BGH,
Beschl. v. 15.1.2003 - 5 StR 251/02
5 StR 251/02
StPO § 142 Abs. 1
Gebotene Ablehnung der Bestellung eines vom Beschuldigten bezeichneten
Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger bei konkreter Gefahr einer
Interessenkollision in einem Fall sukzessiver Mehrfachverteidigung.
BGH, Beschl. v. 15. Januar 2003 - 5 StR 251/02 - LG Berlin -
5 StR 251/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 15. Januar 2003
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Anstiftung zum Mord u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 15. Januar 2003
beschlossen:
I. 1. Dem Angeklagten J wird auf seine Kosten zur weiteren
Begründung seiner Revision gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 11. Dezember 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gewährt.
2. Auf die Revision des Angeklagten J wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 11. Dezember 2001, soweit es ihn betrifft, nach §
349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
3. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an eine andere als Schwurgericht
zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
II. 1. Die Revision des Angeklagten D gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 11. Dezember 2001 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte D hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch
den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
I.
Das Schwurgericht hat den Angeklagten J wegen Anstiftung zum Mord zu
lebenslanger Freiheitsstrafe - nach Einbeziehung anderweits ver
hängter rechtskräftiger Strafen als Gesamtstrafe -,
den Angeklagten D
wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jahren Freiheitsstrafe
verurteilt.
1. Das Schwurgericht hat folgendes festgestellt:
Die Angeklagten hatten seit 1992 massive Konflikte mit ihrem
Geschäftspartner G . Der Angeklagte J begann im Jahre 1993,
den mit ihm und seiner Ehefrau befreundeten B zu überreden, G
zu töten. Dem wiederholten Drängen J s
schloß sich der Angeklagte D an; er war an der
Tötung des mit beiden Angeklagten zerstrittenen, ihnen
für ihr geschäftliches Fortkommen lästig und
gefährlich gewordenen Partners gleichfalls interessiert.
Schließlich erschoß B den G G im März 1994
hinterrücks - wie von beiden Angeklagten einkalkuliert - mit
einer ihm von J zur Tatausführung übergebenen Pistole.
B wurde ein Jahr später vom Landgericht Berlin wegen
heimtückisch begangenen Mordes - unter Zubilligung erheblich
verminderter Schuldfähigkeit - zu neun Jahren Freiheitsstrafe
verurteilt. Verteidigt wurde er von Rechtsanwalt S . Bereits vor der
Tat hatte der Angeklagte
J seinem damaligen Freund B diesen Rechtsanwalt für den Fall,
daß er als Täter ermittelt würde, benannt;
B müsse dann "auf Macke" machen und werde nach fünf
bis sechs Jahren entlassen werden.
Erst im Sommer 2000 offenbarte B der Polizei die Beteiligung der
Angeklagten an dem von ihm begangenen Mord. Zuvor waren weitere
Zuwendungen des Angeklagten J an ihn während seiner Strafhaft
schließlich ausgeblieben; Konflikte zwischen den Eheleuten J
waren B , der sich um J s Ehefrau sorgte, bekannt geworden. Zudem hatte
ein Mitgefangener, dem B sich offenbart hatte, ihm zu der Aussage
geraten; ihn motivierte dabei nicht zuletzt der näher
rückende Zeitpunkt der Zweidrittelverbüßung
seiner Strafe. Einen Monat vor der polizeilichen Aussage hatte
B seinen früheren Verteidiger Rechtsanwalt S schriftlich
aufgefordert, im Streit zwischen den Eheleuten J zugunsten der Ehefrau
zu vermitteln; in dem durch Frau J übermittelten Brief teilte
er mit, der schon früher von Rechtsanwalt S
geäußerte Verdacht, J habe ihn,
B , zur Ermordung G s angestiftet, treffe zu. Das Schreiben,
über das B der Polizei berichtet hatte und dessen Original die
Ehefrau des Angeklagten J , die Rechtsanwalt S nur eine Abschrift
überlassen hatte, einbehalten und den
Ermittlungsbehörden übergeben hatte, hat das
Schwurgericht als wesentliches Indiz zur Stützung der
Zeugenaussage des Haupttäters B gewertet, auf die es seine
Beweiswürdigung maßgeblich gestützt hat.
