BGH,
Beschl. v. 15.3.2001 - 3 StR 61/01
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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JGG § 105 Abs. 1
Die Anwendung von Jugendstrafrecht auf einen Heranwachsenden kann nicht
Gegenstand einer Urteilsabsprache sein (im Anschluß an BGHSt
43, 195).
BGH, Beschl. vom 15. März 2001 - 3 StR 61/01 - LG Hildesheim
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 61/01
vom
15. März 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer
Menge u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 15.
März 2001
gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Hildesheim vom 8. November 2000 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 26
Fällen und wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24
Fällen unter Einbeziehung
des Urteils des Amtsgerichts Hildesheim vom 18. Februar 1999 zu einer
einheitlichen Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision,
die
sich mit Verfahrensrügen und sachlichen Beanstandungen nur
gegen die Verurteilung
in den Fällen 43 bis 50 des Urteils und gegen den
Strafausspruch
wendet, bleibt ohne Erfolg, da die Überprüfung keinen
Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Ergänzender Erörterung bedarf nur die zur
Strafzumessung erhobene
Beanstandung.
1. Der Rüge liegt folgender Revisionsvortrag zugrunde: Nachdem
die
Staatsanwaltschaft ursprünglich nur 33 Taten (darunter alle 26
Fälle des § 29 a
Abs. 1 Nr. 2 BtMG) angeklagt hatte, fand zwischen dem Verteidiger, dem
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maligen Vorsitzenden der Strafkammer, dem Berichterstatter und einem
Staatsanwalt ein Gespräch statt, in dem
"Einverständnis" darüber erzielt wurde,
daß das Landgericht bei einer geständigen Einlassung
eine Freiheitsstrafe von
nicht mehr als zwei Jahren und sechs Monaten verhängen
könnte. Als die
Staatsanwaltschaft wenige Tage später weitere neun Taten
anklagte, erzielte
der Verteidiger mit dem - nach Wechsel im Kammervorsitz - neuen
Vorsitzenden
der Strafkammer fernmündlich eine "Übereinkunft",
daß bei einer auch insoweit
geständigen Einlassung des Angeklagten eine Freiheitsstrafe
von zwei
Jahren und acht Monaten nicht überschritten werde. "Mit dem
Ziel, gemäß den
bisherigen Vereinbarungen eine zügige Bearbeitung des Falles
zu erreichen",
wurde sodann ein "Hauptverhandlungstermin abgehalten". Drei Wochen vor
diesem Termin hatte die Staatsanwaltschaft aber weitere 60
Fälle des Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln angeklagt. Im Hinblick auf diese
Situation regte
das Gericht "eine Einigung dahingehend an, daß von einer
maximalen Obergrenze
von drei Jahren und sechs Monaten oder drei Jahren und acht Monaten
unter Einbezug des Urteils des Amtsgerichts Hildesheim ausgegangen
werden
könne". Durch dieses Urteil war der Angeklagte wegen
unerlaubten Besitzes
von Betäubungsmitteln und wegen Widerstands zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe
von fünf Monaten verurteilt worden. Diese "Einigung"
scheiterte daran, daß der
Angeklagte die ihm zuletzt zur Last gelegten Taten bestritt. Daraufhin
wurde
die Verhandlung vertagt. Nachdem auch in einem Termin zur
Verkündung des
erweiterten Haftbefehls "keine Einigung gefunden" wurde, "traf sich die
Verteidigung
erneut mit dem erkennenden Gericht" zu folgender "Absprache": Der
Angeklagte gesteht die Vorwürfe aus den beiden ersten Anklagen
(42 Taten)
und wird unter Anwendung von Jugendstrafrecht unter Einbeziehung der
Vorstrafe
zu einer Jugendstrafe von maximal zwei Jahren und acht Monaten
verurteilt;
sollte eine Verurteilung wegen der Vorwürfe aus der dritten
Anklage er-
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folgen, würde ebenfalls Jugendrecht zur Anwendung gebracht,
eine Grenze für
die dann zu verhängende Jugendstrafe bestünde aber
nicht. In der sodann anberaumten
Hauptverhandlung gestand der Angeklagte nur die Vorwürfe aus
den beiden ersten Anklagen. In weiteren acht Fällen kam das
Landgericht zur
Verurteilung, hinsichtlich der übrigen 52 Fälle aus
der dritten Anklage wurde
das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
Die Richtigkeit dieses Revisionsvortrags ist von zwei an dem Geschehen
beteiligten Richtern und einem Staatsanwalt in dienstlichen
Erklärungen bestätigt
worden.
Die Revision rügt, daß die Jugendstrafe von vier
Jahren unangemessen
hoch sei angesichts der ursprünglich für 33 bzw. 42
Taten "vereinbarten" Strafe
von zwei Jahren und sechs Monaten bzw. zwei Jahren und acht Monaten. Bei
einem um acht - im Schuldumfang jeweils
verhältnismäßig geringe - Taten erweiterten
Schuldspruch könne die Strafe nicht um die Hälfte
erhöht werden.
2. Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Aus dem Vortrag der Revision
läßt sich
nichts dafür herleiten, daß die Dauer der
verhängten Jugendstrafe gegen § 18
Abs. 2 JGG verstößt.
a) Allgemein gibt die geschilderte Verfahrensweise dem Senat
Veranlassung
zu dem Hinweis, daß es dem Gericht verboten ist, sich auf
einen "Vergleich"
im Gewande eines Urteils, auf einen "Handel mit der Gerechtigkeit"
einzulassen
(BVerfG NStZ 1987, 419). Dies ist Grundlage der ständigen
Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs zur Verständigung im Strafverfahren
(vgl.
BGHSt 43, 195, 198 f.).
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b) Die für eine Verurteilung wegen 42 Taten "vereinbarte
Strafe" ist
schon deshalb kein geeigneter Gesichtspunkt zur
Überprüfung der tatsächlich
erkannten Strafe, weil das Verfahren den Mindestbedingungen, die der
Bundesgerichtshof
für Verständigungen im Strafverfahren aufgestellt hat
(BGHSt
43, 195), widerspricht. Danach muß eine
Verständigung unter Mitwirkung aller
Verfahrensbeteiligten in öffentlicher Hauptverhandlung
stattfinden. Nicht zulässig
ist insbesondere eine Absprache ohne Beteiligung des Angeklagten selbst
oder auch unter Ausschluß der Schöffen. Das Ergebnis
der Absprache ist - da
es sich um einen wesentlichen Verfahrensvorgang handelt - im Protokoll
über
die Hauptverhandlung festzuhalten (BGHSt 43, 195, 206; 45, 227). Diese
Verfahrensanforderungen sind nicht eingehalten. Aus dem Geschehenen
kann der
Angeklagte deshalb nichts für sich herleiten (vgl. auch BVerfG
StV 2000, 3;
BGH NStZ 2000, 495 mit Anm. Weider StV 2000, 540; Kuckein/Pfister in FS
50 Jahre BGH, S. 641, 659).
c) Der Senat hat darüber hinaus auch Zweifel daran,
daß eine Verständigung
- wenn sie in dem rechtlich zulässigen Verfahren getroffen
würde - mit
diesem Inhalt rechtlich zulässig wäre.
Unzulässig ist zumindest die Vereinbarung
über die Anwendung von Jugendstrafrecht. Zwingend
vorgeschriebene
Rechtsfolgen sind einer Vereinbarung nicht zugänglich. Nach
§ 105 Abs. 1
JGG ist bei Verfehlungen Heranwachsender grundsätzlich
Erwachsenenstrafrecht
anzuwenden; liegen indes die Tatbestände von § 105
Abs. 1 Nr. 1 oder 2
JGG vor, so kommt zwingend Jugendstrafrecht zur Anwendung. Der
Tatrichter,
der sich einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten
verschaffen kann, hat
dabei einen erheblichen Beurteilungsspielraum (BGHSt 36, 37, 38; BGH StV
1991, 424 jew. m.w.Nachw.); es ist indes nicht ersichtlich, welchen
Einfluß die
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Abgabe eines Geständnisses auf die Beurteilung haben
könnte, ob der Angeklagte
noch einem Jugendlichen gleichstand oder ob es sich um eine
Jugendverfehlung
gehandelt hat.
Der Zusage einer Strafobergrenze für eine Jugendstrafe stehen
zumindest
Bedenken entgegen. Die Jugendstrafe muß nach § 18
Abs. 2 JGG so bemessen
werden, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung auf
den Angeklagten
möglich ist. Es erscheint zweifelhaft, ob ein
Geständnis aufgrund einer
Absprache dazu führen kann, das Erziehungsbedürfnis
als deutlich gemildert
anzusehen mit der Folge, daß deshalb eine geringere
Jugendstrafe verhängt
werden kann. Insoweit ist die Situation nicht mit der des erwachsenen
Straftäters
und der Auswirkung seines im Rahmen einer Verständigung
abgelegten
Geständnisses (BGHSt 43, 195, 209) zu vergleichen.
d) Auch im übrigen zeigt die Zumessung der Jugendstrafe keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
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3. Ob die Beweiswürdigung in den Fällen 1 bis 42
deswegen Rechtsfehler
zu Lasten des Angeklagten enthält, weil sich das Landgericht
auf das
"vereinbarte" Geständnis des Angeklagten gestützt
hat, ohne dieses auf seine
Glaubhaftigkeit zu überprüfen (BGHSt 43, 195, 204),
kann der Senat wegen
der beschränkten Revision nicht überprüfen.
Kutzer Miebach Winkler
Pfister von Lienen |