BGH,
Beschl. v. 15.12.2005 - 1 StR 411/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 411/05
vom 15.12.2005
in der Strafsache
gegen
BGHSt: nein
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
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StPO § 338 Nr. 3, § 24 Abs. 2
Rechtsmissbräuchlicher Befangenheitsantrag.
BGH, Beschluss vom 15.12.2005 - 1 StR 411/05 - LG Mannheim
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15.12.2005 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim
vom 6. Mai 2005 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die
Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen schweren
Bandendiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf
Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf Verfahrensrügen
und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten
hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
Näherer Erörterung bedarf allein die
Verfahrensrüge, die Strafkammer habe einen vom Angeklagten
gegen sie gerichteten Befangenheitsantrag rechtsfehlerhaft als
unzulässig behandelt.
1. Dem Ablehnungsgesuch liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
a) Nach der Mittagspause des 13. Hauptverhandlungstages am
18. April 2005 äußerte die Verteidigerin des
Angeklagten Bedenken über den Zustand ihres Mandanten und
beantragte dessen Untersuchung durch einen Arzt. Die Hauptverhandlung
wurde kurz unterbrochen. Der Vorsitzende gab danach den Inhalt seines
Gespräches mit dem Anstaltsarzt bekannt. Der
Untersuchungshaftanstalt, aus der der Angeklagte am Morgen
vorgeführt worden war,
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seien keine Anhaltspunkte bekannt, die gegen eine
Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten sprächen. Die
Verteidigerin stellte daraufhin den Antrag, den Angeklagten umgehend
durch einen Notarzt auf seine Verhandlungsfähigkeit
untersuchen zu lassen. Zur Begründung gab sie an, nachdem der
Angeklagte am Vormittag dem äußeren Eindruck nach
bewusstseinsklar und orientiert gewirkt habe, sei er nach der
Sitzungspause gegen 13.15 Uhr in den Sitzungssaal geschwankt. Er sei
nicht ansprechbar gewesen, habe sich kaum auf den Stuhl setzen
können und habe die Augen geschlossen gehalten. Da eine
konkrete Verschlechterung seiner Gesundheit sich diesem Eindruck
zufolge aufdränge und nicht ausgeschlossen werden
könne, dass der Angeklagte seine eigene
Behandlungsbedürftigkeit nicht einzuschätzen
vermöge, könne diese Frage weder durch
Rückfrage beim Angeklagten noch in der Justizvollzugsanstalt,
in der er sich seit dem frühen Morgen nicht mehr aufhalte,
geklärt werden. Der Vorsitzende stellte an den Angeklagten die
Frage, was ihm fehle, ob er sich nicht wohl fühle. Der
Angeklagte machte keine konkreten Beschwerden geltend. Es erging
daraufhin die Verfügung des Vorsitzenden, mit der die
ärztliche Untersuchung des Angeklagten abgelehnt wurde. Die
Verteidigerin rügte die Verfügung des Vorsitzenden
und beantragte einen Gerichtsbeschluss. Der diensthabende
Justizwachtmeister wurde informatorisch gehört.
Die Strafkammer verkündete den Beschluss, die Beanstandung der
Verfügung des Vorsitzenden, ungeachtet der geltend gemachten
Verhandlungsunfähigkeit die Verhandlung fortzusetzen und
keinen Arzt zur Überprüfung der
Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten herbeizurufen, werde
abgelehnt. Zur Begründung führte die Kammer aus, es
gebe keine Anhaltspunkte für eine dramatische Verschlechterung
des Gesundheitszustandes des Angeklagten während der
Mittagspause. Nach den Beobachtungen des Gerichts während der
Verhandlung am Vormittag und nach dem Bericht des Gerichtswachtmeis-
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ters, der den Angeklagten während der Pause gesehen habe, sei
der Angeklagte bei vollem Bewusstsein und voller
Konzentrationsfähigkeit. Ein Rückruf beim
Anstaltsarzt habe erbracht, dass sich der Angeklagte zuletzt am 15.