2. Soweit die Revisionen der Angeklagten zunächst jeweils mit
der Sachrüge begründet worden sind, haben sie keinen
Erfolg. Die Beweiswürdigung des Schwurgerichts begegnet
insgesamt im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auch
erweist sich die auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhende
Auffassung des Schwurgerichts als rechtsfehlerfrei, die Angeklagten
hätten hinsichtlich des zutreffend angenommenen Mordmerkmals
der Heimtücke den jeweils erforderlichen Beteiligtenvorsatz
gehabt (vgl. BGHR StGB § 26 Vorsatz 2).
Bei dieser Sachlage ist die Revision des Angeklagten D nach §
349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Der Umstand, daß der Angeklagte J in der Tatsacheninstanz
allein durch den - freilich auf Wunsch dieses Angeklagten - zum
Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt S verteidigt worden ist,
begegnet ebenso durchgreifenden Bedenken wie die anfänglich
entsprechend geordneten Verteidigungsverhältnisse im
Revisionsverfahren. Nachdem dem Angeklagten J aufgrund dieser Bedenken
im Revisionsverfahren ein weiterer Verteidiger bestellt worden ist, hat
dieser zur weiteren Begründung der Revision des Angeklagten J
eine Verfahrensrüge wegen Verletzung des § 142 Abs. 1
Satz 3 StPO erhoben und hierfür Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand beantragt. Das Wiedereinsetzungsgesuch und diese
Verfahrensrüge sind begründet; dies führt
zur umfassenden Aufhebung des Urteils auf die Revision des Angeklagten
J , soweit dieser Angeklagte verurteilt worden ist.
1. Kollidiert der Wunsch eines Beschuldigten, von einem bestimmten
Rechtsanwalt verteidigt zu werden, mit einem möglichen
Konflikt dieses Rechtsanwalts in Bezug auf die Interessen eines anderen
- auch früheren - Mandanten (vgl. - zur
Unmaßgeblichkeit des Fortbestehens des anderen Mandats
für die Frage rechtlich relevanter Interessenkonflikte wegen
fortwirkender Berufspflichten - nur BGHSt 34, 190, 191; Cramer in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 356 Rdn.
10, 17; Eylmann in Henssler/Prütting, BRAO 1996 § 43a
Rdn. 41, 126 ff.; Feuerich/Braun, BRAO 5. Aufl. § 43a Rdn. 20,
55 ff.), sind folgende Grundsätze zu beachten.
a) Dem Beschuldigten ist aufgrund seines Rechts auf ein faires,
rechtsstaatlich geordnetes Verfahren eine effektive Verteidigung im
Strafverfahren zu gewährleisten (Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK;
Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Daher muß
für den Beschuldigten - abgesehen von seinem
grundsätzlich gegebenen Recht aus § 137 Abs. 1 Satz 1
StPO auf Verteidigerwahl - in gewichtigen Strafverfahren ein
Verteidiger mitwirken (§ 140 StPO), dessen juristische
Qualifikation - regelmäßig als Rechtsanwalt -
sichergestellt (vgl. §§ 138, 139, 142 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 StPO) und dessen notwendige Anwesenheit während der
gesamten Hauptverhandlung durch den absoluten Revisionsgrund des
§ 338 Nr. 5 StPO abgesichert ist.
Sofern kein Wahlverteidiger mitwirkt, bedarf es in diesen
Fällen mithin der Pflichtverteidigerbestellung. Hierbei soll
auf ein Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und
Verteidiger hingewirkt werden; zudem sind dem Beschuldigten in einem
fairen, rechtsstaatlich geordneten Verfahren aktive
Mitwirkungsbefugnisse zuzubilligen. Dies gab Anlaß zu der
Regelung in § 142 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StPO, wonach
ein Wunsch des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen bestimmten
Rechtsanwalt durch Nachfrage zu fördern und diesem weitgehend
Rechnung zu tragen ist (vgl. BGHSt 43, 153, 154 f.; BGHR StPO
§ 142 Abs. 1 Auswahl 7, 8; Meyer-Goßner, StPO 46.
