BGH,
Beschl. v. 14.5.2002 - 5 StR 119/02
5 StR 119/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 14. Mai 2002
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 14. Mai 2002
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten Z wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 25. September 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten Z wegen Totschlags zu zehn Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt. Den Mitangeklagten S hat es freigesprochen.
Die Revision des Angeklagten hat einen Teilerfolg. Aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist die
Beweisantragsrüge unzulässig; die
Aufklärungsrüge sowie die Sachrüge, soweit
sie den Schuldspruch betrifft, insbesondere die sachlich-rechtlichen
Einwendungen gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung, sind
unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Hingegen
hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Prüfung
nicht stand.
1. Die Strafrahmenwahl des Tatrichters, der die Strafe dem nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des
§ 212 Abs. 1 StGB entnommen hat, erweist sich als
rechtsfehlerhaft. Das Schwurgericht hat übersehen,
daß nach den von ihm rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen die Voraussetzungen eines minder schweren Falles des
Totschlages gemäß der ersten Alternative des
§ 213 StGB anzunehmen waren.
Noch vertretbar hat das Schwurgericht trotz des heftigen Streits
zwischen dem Angeklagten und dem späteren Opfer G , dem
Ehemann seiner verstorbenen Großmutter, keine vom Angeklagten
unverschuldete schwere Beleidigung angenommen, wenngleich G den Streit
durch seine nach den Urteilsfeststellungen unberechtigte Weigerung auf
Herausgabe dem Angeklagten gehörender Gegenstände
hervorgerufen hatte. Das Schwurgericht hat es indes unterlassen,
darüber hinaus die folgende weitere Besonderheit des
unmittelbaren Vortatgeschehens zu berücksichtigen: G , der im
Verlaufe des Streits außer sich geraten war, ergriff
plötzlich ein mit Blech beschlagenes Brett, um damit auf den
Angeklagten loszugehen. Dieser rechtswidrige Angriff G s auf den
Angeklagten wurde vom Mitangeklagten durch Nothilfe verhindert, indem
er G mit einer Eisenstange einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte,
infolgedessen dieser das Brett fallen ließ und zu Boden ging.
In dieser Situation entriß der Angeklagte dem Nothelfer die
Eisenstange; er erschlug damit das Opfer durch heftige, mit direktem
Tötungsvorsatz geführte Schläge auf den Kopf
und stieß schließlich dem Sterbenden ein Messer in
die Brust. Der Angeklagte war hierbei zuletzt "kreidebleich, zitterte
am ganzen Körper und sonderte Speichel ab" (UA S. 19).
Nach den rechtsfehlerfreien Erwägungen des Schwurgerichts im
Zusammenhang mit der Rechtfertigung der gefährlichen
Körperverletzung des Mitangeklagten war der dem Totschlag
vorangegangene rechtswidrige Angriff auf den Angeklagten angesichts der
Feststellungen zu den körperlichen Kräften des
außer sich geratenen G und zur Massivität jenes
Angriffs als Mißhandlung im Sinne der ersten Alternative des
§ 213 StGB zu werten. Möglicherweise hat das
Schwurgericht, das insoweit keine näheren
Erörterungen angestellt hat, nicht bedacht, daß es
hierfür keines Körperverletzungserfolges bedarf (BGHR
StGB § 213 Alt. 1 Mißhandlung 4 und 5). Aus den
festgestellten Begleitumständen zur Geschehensabfolge ergibt
sich ohne weiteres, daß zugunsten des Angeklagten anzunehmen
war, daß er durch diese Mißhandlung als gravierende
Steigerung des zuvor verbal geführten heftigen Streits, die
gleichsam "das Faß zum Überlaufen brachte" (vgl.
BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 5), zum Zorn gereizt und
auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde. Angesichts der
Rechtswidrigkeit des Angriffs des Opfers auf den Angeklagten war, zumal
vor dem Hintergrund der Streitentstehung, eine eigene Schuld des
Angeklagten an der Provokation auszuschließen.
2. Demgemäß hätte bei der Strafzumessung
der Strafrahmen aus § 213 StGB zugrundegelegt werden
müssen. Dieser Strafrahmen wäre zudem angesichts
einer dem Angeklagten unbedenklich zugebilligten erheblichen
Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund krankhafter
seelischer Störung - hervorgerufen durch seinen
gestörten Hormonhaushalt bei mittelgradiger Alkoholisierung
vor dem Hintergrund starker emotionaler Belastung (UA S. 48 f.) -
gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB weiter
zu mildern gewesen.
Auf die von der Revision vorgebrachten nicht unerheblichen Bedenken
gegen die Verneinung einer erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit unter dem Gesichtspunkt des Affekts kommt
es bei dieser Sachlage letztlich nicht an. Schuldunfähigkeit
scheidet, wie die Revision nicht verkennt, aus. Ein Affekt liegt bei
einem minder schweren Fall des Totschlags nach der ersten Alternative
des § 213 StGB regelmäßig vor; er ist
daneben, selbst wenn er den Grad einer tiefgreifenden
Bewußtseinsstörung erreichte, kaum weiter besonders
strafzumessungsrelevant. So läge bei nur affektbedingter
erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit - anders als
bei der hier angenommenen krankhaften seelischen Störung -
sogar eine nochmalige Strafrahmenverschiebung nach §§
21, 49 Abs. 1 StGB eher fern (vgl. BGH NStZ 1986, 71; BGHR StGB
§ 213 Alt. 2 Gesamtwürdigung 2).
3. Danach erübrigt sich eine Aufhebung von Feststellungen nach
§ 353 Abs. 2 StPO. Der neue Tatrichter wird allein auf der
Grundlage sämtlicher bislang rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen - die allenfalls durch weitergehende widerspruchsfreie
Feststellungen ergänzt werden dürfen - aus dem
gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten
Strafrahmen des § 213 StGB eine neue mildere Strafe zu
verhängen haben.
Diese wird gleichwohl im Blick auf das gravierende Tatbild eher dem
oberen als dem unteren Bereich dieses Strafrahmens zu entnehmen sein.
Allerdings bestünden gegen eine erneute Anlastung
früherer Aussagen des Angeklagten zum Nachteil des
rechtskräftig freigesprochenen Mitangeklagten angesichts des
weiteren Aussageverhaltens des Angeklagten und der sonstigen den
Mitangeklagten betreffenden Sach- und Beweislage durchgreifende
Bedenken.
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