BGH,
Beschl. v. 15.3.2007 - 5 StR 76/07
5 StR 76/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 15.3.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15.3.2007
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 1. November 2006 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf
den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten
hat Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts war der Angeklagte mit
seiner gleichaltrigen Ehefrau, dem Tatopfer, seit 1960 verheiratet.
Nach der Pensionierung der Eheleute verschlechterte sich der
Gesundheitszustand der Ehefrau. Dennoch führte sie dem
Angeklagten weiter den Haushalt. Bei einer an ihr Anfang März
2006 durchgeführten Operation entstand ein subdurales
Hämatom, welches auf das Sprachzentrum drückte. War
zunächst das Sprachvermögen stark
beeinträchtigt, besserte sich dieses während der
stationären und einer rehabilitativen Behandlung. Als sie am
19. April 2006 nach Hause entlassen wurde, konnte sie
eigenverantwortlich für ihre Körperpflege sorgen,
kleinere Hausarbeiten erledigen und telefoni-
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sche Verabredungen treffen. Jedoch trat - wahrscheinlich ebenfalls als
Folge des subduralen Hämatoms - eine
Wesensveränderung auf, die sich durch
„läppisches Verhalten“ (UA S. 4) und
motorische Unruhe zeigte. Zudem schlief sie nachts nicht, sondern
räumte auf, wodurch sich der Angeklagte in seiner Nachtruhe
gestört fühlte. Da ihm nunmehr ein großer
Teil der Haushaltsführung und die Absprache von Arztterminen
für seine Frau oblag, fühlte er sich
überfordert. Zudem war er übermüdet, da er
seit der Heimkehr seiner Frau nachts selten Ruhe fand. Von einer
für den 4. Mai 2006 vereinbarten Konsultation eines Neurologen
versprach sich der Angeklagte, dass dieser die
Pflegebedürftigkeit seiner Ehefrau bescheinigte, damit sie in
einem Heim untergebracht werden könne.
In der Nacht zum 4. Mai 2006 wurde der Angeklagte gegen 3.00 Uhr
geweckt. Seine Ehefrau räumte im Bad geräuschvoll
auf. Als er sie ansprach, ob sie nicht schlafen wolle, da am
nächsten Tag der Arztbesuch anstehe, entgegnete sie, sie
könne nichts dafür, wenn er nicht schlafen
könne, sie werde bei seiner Ärztin ein anderes
Medikament für ihn besorgen. Der Angeklagte fühlte
sich „wieder einmal“ unzutreffenden
Vorwürfen ausgesetzt und war sehr verärgert. Er
entschloss sich spontan, seine Ehefrau zu töten, um seine Ruhe
zu haben, die ständigen falschen Vorwürfe nicht mehr
ertragen zu müssen und von der zusätzlichen Arbeit
entlastet zu werden (UA S. 6).
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Er ging in die Küche und nahm sich dort ein
Küchenmesser mit einer Klingenlänge von etwa 15
Zentimetern. Als er zurückkehrte, stand seine Frau im
Wohnzimmer und wandte ihm den Rücken zu. Er stach ihr wuchtig
in den Rücken. Als sie sich umdrehte, versetzte er ihr, auch
als sie dann schon am Boden lag und die Hände abwehrend erhob,
in schneller Folge noch weitere elf Stiche, die bis zu 20 Zentimeter
tief eindrangen. Sechs der Stiche waren potentiell tödlich,
einer der Stiche durchstieß das Brustbein, ein weiterer eine
Rippe und das Herz. Das Opfer verstarb auf der Stelle an den
Verletzungen.
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Der Angeklagte verständigte die Feuerwehr, wobei er angab,
seine Frau erstochen zu haben. Den ihn noch am Tatort vernehmenden
Polizeibeamten fiel an ihm nur eine geringe Erschütterung auf.
In einem Telefonat mit seinem Sohn am frühen Abend des 4. Mai
2006 brachte er erstmals seine Betroffenheit über die Tat zum
Ausdruck.