Aufl. § 142 Rdn. 9 m. w. N.).
b) Ein absehbarer Interessenkonflikt in der Person eines als
Pflichtverteidiger in Betracht gezogenen Rechtsanwalts kann, sofern
deshalb eine mindere Effektivität seines
Verteidigungseinsatzes zu befürchten ist, seiner Bestellung
entgegenstehen (vgl. BVerfG - Kammer - NStZ 1998, 46; BGH NStZ 1992,
292; OLG Frankfurt NJW 1999, 1414, 1415). Hierin kann auch ein
wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO liegen,
von der Bestellung des vom Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalts zum
Pflichtverteidiger abzusehen (vgl. Laufhütte in KK 4. Aufl.
§ 142 Rdn. 7). Eine solche Entscheidung löst ein
Spannungsfeld, bei dem jeweils im fairen Verfahren angelegte Elemente
widerstreiten: die Beachtlichkeit der aktiven Mitwirkung des
Beschuldigten bei der Suche nach einem Verteidiger, dem er vertraut,
einerseits; die durch gerichtliche Fürsorgepflicht zu
sichernde Effektivität der Verteidigung andererseits, die bei
greifbaren Interessenkonflikten regelmäßig als
vorrangig zu werten sein wird.
c) Der Gefahr einer Interessenkollision durch die Verteidigung mehrerer
derselben Tat Beschuldigter - wie auch durch die Verteidigung mehrerer
Beschuldigter im selben Verfahren - begegnet die Regelung des
§ 146 StPO. In Abwägung zwischen der Gefahr einer
nicht ausreichend sachgerecht geführten Verteidigung
einerseits und den aus einem generellen Verbot folgenden
Einschränkungen der freien Verteidigerwahl sowie der freien
Berufsausübung der Verteidiger andererseits hat der
Gesetzgeber im Jahre 1987 Anlaß gesehen, von dem noch bei
Einführung der Regelung Ende 1974 aufgestellten strikten
Verbot der Mehrfachverteidigung durch das zusätzliche
Erfordernis der Gleichzeitigkeit die sukzessive Mehrfachverteidigung
auszunehmen (vgl. dazu näher Laufhütte aaO §
146 Rdn. 1).
Hieraus ist zu folgern, daß die Bestellung eines vom
Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger allein
mit Rücksicht auf die abstrakte Gefahr einer
Interessenkollision nicht abgelehnt werden darf, die sich für
einen Verteidiger schon daraus ergeben kann, daß er die
Verteidigung eines Beschuldigten übernimmt, obgleich er zuvor
schon einen anderen derselben Tat Beschuldigten verteidigt hat. Dies
ist aus der Gleichwertigkeit von Wahl- und Pflichtverteidigung zu
folgern, da der entsprechende Sachverhalt eine Zurückweisung
des Verteidigers nach § 146a StPO nicht rechtfertigt (vgl.
BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 6).
Dies hindert freilich auch in einem Fall sukzessiver
Mehrfachverteidigung nicht etwa schlechthin die Ablehnung der
Beiordnung des gewünschten Rechtsanwalts zum
Pflichtverteidiger aus dem wichtigen Grund der konkreten Gefahr eines
Interessenkonflikts (vgl. Laufhütte aaO § 142 Rdn. 7
und § 146 Rdn. 1).
d) Zu beachten ist dabei, daß der Rechtsanwalt
grundsätzlich allein für die Wahrung seiner
Berufspflichten verantwortlich ist (vgl. BGH NStZ 1992, 292; OLG
Düsseldorf NStZ 1991, 352; OLG Frankfurt NJW 1999, 1414,
1415), hier speziell bezogen auf das Verbot der Vertretung
widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO). Das wird in
Fällen, in denen der Bestellung eines vom Beschuldigten
gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger kein anderer
wichtiger Grund als die konkrete Gefahr einer Interessenkollision
entgegensteht, regelmäßig Anlaß
für folgende Verfahrensweise sein: Der für die
Verteidigerbestellung zuständige Gerichtsvorsitzende sollte
vor einer Ablehnung der gewünschten
Pflichtverteidigerbestellung den Rechtsanwalt
- gegebenenfalls daneben auch den Beschuldigten selbst - zu dem
Sachverhalt anhören, der die Gefahr der Interessenkollision
begründen kann. Liegt ein derartiger Sachverhalt nach Lage des
Einzelfalles auf der Hand, wird der Vorsitzende eine derartige
Anhörung durchführen müssen und jedenfalls
gehindert sein, den gewünschten Pflichtverteidiger ohne
weiteres sofort zu bestellen.
