BGH,
Beschl. v. 15.1.2002 - 4 StR 574/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 574/01
vom
15. Januar 2002
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15. Januar
2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Neubrandenburg vom 11. Juli 2001 mit den Feststellungen aufgehoben,
soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere - allgemeine - Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung unter
Einbeziehung einer rechtskräftig verhängten
Freiheitsstrafe von drei Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei Jahren und acht Monaten verurteilt; den Tatvorwurf des versuchten
Totschlags hat es für nicht erwiesen erachtet. Gegen dieses
Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die
Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb
nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat
zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben.
Das Urteil hat jedoch insoweit keinen Bestand, als das Schwurgericht
nicht geprüft hat, ob der Angeklagte gemäß
§ 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist. Die
Erörterung dieser Frage drängte sich hier auf. Der
Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 13. Dezember 2001
hierzu zutreffend ausgeführt:
"Nach den Feststellungen trank der Angeklagte bereits seit seinem 14.
oder 15. Lebensjahr regelmäßig
größere Mengen Schnaps, wobei er seinen
Alkoholkonsum stetig steigerte. Auch nachdem er sich im Jahre 1994
einer Alkoholtherapie unterzogen hatte, blieb er nur etwa ein halbes
Jahr abstinent und steigerte sodann seinen Alkoholkonsum wieder stetig,
bis er sich an mehreren Tagen in der Woche bis zum totalen
Erinnerungsverlust betrank (UA S. 4). Bei der Begehung der vorliegenden
Tat vom März 1999 stand der Angeklagte erneut unter
erheblichem Alkoholeinfluß, der sich im Laufe des Geschehens
so weit steigerte, daß die völlige Aufhebung der
Steuerungsfähigkeit für die letzte Phase des
Tatgeschehens nicht ausgeschlossen werden konnte (UA S. 18).
Zwischenzeitlich ist sich der Angeklagte seines Alkoholproblems
bewußter, er vermeidet Situationen, in denen er zu
übermäßigem Alkoholkonsum verleitet werden
könnte und zeigt Bereitschaft, sich einer ambulanten
Alkoholtherapie zu unterziehen (UA S. 8).
Angesichts dieser Feststellungen lag die Anordnung der Unterbringung
des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nahe. Mit der Frage des
Vorliegens eines Hanges des Angeklagten, Alkohol im
Übermaß zu sich nehmen, hat sich der zur Schuldfrage
gehörte Sachverständige erkennbar nicht
auseinandergesetzt. Daß bei dem Angeklagten die hinreichend
konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht besteht (vgl. BVerfGE
91, 1 ff. = NStZ 1994, 578), ist nicht ersichtlich, zumal der
Angeklagte nunmehr bereit ist, sich einer Alkoholtherapie zu
unterziehen (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Erfolgsaussicht 2, 4).
Das Landgericht hätte deshalb darlegen müssen, warum
es gleichwohl von der Unterbringung abgesehen hat (BGHSt 37, 5, 7; 38,
362, 363; Senat, Beschlüsse vom 21. Januar 1999 - 4 StR
697/98, vom 16. März 1999 - 4 StR 91/99 und vom 12. Oktober
1999 - 4 StR 405/99). Die Unterbringung nach § 64 StGB ist
zwingend, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen, und hat Vorrang vor
allen Formen selbstgewählter Therapie (vgl. BGHR StGB
§ 64 Ablehnung 7, 8).
Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die
Unterbringungsanordnung im weiteren Verfahren nicht (§ 358
Abs. 2 StPO; BGHSt 37, 5)."
Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils, soweit
die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt unterblieben ist. Der Senat kann
ausschließen, daß der Tatrichter bei Anordnung der
Unterbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Der
Strafausspruch kann daher bestehen bleiben.
Der Senat verweist die Sache, nachdem die Zuständigkeit des
Schwurgerichts nach § 74 Abs. 2 GVG nicht mehr gegeben ist, an
eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück.
Tepperwien Maatz Athing Solin-Stojanovic Ernemann |