BGH,
Beschl. v. 15.6.2004 - 4 StR 176/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 176/04
vom
15.6.2004
in der Strafsache
gegen
wegen des Vorwurfs des bewaffneten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 15.06.2004
gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Kaiserslautern vom 29. Januar 2004 im
Maßregelausspruch und im Ausspruch über die
Einziehung
mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des bewaffneten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
in Tateinheit mit
der unerlaubten Ausübung der tatsächlichen Gewalt
über eine halbautomatische
Selbstladekurzwaffe und über eine nicht angemeldete
Schußwaffe freigesprochen.
Es hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
und die Einziehung der beim Angeklagten sichergestellten Feinwaage nebst
Gewichten sowie des bei ihm sichergestellten Funkscanners angeordnet.
Mit
seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen
Rechts. Sein
Rechtsmittel hat Erfolg.
- 3 -
1. Nach den bisherigen Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit
etwa 20 Jahren Drogen, in den Jahren 1997 bis Anfang des Jahres 2002
monatlich
etwa 1 bis 1 ½ kg Haschisch. Bei einer Durchsuchung seiner
Wohnung
im Januar 2003 wurden 3.734,95 kg Haschisch mit einem THC-Gehalt von
349,9 g sichergestellt. Davon war "jedenfalls ein die Grenze zur nicht
geringen
Menge überschreitender Teil zum gewinnbringenden Weiterverkauf
gedacht"
(UA 15). In dem Zimmer, in dem das Haschisch gefunden wurde, bewahrte
der
Angeklagte zwei funktionsfähige Schußwaffen auf. Die
mit drei Patronen geladene
Kleinkaliberpistole hatte der Angeklagte seit etwa zehn Jahren, das mit
zehn Patronen geladene Kleinkalibergewehr nach seiner Einlassung seit
seinem
achten Lebensjahr in Besitz.
Nach Auffassung des Landgerichts beging der Angeklagte, der an einer
paranoiden Schizophrenie leidet, die rechtswidrige Tat, die es -
entgegen der
Auffassung der Revision - zutreffend als bewaffnetes Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge (§ 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) in
Tateinheit
mit der unerlaubten Ausübung der tatsächlichen Gewalt
über eine halbautomatische
Selbstladekurzwaffe (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 a Buchst. a WaffenG
a.F.) und
über eine nicht angemeldete Schußwaffe (§
53 Abs. 3 Nr. 7 WaffenG a.F.) gewertet
hat, im Zustand der Schuldunfähigkeit. Das Landgericht hat
dazu ausgeführt:
"In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen sieht
auch die
Kammer den Betäubungsmittelmißbrauch als
symptomatisch für
die Grunderkrankung des Angeklagten an, wobei der Hang zum
Haschischkonsum (…) auch als selbstgewähltes Mittel
zur Bekämpfung
seiner paranoiden Angst, Spannung und Unruhe anzusehen
ist. In gewisser Weise steht dieser Befund des Sachverständigen
im Einklang mit der Einlassung des Angeklagten,
- 4 -
der angab, Haschisch zur Linderung physischer Schmerzen zu
konsumieren. Das Handeltreiben mit Betäubungsmittel durch
den Angeklagten steht in einem unmittelbaren Zusammenhang
mit diesem Hang, weil es (…) zur Finanzierung des Konsums
erforderlich
ist. Daher ist die Kammer davon überzeugt, dass auch
das Delikt nach § 30 a BtMG im Zustand der
Steuerungsunfähigkeit
begangen worden ist. Nach den Ausführungen des
Sachverständigen,
die sich die Kammer auch insoweit zu eigen
macht, sind die Waffendelikte ebenfalls symptomatisch für die
Krankheit des Angeklagten, da der Hang zur Bewaffnung aus
den paranoiden Ängsten des Angeklagten herrührt. Auch
die
Waffendelikte hat der Angeklagte demnach im Zustand der
Steuerungsunfähigkeit begangen" (UA 15/16).
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus hat das Landgericht u.a. auf folgende Erwägungen
gestützt:
"Von ihm sind auch in Folge seines dauerhaften Zustandes weitere
gleichgelagerte Taten zu erwarten, wenn die Grunderkrankung
nicht behandelt wird. Die Kammer macht sich insoweit die
nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen
Dr. R.
zu eigen, wonach mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist,
dass der Angeklagte erneut in die alten Verhaltensmuster verfallen
wird, solange das medizinische Grundproblem unbehandelt
bleibt. Es ist daher damit zu rechnen, dass der Angeklagte seinen
Drogenmissbrauch fortsetzt, mit der Folge, dass er erneut
darauf angewiesen sein wird, seinen symptomatischen Konsum
durch Handel mit Betäubungsmitteln zu finanzieren.
Allein schon die erhöhte Wahrscheinlichkeit eines erneuten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln stellt eine
Gefährdung der
Allgemeinheit dar, die eine Maßnahme nach § 63 StGB
erfordert.
Hier tritt noch die Besonderheit hinzu, dass auch eine erhöhte
Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich der Angeklagte
wegen seiner paranoiden Ängste zumindest wieder bewaffnet
- 5 -
und somit erneut in qualifizierter Weise gegen das
Betäubungsmittelgesetz
verstoßen wird"(UA 17).
2. Die bisherigen Feststellungen sind nicht geeignet, die Anordnung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 StGB zu
tragen.
Diese setzt zunächst die positive Feststellung eines
länger andauernden,
nicht nur vorübergehenden geistigen Defekts voraus, der die
Schuldunfähigkeit
(§ 20 StGB) oder zumindest die erhebliche Verminderung der
Schuldfähigkeit
(§ 21 StGB) begründet, und ferner, daß der
Täter in diesem Zustand
eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der
§§ 20, 21
StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt
zurückzuführen ist, das heißt mit
diesem in einem ursächlichen und symptomatischen Zusammenhang
steht.
Ferner muß die Gesamtwürdigung von Tat und
Täter ergeben, daß aufgrund
dieses Zustandes eine über die bloße
Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit
weiterer erheblicher rechtswidriger Taten besteht (st. Rspr., vgl. BGHSt
34, 22, 27; BGH NStZ-RR 2003, 232).
Diese Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung sind
schon deshalb nicht rechtsfehlerfrei dargetan, weil die getroffenen
Feststellungen
nicht belegen, daß die Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten bei Begehung
der rechtswidrigen Tat ausgeschlossen war, wie das Landgericht
angenommen
hat, oder daß sie zumindest erheblich vermindert war.
Maßgebend für die Beurteilung
der Schuldfähigkeit ist die Zeit, zu welcher der
Täter gehandelt hat
(§ 8 Satz 1 StGB). Erstreckt sich das Handeln des
Täters, wie hier die jahrelange
Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die
beiden sichergestellten
Waffen und das alle hierzu gehörenden Einzelakte - wie Erwerb
und den Besitz
- 6 -
des Betäubungsmittels - zu einer Bewertungseinheit verbindende
Handeltreiben
über einen längeren Zeitraum, findet § 20
StGB nur dann Anwendung,
wenn der die Schuldunfähigkeit begründende Zustand
während des gesamten
Tatzeitraums gegeben ist, wobei der Schuldumfang jedoch bei lediglich
zeitweiliger
Schuldunfähigkeit während der Tatbegehung auf die
Tatteile beschränkt
ist, für die der Täter verantwortlich zu machen ist
(vgl. Jähnke in LK 11. Aufl.
§ 20 Rdn. 75). Entsprechendes gilt für die Anwendung
des § 21 StGB (vgl.
BGH NStZ 2003, 535, 536; Jähnke aaO § 21 Rdn. 23).
Das Landgericht hat
weder nähere Feststellungen dazu getroffen, in welchem
Zeitraum der Angeklagte
die den Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln
erfüllende Tathandlung begangen hat, noch dazu, ob die
Steuerungsfähigkeit
des Angeklagten aufgrund seines Zustandes während des gesamten
Tatzeitraums
ausgeschlossen oder jedenfalls erheblich vermindert gewesen ist.
Im übrigen läßt sich den
Urteilsgründen nicht sicher entnehmen, ob und
inwieweit die vom Angeklagten begangene rechtswidrige Tat Folge seiner
paranoiden
Psychose gewesen ist, die sich erstmals im November 2001 manifestiert
hat. Insoweit fehlt es schon an einer klaren Beschreibung des Zustands,
der nach Auffassung des Landgerichts zum Ausschluß der
Steuerungsfähigkeit
geführt hat. In den Urteilsgründen wird hierzu
lediglich mitgeteilt, der Angeklagte
habe im November 2001 die Polizei aufgesucht und behauptet, er werde von
20 Fahrzeugen der Mafia verfolgt. In der Hauptverhandlung hat sich der
Angeklagte
dahin eingelassen, daß er "zuweilen" Stimmen höre,
bei denen es sich
um Stimmen der Personen handele, die versuchten, ihn zu hypnotisieren.
Daraus
läßt sich selbst dann, wenn der - nach den
Feststellungen allerdings bereits
seit 20 Jahren andauernde -
Betäubungsmittelmißbrauch, wie das Landgericht
meint, als symptomatisch für die Grunderkrankung des
Angeklagten
- 7 -
anzusehen ist, nicht entnehmen, daß die rechtswidrige Tat mit
dem nach Auffassung
des Landgerichts die Annahme des § 20 StGB rechtfertigenden
dauerhaften
Defekt in einem ursächlichen symptomatischen Zusammenhang steht
und daß dieser Zustand als solcher erhebliche rechtswidrige
Taten erwarten
läßt (vgl. BGH NJW 1998, 2986).
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des
Rechtsfolgenausspruchs
mit den Feststellungen, und zwar auch denjenigen zu der
rechtswidrigen Tat (vgl. BGH NStZ 1988, 309). Eine Aufrechterhaltung der
Feststellungen zu der rechtswidrigen Tat kommt hier schon deshalb nicht
in
Betracht, weil bisher keine hinreichenden Feststellungen zu dem
Zeitraum, in
dem der Angeklagte die rechtswidrige Tat begangen hat, und zu seinem
Zustand
während dieses Zeitraums getroffen worden sind.
Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls die Frage einer Unterbringung
des Angeklagten nach § 64 StGB zu prüfen haben.
Vorsitzende Richterin am Kuckein Athing
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien
ist urlaubsbedingt ortsabwesend
und deshalb verhindert zu
unterschreiben.
Kuckein
Solin-Stojanovi Ernemann |