Entsprechendes wird zu gelten haben in Fällen, in denen wegen
nachträglich erkannter konkreter Gefahr eines
Interessenkonflikts die Rücknahme der
Pflichtverteidigerbestellung aus wichtigem Grund (vgl.
Laufhütte aaO § 143 Rdn. 4 f.) zu erwägen
oder aufgrund einer entsprechenden Gefahr der Interessenkollision in
der Person eines Wahlverteidigers die zusätzliche Bestellung
eines Pflichtverteidigers (vgl. Laufhütte aaO § 141
Rdn. 7) in Betracht zu ziehen ist.
e) Bei der Annahme des wichtigen Grundes der konkreten Gefahr einer
Interessenkollision, welcher die Ablehnung der Bestellung des vom
Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger
gemäß § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO
rechtfertigt, steht dem zuständigen Gerichtsvorsitzenden ein
Beurteilungsspielraum zu, der nicht der umfassenden
Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt. So kann in
Grenzfällen die Ablehnung der vom Beschuldigten
gewünschten Verteidigerbestellung wegen vom Vorsitzenden
angenommener Gefahr der Interessenkollision als vertretbare
Entscheidung ebenso unbeanstandet bleiben wie die bei gleicher Sachlage
gleichwohl - ebenfalls vertretbar - verfügte Bestellung des
Verteidigers.
Insbesondere kann sich die Vertretbarkeit der getroffenen Entscheidung
über die Pflichtverteidigerbestellung auch aus dem Motiv der
Verfahrenssicherung ergeben. So kann die Ablehnung der
gewünschten Verteidigerbestellung im Einzelfall dann
vertretbar sein, wenn die Gefahr einer Interessenkollision aktuell noch
nicht übermäßig groß erscheint,
indes unbedingt vermieden werden soll, daß sie
später doch virulent wird und dann zum Abbruch einer
Hauptverhandlung mit beträchtlichem Umfang zur Unzeit
nötigen könnte. In Fällen dieser Art mag
auch einmal die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers neben dem
gewünschten angezeigt sein.
f) Die Verneinung der Gefahr eines Interessenkonflikts und die deshalb
dem Wunsch des Beschuldigten gemäß verfügte
Pflichtverteidigerbestellung wird umso eher vom Revisionsgericht als
vertretbar zu bewerten sein, wenn Gegengründe, die sich im
Einzelfall aufdrängen, mit dem benannten Verteidiger,
gegebenenfalls auch mit dem Beschuldigten, erörtert und wenn
daraufhin in Kenntnis des kritischen Sachverhalts keine Bedenken gegen
die Bestellung geäußert oder gar beachtliche
Gründe gegen einen möglichen Interessenkonflikt
vorgebracht worden sind.
2. Nach diesen Maßstäben war die Bestellung des
Rechtsanwalts
S zum Pflichtverteidiger des Angeklagten J rechtsfehlerhaft.
a) Der Haupttäter B hatte mit der Offenbarung, daß
der Angeklagte J die Ermordung G s als Anstifter veranlaßt -
und der Angeklagte D dies durch psychische Beihilfe
unterstützt - hatte, Anlaß zu maßgeblicher
Intensivierung des gegen beide Angeklagte geführten
Ermittlungsverfahrens gegeben. Dieses Verfahren hatte den Vorwurf der
Beteiligung an derselben Tat zum Gegenstand, wegen deren Begehung B
rechtskräftig verurteilt war und sich zur Zeit seiner
Offenbarung noch in Strafhaft befand. Zunächst waren die
beiden Angeklagten den Ermittlungsbehörden und Gerichten
während des Strafverfahrens gegen B lediglich als
"Tatinteressenten" bekanntgeworden, später war ein
Ermittlungsverfahren gegen J , in dem B zunächst noch zu
seinen Gunsten ausgesagt hatte, nur aufgrund von Angaben Dritter vom
Hörensagen eingeleitet worden.
Nachdem Rechtsanwalt S den Haupttäter B verteidigt hatte,
verstieß die spätere sukzessive Übernahme
der Verteidigung des Anstifters J zwar mangels Gleichzeitigkeit nicht
gegen das Verbot des § 146 StPO. Indes bestanden jenseits der
generell bei solcher Fallgestaltung gegebenen Gefahr einer
Interessenkollision deutliche konkrete Anhaltspunkte für einen
möglichen Interessenkonflikt, in den dieser Rechtsanwalt bei
der Verteidigung des Angeklagten J im Blick auf seine fortwirkenden
Pflichten gegenüber seinem früheren Mandanten B
geraten konnte.
