BGH,
Beschl. v. 15.4.2010 - 5 StR 75/10
5 StR 75/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 15. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. April 2010
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 16. Oktober 2009 mit den Feststellungen nach § 349
Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Herbeiführens einer
Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Brandstiftung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die mit
der Sachbeschwerde geführte Revision des Angeklagten hat
Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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Der seit 1999 freiberuflich als Facharzt für Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie praktizierende Angeklagte kündigte im
November 2007 seine angemieteten Praxisräume. Dabei war er der
Hoffnung, über die Räumlichkeiten einen neuen
Mietvertrag zu besseren Konditionen abschließen zu
können. Hierzu war der Vermieter indes nicht bereit, so dass
der Angeklagte gezwungen war, die Praxisräume zum 30. Juni
2009 aufzugeben.
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Das Verhalten seines Vermieters nahm der Angeklagte als
Zerstörung seines Lebenswerkes wahr. Zwischen 0.30 Uhr und
1.00 Uhr des 27. Juni 2009 fasste er im Zuge (auch) depressiver
Verstimmung den Entschluss, seine Praxisräume in Brand zu
stecken und auf diese Weise die Praxis und das gesamte Inventar zu
zerstören.
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Bereits auf der Autofahrt zum Tatort „schwankte der
Angeklagte in seinen Überlegungen, ob er seinen Plan letztlich
in die Tat umsetzen sollte“ (UA S. 9). Gleichwohl begab er
sich in die Praxisräume in der vierten Etage eines
Bürohauses, verklebte in nahezu allen Räumen die an
der Decke angebrachten Auslasse der Sprinkleranlage mit Aluminiumfolie,
um ein vorzeitiges Löschen des Brandes zu verhindern, und
vergoss „entsprechend seinem Tatplan, die Praxis zu
zerstören“ (UA S. 9), die mitgebrachten 50 Liter
Benzin nahezu vollständig. Dabei war ihm bewusst, dass die
entstehenden Dämpfe als Benzin-Luft-Gemisch explodieren
könnten. „Tatplangemäß“
entnahm er sodann „ein Streichholz aus seiner
mitgeführten Streichholzschachtel, um dieses
anzuzünden und damit das verschüttete Benzin zu
entflammen“ (UA S. 10).
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Aufgrund „seiner in Bezug auf die Umsetzung des
Tatentschlusses weiterhin ambivalenten Stimmung zögerte der
Angeklagte“. Da er „seinen Plan nun
zunächst doch nicht in die Tat umsetzen wollte“,
versuchte er, „das Streichholz wieder in die Schachtel
zurückzustecken“. Hierbei „kam er
versehentlich mit der Zündseite des Streichholzes gegen die
Reibefläche der Schachtel, so dass dieses sich
entzündete“. Der Angeklagte versuchte,
„die Flamme sogleich zu ersticken, indem er das Streichholz
mit beiden Daumen gegen die von ihm in der linken Hand gehaltene
Streichholzschachtel drückte. Da jedoch durch die
große Menge des verschütteten Kraftstoffs die
Benzindämpfe bereits hochgestiegen waren, genügte das
kurzzeitige Aufflammen des Streichholzes, um diese zu
entzünden“ (UA S. 10).
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Das Feuer breitete sich schnell in den Praxisräumen aus und
brannte mindestens eine und höchstens drei Minuten.
Unterdessen verließ der Angeklagte fluchtartig die
Räumlichkeiten. Vermutlich dadurch entstand eine Verwirbelung
von Luft- und Benzindämpfen, die zur Explosion dieses
Gemisches führte. Als Folge der Explosion und des
anschließenden Weiterbrennens des Gemisches bis zum
Löschen durch die - ungeachtet der Manipulation durch den
Angeklagten - weiterhin funktionsfähige Sprinkleranlage
entstand ein Sachschaden von etwa 1 Mio. €.
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2. Die Urteilsfeststellungen halten einer sachlich-rechtlichen
Überprüfung nicht stand. Sie sind in Teilen
widersprüchlich und tragen eine Verurteilung wegen
vorsätzlich vollendeten Herbeiführens einer
Sprengstoffexplosion und wegen vorsätzlich vollendeter
Brandstiftung nicht. Sie lassen nicht den Schluss auf die innere
Tatseite des Angeklagten im Zeitpunkt des -
„versehentlichen“ - Entzündens des Benzins
und damit auf die Zurechnung einer vorsätzlichen
Deliktsvollendung zu.
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a) Die Strafkammer begründet ihre Annahme, der Angeklagte habe
in Bezug auf das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit -
bedingtem - Vorsatz gehandelt, im Wesentlichen wie folgt:
„Wie sich aus den Feststellungen ergibt, erkannte er die
Möglichkeit, dass Benzin auch zu einer Explosion
führen kann, und nahm diese zumindest billigend in Kauf. Der
Vorsatz entfällt auch nicht dadurch, dass der Angeklagte nach
dem Verschütten des Benzins und dem Herausholen eines
Streichholzes sein Vorhaben zumindest in dem Moment doch nicht in die
Tat umsetzen wollte und sich dann das Streichholz nur versehentlich
entzündete, da es sich insoweit um eine lediglich unerhebliche
Abweichung des von dem Angeklagten gewollten Kausalverlaufs darstellt.
Der Angeklagte hatte vor, Benzin in seinen Praxisräumen zu
verschütten und diese dann anzuzünden, um dort einen
nicht unbeträchtlichen Schaden anzurichten. Dieser Vorstellung
entsprechend verlief dann auch tatsächlich die von ihm
begangene Tat. Der Moment des Zögerns, verbunden mit einem
zumindest kurzzeitigen Abrücken vom ursprünglichen
Tatentschluss,
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lag zu einem Zeitpunkt, als er bereits zur Tatausführung
unmittelbar angesetzt hatte, da er bereits das Streichholz zum Zwecke
des Entzündens des zuvor verschütteten Benzins
herausgeholt hatte und es zur Vollendung auch nach seiner Vorstellung
nur noch des Reibens an der Reibefläche der
Streichholzschachtel bedufte“ (UA S. 45).
b) Die Urteilsfeststellungen belegen für den hier
maßgeblichen Zeitpunkt des Entzündens des Benzins
bzw. des Benzin-Luft-Gemisches keine über die bloße
Tatgeneigtheit hinausgehende Tatentschlossenheit des Angeklagten. Den
Vorsatz muss der Täter zum Zeitpunkt der Tathandlung haben
(vgl. BGH NStZ 2004, 201, 202; Vogel in LK 12. Aufl. § 15 Rdn.
53; Fischer, StGB 57. Aufl. § 15 Rdn. 4 m.w.N.; Puppe NK-StGB
2. Aufl. § 15 Rdn. 100).
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Mag der Angeklagte in den vorangegangenen Ausführungsstadien
die ihn immer wieder befallenden Zweifel auch überwunden
haben, so gilt dies nach den Feststellungen nicht für den
für die Tatbestandsverwirklichung entscheidenden Zeitpunkt des
Entzündens. Denn danach „zögerte“
der Angeklagte nicht nur. Er wollte seinen Tatplan in diesem
„Moment doch nicht in die Tat umsetzen“. Das
Zögern war hier verbunden mit „einem zumindest
kurzzeitigen Abrücken“. Dass er statt seines
ursprünglichen Vorhabens nunmehr ein neues Tatgeschehen mit
demselben Ziel geplant haben könnte, belegen die
Feststellungen jedenfalls nicht. Die Einlassung des Angeklagten, dass
er das Streichholz wieder zurück in die Schachtel habe legen
wollen, er jedoch „nicht wisse, ob er es kurze Zeit
später wieder herausgeholt hätte“ (UA S.
18), reicht zur Feststellung eines vorsätzlichen Handelns des
Angeklagten nicht aus.
3. Der Senat sieht sich mit Rücksicht auf die
ungewöhnlichen Feststellungen und die ihnen zugrunde liegende
Beweiswürdigung der Strafkammer veranlasst, darauf
hinzuweisen, dass das Tatgericht eine Einlassung des Angeklagten auch
dann nicht ohne Weiteres seiner Überzeugungsbildung
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unterstellen muss, wenn es an weiteren Beweismitteln fehlt. Die
Einlassung ist auf ihre Plausibilität zu
überprüfen und in die Gesamtschau der ansonsten
festgestellten Tatumstände einzustellen. Vor diesem
Hintergrund liegt das vom Angeklagten hier geschilderte Geschehen zur
Entzündung des Gemisches nicht nur weit außerhalb
jeder Lebenswahrscheinlichkeit. Gerade auch die mitgeteilte Art und
Weise, wie der Angeklagte das entflammte Zündholz
gelöscht haben will, erscheint im Hinblick auf die motorische
Leistung und die damit einhergehende Umständlichkeit - trotz
festgestellter Brandwunden an den Fingern des Angeklagten - kaum
nachvollziehbar.
Der Senat kann andererseits nicht von sich aus sicher feststellen, dass
jedes andere Ergebnis einer fehlerfreien Beweiswürdigung als
die Feststellung vorsätzlicher Brandlegung
auszuschließen ist. Trotz der Feststellungen zur
Fehlerhaftigkeit der tatgerichtlichen Beweiswürdigung
überschritte es hier die Kompetenzen des Revisionsgerichts,
die getroffenen tatgerichtlichen Feststellungen von sich aus durch
andere, dann den Schuldspruch tragende Feststellungen zu ersetzen.
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Der Senat kann auch nicht den Schuldspruch in Konsequenz der auf einer
durchgreifend bedenklichen Beweiswürdigung getroffenen
Urteilsfeststellungen in eine lediglich versuchte Tatbegehung in
Tateinheit mit den entsprechenden fahrlässigen Delikten
(§§ 306d, 308 Abs. 6 StGB) abändern und auf
dieser Grundlage den - freilich maßvollen - Strafausspruch
unter Ausschluss möglicher Strafrahmenverschiebung nach
§ 23 Abs. 2, § 49
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Abs. 1 StGB aufrechterhalten. Auch dies überschritte -
abgesehen von einem fehlenden entsprechenden rechtlichen Hinweis vor
dem Tatgericht - hier die revisionsgerichtliche Kompetenz.
Bei dieser Sachlage hebt der Senat das Urteil mit sämtlichen
Feststellungen auf.
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