen den ihm insoweit
zustehenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraum letztlich nicht
überschritten.
aa) Zwar muß auch bei einem wegen ordnungswidrigen Benehmens
nach § 231b StPO ausgeschlossenen Angeklagten in aller Regel
der Versuch
gemacht werden, ihn für die Gewährung des letzten
Worts wieder hinzuzuziehen
(Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 258 Rdn. 20). Ein
von vornherein
aussichtslos erscheinender Versuch ist im Hinblick auf die Ordnung der
Verhandlung und das Ansehen des Gerichts indes nicht erforderlich
(RGSt 35, 433, 436; BGHSt 9, 77, 81). Die tatrichterliche Prognose der
Aussichtslosigkeit
eines erneuten Zulassungsversuchs ist vom Revisionsgericht
jedenfalls dann hinzunehmen, wenn das Gericht - wie hier - die
widerstrei-
13 -
tenden Interessen anhand sämtlicher Umstände des
Einzelfalls sorgfältig und
nachvollziehbar abgewogen hat.
bb) Bei dieser Abwägung hat das Gericht einerseits das hohe
Gewicht
des Rechts auf ein letztes Wort und den Umstand zu bedenken,
daß dieses
Recht nicht lediglich zum Zweck der Erleichterung oder Beschleunigung
des
Verfahrens abgeschnitten werden darf (BGHSt 9, 77, 81). Andererseits
kommt auch dem Umstand besonderes Gewicht zu, ob das
ungebührliche
Verhalten auf einem vorübergehenden und letztlich noch
nachvollziehbaren
Verlust der Beherrschung angesichts in der Hauptverhandlung neu
aufgetretener
Umstände beruht oder ob ihm - für jeden unbefangenen
Dritten sofort
erkennbar - die auf zukünftige Störungen deutende
Absicht innewohnt, Ansehen
und Würde des Gerichts zu beeinträchtigen (vgl. BGHSt
9, 77, 80).
Letzteres hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei aus dem Umstand
geschlossen,
daß der Angeklagte Z die massive Beleidigung des Vorsitzenden
auch nach mehrfacher Ermahnung und Belehrung sowie einer
längeren
Unterbrechung bewußt und beharrlich in gleicher Weise
fortgesetzt hat,
nachdem er schon zuvor bereits über mehr als zwei Jahre wegen
besonders
gravierender Ausfälligkeit (Anspucken des Vorsitzenden) von
der Teilnahme
an der Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen war.
b) Vor dem Hintergrund dieses Prozeßverhaltens des
Angeklagten Z
und seines Verteidigers Rechtsanwalt Ri durfte das Schwurgericht
ohne Rechtsfehler davon ausgehen, daß die von diesem
Verteidiger angesichts
der unmittelbar bevorstehenden Urteilsverkündung abgegebene
Erklärung,
der bis dahin über mehr als dreieinhalb Jahre schweigende und
wegen
Ungebührs von der weiteren Verhandlungsteilnahme
ausgeschlossene Angeklagte
wolle sich nunmehr erstmals zu den Tatvorwürfen in der
Hauptverhandlung
zunächst im Wege einer schriftlichen Erklärung
äußern, zu deren
Vorbereitung eine Unterbrechung für mehrere Tage notwendig
sei, er wolle
sich zudem erstmals einer Untersuchung durch einen
Sachverständigen un-
14 -
terziehen, nur zum Schein und zu dem alleinigen Zweck abgegeben wurde,
den Abschluß des Verfahrens weiter zu verhindern.
Harms Basdorf Gerhardt
Brause Schaal |