Der Angeklagte J war weitestgehend nicht geständig.
Für seine Überführung wegen Anstiftung zum
Mord war die Zeugenaussage B s
- wie von Anfang an erkennbar - von maßgeblicher Bedeutung.
Bei dieser Sachlage drängte sich die Aufdeckung
möglicher Schwachstellen dieser Aussage als eine zentrale
Aufgabe von J s Verteidiger auf. Indes unterlag
S einer Verschwiegenheitspflicht gegenüber seinem
früheren
Mandanten B , zudem traf ihn als Rechtsanwalt naheliegend auch eine
gewisse berufsrechtliche Verpflichtung, dem im Strafverfahren
Verteidigten während dessen anschließender
Strafvollstreckung nicht durch aktive Wahrnehmung eines Mandats mit
gegenläufigen Interessen Nachteil zuzufügen.
Rechtsanwalt S war daher gehindert, ihm von seinem früheren
Mandanten während dessen Verteidigung etwa anvertrautes
Wissen, das seinem jetzigen Mandanten J hätte nützen
können, zu offenbaren. Er konnte unter Umständen auch
in Konflikt geraten, wenn es sich ihm etwa im Interesse seines jetzigen
Mandanten J aufdrängen mußte, entlastende Indizien
vorzutragen, über deren Bewertung er indes aufgrund
vertraulicher Mitteilungen seines früheren Mandanten B nicht
offenbarungsfähige nähere Kenntnisse besaß.
Darüber hinaus konnte er in die Situation geraten, durch
Vorbringen, mit dem er J gezielt gegen B s jetzige Aussage verteidigte,
jedenfalls den Verdacht zu erwecken, sich hierdurch in entsprechender
Weise standesrechtlich pflichtwidrig - mindestens aber bedenklich -
gegenüber seinem früheren Mandanten zu verhalten, so
daß er unter Hintanstellung von J s berechtigten
Verteidigungsinteressen leicht hätte motiviert werden
können, von solchem Verteidigervorbringen Abstand zu nehmen.
b) Allein diese auf der Hand liegenden Umstände
hätten dem ermittelnden Staatsanwalt, bevor er dem
Schwurgerichtsvorsitzenden bereits im Ermittlungsverfahren den Antrag
auf Bestellung des Rechtsanwalts
S zum Pflichtverteidiger des damaligen Beschuldigten J
befürwortend zuleitete, Anlaß geben sollen, auf
Klärung der auf eine Interessenkollision hindeutenden
Anzeichen gegenüber dem Rechtsanwalt und dem Beschuldigten J
hinzuwirken. Sofern sich dies dem damals mit dem Verfahren noch nicht
näher befaßten Schwurgerichtsvorsitzenden selbst
noch nicht hätte aufdrängen müssen,
hätte dieser jedenfalls nach Kenntnis von der Anklage
entsprechend allen Anlaß gehabt, die verfügte
Verteidigerbestellung zu hinterfragen und auf eine derartige
Klärung hinzuwirken. Die jetzt im Revisionsverfahren
eingeholten dienstlichen Erklärungen, die den Wunsch des
Angeklagten J nach Verteidigung durch Rechtsanwalt S in den Mittelpunkt
stellen und ein sachlich unauffälliges Verteidigerverhalten
betonen, machen es dem Senat nicht verständlich, daß
die sich bei der vorliegenden Fallgestaltung aufdrängenden
Anhaltspunkte für eine mögliche Interessenkollision
in der Person des gewünschten Verteidigers nach
außen hin gänzlich unbeachtet geblieben sind.
c) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Bestellung des
Rechtsanwalts S zum Pflichtverteidiger allein aufgrund der genannten
Umstände bereits als unvertretbar und damit rechtsfehlerhaft
zu bewerten wäre. Dies läge jedenfalls in Ermangelung
ausdrücklicher Hinterfragung der mit einer möglichen
Interessenkollision zusammenhängenden Probleme
gegenüber den Beteiligten nicht ganz fern. Andererseits sind
vor dem Hintergrund genereller Zulässigkeit sukzessiver
Mehrfachverteidigung gemäß § 146 StPO der
ausdrückliche Wunsch des Angeklagten J nach Bestellung dieses
Verteidigers und das Fehlen eines Vortrags eigener Bedenken gegen die
Ordnungsmäßigkeit seiner Bestellung durch den zur
Prüfung standesrechtlich pflichtgemäßen
Verhaltens primär berufenen Rechtsanwalt nicht unbeachtlich.