April 2005 dem Arzt vorgestellt habe, über Schlaflosigkeit,
körperliche Missempfindungen geklagt habe und ohne aktuelle
Veränderung der Medikation erneut zur Vorstellung
während der laufenden Woche einbestellt worden sei. Auf
Befragen habe der Angeklagte keine besonderen Klagen über
seinen Gesundheitszustand geltend gemacht. Angesichts dieser
Umstände könne von einer dramatischen
Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Angeklagten, der
ständig ärztlicher Kontrolle unterliege, nicht
ausgegangen werden. Daraufhin stellte die Verteidigerin für
den Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen die gesamte
Strafkammer. Zur Begründung führte sie aus, das
Verhalten der abgelehnten Kammermitglieder begründe die
Besorgnis, die Gerichtsmitglieder wollten den Angeklagten ohne
Rücksicht auf eine mögliche
Gesundheitsverschlechterung verurteilen, was ihn an deren
Unparteilichkeit zweifeln lasse. Sämtliche abgelehnten
Personen und Anwesenden seien medizinische Laien, die ohne
entsprechende Fachkenntnis nur auf äußere
Eindrücke ihre Schlüsse stützen
könnten. Der Angeklagte habe bis zum Zeitpunkt des
Befangenheitsantrags die Augen kaum öffnen können.
Der Eindruck vom Zustand des Angeklagten, so wie ihn die Unterzeichnete
geschildert habe, und wie er vom Justizangestellten S.
bestätigt worden sei, könne nicht durch Angaben der
Justizvollzugsanstalt vom 15. April 2005 entkräftet werden,
weshalb der Angeklagte davon ausgehen müsse, dass ihm die
Mitglieder des Gerichts noch nicht einmal hinsichtlich seines
Gesundheitszustandes unparteiisch gegenüberständen.
Die Strafkammer verwarf den Befangenheitsantrag als
unzulässig. Ein Befangenheitsantrag sei
gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als
unzulässig
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abzulehnen, wenn eine Begründung fehle. Dem sei der Fall
gleichzustellen, dass die Begründung aus zwingenden
rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs
völlig ungeeignet sei. Hier werde die Befangenheit der Kammer
mit den Gründen des Beschlusses der Kammer vom heutigen Tage
begründet. Die Mitwirkung an Zwischenentscheidungen im
anhängigen Verfahren begründe jedoch i. d. R. keine
Ablehnung eines Richters. Da keine Besonderheiten vorgetragen wurden,
die zu einer anderen Beurteilung Veranlassung geben könnten,
sei der Antrag als unzulässig abzulehnen. Nach diesem
Gerichtsbeschluss wurden noch zwei weitere Gerichtsbeschlüsse
verkündet. Da keine Anträge mehr gestellt wurden,
wurde die Beweisaufnahme geschlossen und die Hauptverhandlung
unterbrochen.
b) Die Revision macht geltend, das Gericht habe den Befangenheitsantrag
der Verteidigung zu Unrecht als unzulässig
gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO abgelehnt.
Der wesentliche Ablehnungsgrund, der dem Antrag der Verteidigung
zugrunde liege, sei die Besorgnis, das Verhalten der Kammermitglieder,
die sich trotz offenkundiger und sichtbarer Zeichen für eine
massive Erkrankung oder/und Bewusstseinseintrübung beim
Angeklagten hierüber hinwegsetzten, sodass der Angeklagte
davon ausgehen müsse, dass die abgelehnten Personen ihn nicht
einmal im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand unparteiisch
gegenübergetreten seien. Der Antrag sei auch damit
begründet worden, dass er auf die Besorgnis des Angeklagten
gestützt sei, er solle ohne Rücksicht auf eine
mögliche Gesundheitsverschlechterung (noch an diesem Tage)
verurteilt werden. Das Gericht habe sowohl den Antrag auf Untersuchung
als auch den Befangenheitsantrag mit Gründen abgelehnt, die
den Zustand des Angeklagten am Vormittag des betreffenden Tages
wiedergäben. Über seinen Zustand am Nachmittag habe
der Anstaltsarzt keine Angaben machen können, da sich der
Angeklagte seit dem frühen Vormittag diesen Tages bei Gericht
und
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nicht in der Justizvollzugsanstalt aufgehalten habe. Ein Fall der
Unzulässigkeit liege nicht vor, bei welchem die
Begründung im Befangenheitsantrag aus zwingenden rechtlichen
Gründen zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs
völlig ungeeignet sei, denn die Frage, ob die
Begründung eines Gerichtsbeschlusses in laufender Verhandlung
überhaupt die Möglichkeit eines Befangenheitsgrundes
eröffne, sei eine Frage der Begründetheit, die in der
Prüfung der Zulässigkeit keine Rolle spiele. Nur
für den Fall der "völligen Ungeeignetheit" einer
Begründung des Befangenheitsantrages könne dieser
einem nicht begründeten Antrag gleichgesetzt und damit als
unzulässig abgelehnt werden. Ein solcher Fall habe entgegen
der Annahmen des Gerichts nicht vorgelegen. Da die Mitglieder der
Kammer durch den zulässigen Befangenheitsantrag nicht mehr zur
Entscheidung berufen gewesen seien, liege der absolute Revisionsgrund
des § 338 Nr. 3 StPO vor. 2. Der Verfahrensrüge muss
der Erfolg versagt bleiben.