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2. Die Annahme des sachverständig beratenen Schwurgerichts,
der Angeklagte sei uneingeschränkt schuldfähig
gewesen, hält revisi-onsgerichtlicher
Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen lassen
eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Frage, ob auf den
Angeklagten bei der Tat eine affektive Bewusstseinsstörung
eingewirkt hat, vermissen.
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a) Hierzu ist in den Urteilsgründen ausgeführt, dass
es an jeglichen Anknüpfungspunkten für das Vorliegen
eines Affektes fehle. Dies ergebe sich aus der guten Erinnerung des
Angeklagten an die Tat, dem Fehlen von Ausfallerscheinungen bei der Tat
und dem von Zeugen als situationsadäquat empfundenen
Nachtatverhalten. Diese Würdigung ist unzulänglich.
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b) Die angeführten Kriterien zur Ablehnung der Voraussetzungen
des § 21 StGB sind nicht geeignet, eine affektbedingte
relevante Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens
ohne weitere Erörterung auszuschließen. Erinnert
sich der Täter an das Tatgeschehen, kann dies nur
eingeschränkt als Anhaltspunkt für intaktes
Steuerungsvermögen herangezogen werden (BGHR StGB §
20 Bewusstseinsstörung 5). Denn es handelt sich dabei nur um
einen von vielen Aspekten, die als Indizien - nicht als
Ausschlusskriterien - im Rahmen einer Gesamtbetrachtung für
und gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechen
können (vgl. BGHR StGB § 20
Bewusstseinsstörung 3 und 5; BGHR StGB § 21 Affekt 4
bis 6; BGH, Beschl. v. 31. Januar 2007 - 5 StR 504/06). Gleiches gilt
für den Umstand, dass eine Erschütterung des
Angeklagten über seine Tat unmittelbar danach jedenfalls nach
außen nicht in Erscheinung getreten ist.
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Den Urteilsgründen ist die gebotene Gesamtbetrachtung, bei der
für und gegen einen Affekt sprechende Indizien
erörtert und gegeneinander abgewogen werden müssen,
nicht zu entnehmen. Hierfür hätte angesichts des
Vorliegens mehrerer für einen Affekt sprechenden Kriterien
(vgl. BGH StV 1993, 637; zusammenfassend zu den wesentlichen Merkmalen
der Affektdelikte: Salger in Festschrift für Tröndle,
1989 S. 201, 208 f. m.w.N.) Anlass bestanden. Insoweit hat der
Generalbundesanwalt ausgeführt:
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„Die Feststellungen des Landgerichts zur tatzeitnahen
ambivalenten Entwicklung der Beziehung zwischen dem Angeklagten und
seiner Ehefrau offenbaren ebenso wie das Tatgeschehen eine Vielzahl von
Umständen, die auf das Vorliegen einer gravierenden affektiven
Erregung des Angeklagten bei Vornahme der Tötungsakte
hindeuten. Hervorzuheben sind insoweit die ansteigende Affektspannung
im Vorfeld der Tat (vgl. UA S. 4 f.), der tatauslösende Impuls
in Gestalt des Vorwurfs der Ehefrau (vgl. UA S. 6), die
affektspezifische abrupte, ja fast schon exzessiv wirkende Tatbegehung
(UA S. 6 f.) sowie das eklatante Missverhältnis zwischen
Anlass und Tat.“
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Dem schließt sich der Senat an.
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3. Da die Revision bereits mit der Sachrüge Erfolg hat, bedarf
es eines Eingehens auf die mit gleicher Zielrichtung erhobenen
Verfahrensrügen nicht mehr. Das neue Tatgericht wird unter
Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen Gelegenheit haben,
auch den affektbegünstigenden Einfluss konstellativer Faktoren
wie Ermüdung und Erschöpfung zu erörtern
(vgl. hierzu: BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3, 9, 11; BGH
StV 1994, 13). Namentlich unter Berücksichtigung der zur
psychischen Belastung des An-
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geklagten bei Tatbegehung zu treffenden Feststellungen und angesichts
der ihm selbst entstandenen, schweren Folgen seiner Jähtat
wird eine Anwendung der zweiten Alternative des § 213 StGB zu
erwägen sein.
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