Hier kommen jedoch weitere Fallbesonderheiten hinzu, welche der Annahme
einer noch vertretbaren, daher nicht als rechtsfehlerhaft zu
qualifizierenden Verteidigerbestellung jedenfalls entgegenstehen.
aa) Zum einen drängten sich Überlegungen
über eine mögliche Interessenkollision nicht nur
infolge der Verhältnisse zwischen den Beschuldigten vor dem
Hintergrund ihrer unterschiedlichen Rollen bei Tatbegehung und in der
Entwicklung der jeweils gegen sie geführten Strafverfahren
auf. Darüber hinaus war die Person des Rechtsanwalts S - ohne
daß dies etwa für sich dem Rechtsanwalt ohne
weiteres zum Vorwurf gereichen müßte - hier schon
zeitnah zur Tatbegehung im Gespräch: Nach den
Urteilsfeststellungen benannte der Angeklagte J schon im Rahmen seiner
Anstiftungshandlungen diesen Rechtsanwalt dem Haupttäter B als
potentiellen späteren Verteidiger; J verband so mit der Person
dieses Rechtsanwalts die Prognose eines verminderten Sanktionsrisikos,
mit deren Benennung er Hemmungen des Haupttäters abzubauen
suchte. Diese Urteilsfeststellung gründet auf der
entsprechenden Zeugenaussage B s. Dieser hatte schon in seiner ersten
polizeilichen Vernehmung Angaben über prozessuale
Verhaltensmuster, seine Schuldfähigkeit betreffend, gemacht,
die ihm der Angeklagte J - freilich nach der Tat, aber vor seiner
Entdeckung und
Verhaftung - nahegebracht habe, und hatte dabei auch Angaben zur
Vermittlung und Bezahlung von Rechtsanwalt S als Verteidiger durch
J gemacht.
Es liegt auf der Hand, daß schon die Angaben seines
früheren Mandanten B im Ermittlungsverfahren gegen J ,
namentlich aber dessen spätestens in der Hauptverhandlung
gemachte belastende Angabe, sein jetziger Mandant J habe sich im Rahmen
seiner Anstiftungshandlungen in einer derartigen, für die
Person des Verteidigers anrüchigen Weise
geäußert, für Rechtsanwalt S die gebotene
in jeder Beziehung unbefangene Wahrnehmung seiner Verteidigeraufgaben
gegenüber dem Angeklagten
J nachhaltig zu erschweren geeignet war. Schon B s Aussage bei der
Polizei zu diesem Themenkreis hätte mindestens eine kritische
Nachfrage an Rechtsanwalt S , die erstrebte Verteidigung J s
betreffend, veranlassen sollen. Jedenfalls nach B s entsprechender
Zeugenaussage in der Hauptverhandlung war sie unbedingt geboten.
bb) Zu dieser herausgehobenen Sachnähe kam eine weitere
maßgebliche Besonderheit hinzu. Ein Brief des
Haupttäters B an seinen früheren Verteidiger
Rechtsanwalt S war Gegenstand der Ermittlungsakten geworden. Es lag auf
der Hand, daß dieses Schreiben wegen der deutlich vor B s
Offenbarung gegenüber der Polizei
geäußerten, zudem darin nachvollziehbar motivierten
Erwägung einer solchen Offenbarung eine nicht unwesentliche
indizielle Bedeutung für die Beurteilung der
Zuverlässigkeit von B s Angaben gewinnen konnte - die ihm das
Schwurgericht später tatsächlich auch zugemessen hat.
Hinzu kam, daß im Inhalt dieses Schreibens eigene
Erwägungen des Rechtsanwalts S über eine
Tatbeteiligung des Angeklagten J behauptet wurden. Rechtsanwalt
S wäre danach im Verfahren gegen den Angeklagten J sogar als
Zeuge in Betracht gekommen, wobei er sich freilich naheliegend auf ein
Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO,
womöglich gar auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach
§ 55 Abs. 1 StPO, hätte berufen können.
