BGH,
Beschl. v. 15.3.2000 - 2 StR 42/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 42/00
vom
15. März 2000
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15.
März 2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Wiesbaden vom 22. September 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu
einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die
Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts
rügt.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Das Landgericht hat nicht
erörtert, ob der Angeklagte vom Versuch des Totschlags mit
strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist (§ 24
StGB), obwohl nach den getroffenen Feststellungen dazu Anlaß
bestand.
1. Der Angeklagte wollte sich auf einer Faschingsfeier am 24./25.
Februar 1998 an dem Zeugen S. rächen, von dem er sich
gedemütigt fühlte. Zwei Tage zuvor war er von S. am
Kragen gepackt und gegen eine Hauswand gedrückt worden,
nachdem er zusammen mit anderen Jugendlichen fortwährend leere
Flaschen auf die Straße geworfen hatte, die S. gekehrt hatte.
Als auf der Feier ein Tumult enstand, lief der Angeklagte mit einem
aufgeklappten Butterflymesser, das eine Klingenlänge von 11 cm
aufwies, auf S. zu, rief "Ich bring´ Dich um" oder "Ich
mach´ Dich kalt" und trat S. mit solcher Wucht gegen die
Brust, daß dieser zu Boden fiel. Nachdem S. wieder
aufgestanden war, brachte der Angeklagte ihn mit einem weiteren Tritt
erneut zu Fall und versetzte dem am Boden liegenden S. mit dem
beschuhten Fuß einen Tritt gegen den Körper. Nunmehr
wollte der Zeuge M. die Streitenden trennen, was ihm jedoch nicht
gelang, da der Angeklagte ihm mit dem Messer eine Verletzung an der
Hand zufügte. Sodann lief der Angeklagte in Richtung
Tür, wurde jedoch von S., der inzwischen wieder aufgestanden
war, eingeholt. Als der Angeklagte erneut einen Tritt gegen die Brust
des S. führen wollte, konnte S. den Angeklagten packen und zu
Boden bringen. Spätestens als S. den Angeklagten am Boden
überwältigt hatte, möglicherweise aber auch
schon vorher, als S. nach einem der Tritte am Boden lag, stach der
Angeklagte das Messer mit bedingtem Tötungsvorsatz kraftvoll
in den Rücken des S. im unteren Bereich des linken
Schulterblattes. Der Stich drang in den Brustraum ein,
durchspießte die Thoraxwand, was zu einem lebensbedrohlichen
Hämatopneumothorax führte, und endete etwa 5 cm vor
dem Herzen. In der Aufregung bemerkte S. den Stich nicht. Er kniete
schließlich auf der Brust des Angeklagten und redete auf
diesen ein, um ihn zur Aufgabe zu bewegen. Sodann ließ er den
Angeklagten los, der aufstand und mit dem Messer in der Hand
unbehelligt hinausging.
2. Nach diesen Feststellungen war eine Auseinandersetzung mit der Frage
eines strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten vom
versuchten Totschlag erforderlich. Dabei hätte sich das
Landgericht mit den Vorstellungen des Angeklagten nach
Abschluß der letzten Ausführungshandlung (sog.
"Rücktrittshorizont", vgl. BGHSt 31, 170, 175; BGHR StGB
§ 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 17) befassen und
darlegen müssen, ob ein unbeendeter oder beendeter
Totschlagsversuch gegeben ist (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz
1 Versuch, unbeendeter 31). Daß der Angeklagte nach dem
Messerstich mit der Möglichkeit gerechnet hätte, die
S. beigebrachten Verletzungen könnten zu dessen Tode
führen, kann den Urteilsgründen nicht entnommen
werden. Der Umstand, daß S., der die Verletzung nicht einmal
selbst bemerkt hatte, zumindest noch auf dem Angeklagten gekniet und
auf diesen eingeredet hat, spricht vielmehr gegen den Eindruck eines
tödlich Verletzten und damit gegen einen beendeten Versuch.
Rechnet der Täter jedoch (noch) nicht mit dem Eintritt des
tatbestandsmäßigen Erfolges und war die Vollendung
aus seiner Sicht noch möglich, so liegt ein unbeendeter
Versuch vor, bei dem das bloße freiwillige Aufgeben der
weiteren Tatausführung zur Strafbefreiung nach § 24
Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB führt. Den Urteilsfeststellungen
kann nicht entnommen werden, daß es dem Angeklagten durch das
Eingreifen Dritter oder die Gegenwehr des S. unmöglich war,
weiter auf S. einzustechen. Subjektive oder objektive
Umstände, die ihn daran gehindert haben könnten (vgl.
BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 8), sind auch dem
Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen.
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei
wird der neue Tatrichter auch Gelegenheit haben zu erörtern,
ob sich der Angeklagte bei der Ausführung des Messerstiches
möglicherweise in einer Notwehrlage befunden hat und ob
gegebenenfalls seine Verteidigung über das Maß des
Erforderlichen hinausgegangen ist.
Jähnke Niemöller RiBGH Detter ist
infolge Urlaubs
verhindert, seine Unterschrift bei-
zufügen.
Jähnke
Bode Otten |