a) Der Senat kann offen lassen, ob - was nicht nahe liegt - der Vortrag
zur Verfahrensrüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2
Satz 2 StPO genügt. Die Revision trägt zwar vor, dass
der Vorsitzende am darauf folgenden Hauptverhandlungstag, dem 6. Mai
2005, den Verfahrensbeteiligten die Ergebnisse der ärztlichen
Untersuchungen nach dem 18. April 2005 durch den Notarzt, das
Zentralinstitut für seelische Gesundheit und das
Vollzugskrankenhaus Hohen- asperg betreffend den Angeklagten bekannt
gemacht hat und den Verfahrensbeteiligten die Ablichtungen der
Arztberichte ausgehändigt hat. Sie verschweigt jedoch, dass
der Angeklagte ausweislich der Arztberichte gegenüber den
Ärzten u.a. angegeben hatte, er habe am 18. April 2005 - bei
Gericht - Rattengift eingenommen, das er sich zuvor aus der
Küche der Justizvollzugsanstalt besorgt hatte; diese Substanz
hatte am Nachmittag des Verhandlungstages zu mehrfachem Erbrechen
geführt (GA Bd. XIV S. 234).
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Der Senat kann auch offenlassen, ob die Kammer nach § 26a Abs.
1 Nr. 2 StPO verfahren durfte (vgl. dazu BVerfG - Kammer - NJW 2005,
3410; BGH NJW 2005, 3434; NJW 2005, 3436).
b) Der Verfahrensrüge muss jedenfalls deshalb der Erfolg
versagt werden, weil sie auf ein rechtsmissbräuchliches
Verhalten des Angeklagten gestützt ist (vgl. dazu BGH,
Beschluss vom 13.12.2005 - 5 StR 494/05 -, BGH NStZ 2002, 217; NStZ
2000, 606; NStZ 1998, 267; NStZ 1998, 209; NStZ 1997, 451; NStZ`1993,
198 jeweils m. w. Nachw.)
aa) Nach § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 1 StPO findet die
Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund
vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines
Richters oder Schöffen zu rechtfertigen. Nach
ständiger Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei
Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 24 Rdn. 6, 8) ist das
Vorliegen eines Ablehnungsgrundes grundsätzlich vom Standpunkt
des Ablehnenden zu beurteilen. Ob der Richter tatsächlich
befangen ist, spielt daher keine Rolle. Das Misstrauen gegen die
Unparteilichkeit eines Richters ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende
bei verständiger Würdigung des - ihm bekannten -
Sachverhalts Grund zur Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm
gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine
Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen
kann.
bb) Der Angeklagte hat, nach seinen eigenen, später den
Ärzten gegenüber gemachten Angaben bei Gericht
Rattengift eingenommen und sich damit vorsätzlich und
schuldhaft - Anhaltspunkte für Anderes sind weder vorgetragen,
noch sonst ersichtlich - in einen Zustand versetzt, der seine
Verhandlungsfähigkeit beinträchtigen konnte (vgl.
§ 231a StPO). Dies hat er dem Gericht nicht nur verschwiegen.
Er hat vielmehr durch seine Verteidigerin vortra-
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gen lassen, die Frage seiner Verhandlungsfähigkeit
könne nicht durch eine Rückfrage bei ihm
geklärt werden. Als der Vorsitzende den Angeklagten gleichwohl
fragte "was ihm fehle" - eine Frage, die er leicht hätte
beantworten können - machte er zudem, bewusst falsch, keine
konkreten Beschwerden geltend. Das Gericht hat - anders als die
Verteidigerin - keine Verschlechterung des Gesundheitszustands des
Angeklagten wahrgenommen und konnte sich dadurch aufgrund der Antwort
des Angeklagten auf die Frage des Vorsitzenden auch bestätigt
sehen. Wenn der Angeklagte - auf dessen Sichtweise es ankommt -
daraufhin gleichwohl das Gericht als befangen ansah, so kann der Senat
sein Verhalten nur dahin verstehen, dass der Angeklagte das Gericht
absichtlich in die Irre geführt hat. Ein solches Verhalten ist
rechtsmissbräuchlich. Der Angeklagte hat damit sein Recht auf
Stellung eines Befangenheitsantrages verwirkt. Einer darauf
gestützten Verfahrensrüge muss der Erfolg versagt
bleiben.
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