Diese weitergehende Besonderheit begründete
zusätzliche nachhaltige Bedenken dagegen, daß dieser
Rechtsanwalt die Verteidigung des Angeklagten J in der gebotenen
unabhängigen und distanzierten Weise werde führen
können. Jedenfalls danach können seine Bestellung zum
Pflichtverteidiger des Angeklagten J und die alleinige Wahrnehmung der
Verteidigeraufgaben durch ihn in der gesamten Tatsacheninstanz ohne
jede gerichtliche Hinterfragung - ungeachtet des entsprechenden
Wunsches des Angeklagten J - nurmehr als verfahrensfehlerhaft bewertet
werden. Hätte sich Rechtsanwalt S bei der gegebenen Sachlage
ungeachtet geäu-ßerter und nicht etwa zu
entkräftender gerichtlicher Bedenken gegen seine Mitwirkung
dann als Wahlverteidiger des Angeklagten J gemeldet, hätte
er zwar naheliegend nicht zurückgewiesen werden
können. Dem Angeklagten J wäre jedoch gleichwohl aus
den nämlichen Gründen, die der Beiordnung S s zum
Pflichtverteidiger entgegenstanden, ein anderer Rechtsanwalt als
Pflichtverteidiger beizuordnen gewesen (vgl. Laufhütte aaO
§ 141 Rdn. 7).
3. Daß der rechtsfehlerhaft zum Verteidiger bestellte
Rechtsanwalt
S als einziger Verteidiger des Angeklagten Jahn in diesem Fall
notwendiger Verteidigung die danach angezeigte Verfahrensrüge
wegen seiner eigenen verfahrensfehlerhaften Mitwirkung nicht erhoben
hat, geht auf die verfahrensfehlerhafte Bestellung dieses Verteidigers
zurück. Hierin liegt eine auf das Revisionsverfahren
fortwirkende Vernachlässigung der dem Angeklagten J
gegenüber bestehenden prozessualen Fürsorgepflicht.
Deren Folgen sind ihm ungeachtet seines entsprechenden - freilich auf
laienhafter Verkennung seiner eigenen Verteidigungsinteressen
beruhenden - Wunsches nach Bestellung dieses Verteidigers nicht als
verschuldet anzulasten.
Danach liegt ein Ausnahmefall vor, in welchem dem Angeklagten
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer
Verfahrensrüge zu gewähren ist (vgl.
Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 44 Rdn. 7a m. w. N.).
Den entsprechenden Antrag hat der zusätzlich bestellte
Verteidiger innerhalb einer Woche (s. § 45 Abs. 1 StPO) nach
Zustellung des Urteils und seiner Bestellung unter formgerechter
Nachholung der versäumten Verfahrensrüge gestellt.
4. Ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO ist
nicht geltend gemacht (vgl. dagegen auch BGHR StPO § 338 Nr. 5
Verteidiger 1 und 5). Indes greift die Rüge wegen Verletzung
des § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO durch. Es läßt
sich nicht ausschließen, daß der Schuldspruch zum
Nachteil des Angeklagten J auf der verfahrensfehlerhaften Gestaltung
seiner Verteidigungsverhältnisse beruht (§ 336 Satz 1
StPO). Ungeachtet der letztlich rechtsfehlerfreien
Beweiswürdigung und trotz mangelnder konkreter Hinweise auf
abweichende Sachaufklärungsmöglichkeiten ist nicht
auszuschließen, daß ein anderer Verteidiger, dessen
Mitwirkung geboten war, mit zulässigen prozessualen Mitteln
auf abweichende, für den Angeklagten J
günstigere Tatfeststellungen hätte hinwirken
können.
Das Urteil ist daher, soweit es den Angeklagten J betrifft, auf die
entsprechende Verfahrensrüge umfassend aufzuheben.
5. Der neue Tatrichter wird für den Fall einer erneuten
Verurteilung des Angeklagten J jedenfalls nunmehr nicht mehr gehindert
sein, unter Berücksichtigung sämtlicher nach
Tatbegehung erfolgter rechtskräftiger Verurteilungen eine
nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach den bei
Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 55 Rdn. 6, 8, 9,
11, 13, 19 genannten Grundsätzen vorzunehmen.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum |