BGH,
Beschl. v. 15.5.2002 - 2 StR 113/02
2 StR 113/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
15. Mai 2002
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
gemäß §§ 44 Abs. 1, 45, 46 Abs. 1,
349 Abs. 4 StPO am 15. Mai 2002 beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur
Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts
Köln vom 14. Dezember 2001 gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Dem Angeklagten war auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung
der Revision zu gewähren (§ 46 Abs. 1 StPO). Der
Generalbundesanwalt hat zutreffend ausgeführt, daß
der Beschwerdeführer ohne eigenes Verschulden verhindert war,
die Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der
Wiedereinsetzungsantrag wurde form- und fristgerecht gestellt
(§ 45 StPO).
II.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung unter Einbeziehung einer Vorstrafe zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Hiergegen richtet sich seine Revision mit der Sachrüge. Das
Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Das Landgericht, das Tötungsvorsatz des Angeklagten
rechtsfehlerfrei verneint hat, hat unter anderem folgende
Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte hatte Streit mit der Nebenklägerin, seiner
Ehefrau. Er zog die Schnürsenkel aus seinen Turnschuhen und
fesselte das Opfer an den Füßen. Die
Nebenklägerin konnte durch Gegenwehr verhindern, daß
der Angeklagte ihr ein Kabel um den Hals legte. Sodann würgte
er sie mit seinen bloßen Händen und drückte
mit seinen Fingern stark auf eine Stelle im Bereich der rechten
Halsschlagader bis sie keine Luft mehr bekam. Sie wehrte sich und sagte
röchelnd zu ihm er solle das lassen. Der Angeklagte holte dann
eine Plastiktüte und versuchte, diese dem Opfer über
den Kopf zu stülpen. Es gelang ihm jedoch nur, die
Tüte bis etwa in Höhe der Nase der
Nebenklägerin herunterzuziehen, weil diese sich energisch zur
Wehr setzte und mit ihren Händen zwei Fetzen aus der
Plastiktüte reißen konnte. Als der Angeklagte, der
die Nebenklägerin auch mit seinen Fäusten gegen Kopf
und Rücken schlug, auf den Flur ging, gelang es dem Opfer, die
Fußfesseln zu öffnen und zu entkommen. Die
Fußgelenke der Nebenklägerin wiesen
gerötete und leicht angeschwollene Striemen der
Fußfesseln auf.
Der Tatrichter hat diesen Sachverhalt als gefährliche
Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB)
gewürdigt. Der Angeklagte habe mit gefährlichen
Werkzeugen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB), nämlich den als
Fesseln benutzten Schnürsenkeln und der eingesetzten
Plastiktüte, seiner Frau über einen langen Zeitraum
erhebliches psychisches und physisches Leid zugefügt.
Außerdem würden die Würgegriffe am Hals und
das Überstülpen der Plastiktüte
über den Kopf der Nebenklägerin eine das Leben
gefährdende Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr.
5 StGB darstellen.
Der Generalbundesanwalt hat Aufhebung im Strafausspruch beantragt, da
nur die Annahme eines gefährlichen Werkzeuges durch die
Verwendung der Schnürsenkel zutreffe.
III.
Das Urteil war insgesamt aufzuheben. Die getroffenen Feststellungen
tragen den Schuldspruch nicht.
1. Die Auffassung des Landgerichts, die Körperverletzung sei
mittels eines anderen gefährlichen Werkzeuges begangen,
begegnet rechtlichen Bedenken.
Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1
Nr. 2 StGB ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven
Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet
ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen
(st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urt. v. 27. September 2001 - 4 StR 245/01
m.w.N.). Danach waren im vorliegenden konkreten Einzelfall weder die
Schnürsenkel noch die Plastiktüte ein "anderes
gefährliches Werkzeug".
Die zur Fesselung der Fußgelenke verwendeten
Schnürsenkel haben nach den Feststellungen zwar zu einer
leichten Verletzung des Opfers geführt, waren aber hier nach
der Art ihrer Benutzung (anders als in der vom Generalbundesanwalt
angeführten Entscheidung - BGH, Urt. v. 21. September 1993 -
5 StR 411/93 = NStE Nr. 17 zu § 223 a StGB) nicht potentiell
geeignet, erhebliche Körperverletzungen
herbeizuführen.
Das Stülpen einer Plastiktüte über den Kopf
des Opfers kann zwar durchaus geeignet sein, erhebliche Verletzungen
herbeizuführen; dies gilt aber nicht ohne weiteres, wenn im
konkreten Fall die Tüte nur bis etwa in Höhe der Nase
heruntergezogen wurde und zum Beispiel nicht festgestellt ist,
daß das Opfer in Atemnot geraten ist oder daß die
Gefahr sonstiger - auch psychosomatischer - Verletzungen bestand. Da
der Tatrichter hierzu konkret nichts - insbesondere keine auf die
Verwendung der Plastiktüte zurückzuführenden
Verletzungen - festgestellt hat, kann der Schuldspruch auch insoweit
keinen Bestand haben.
2. Auch die Bejahung der Alternative "mittels einer das Leben
gefährdenden Behandlung" (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB)
weist Rechtsfehler auf.
a) Die Wertung der Strafkammer, daß der Einsatz der
Plastiktüte das Leben der Nebenklägerin in konkrete
Gefahr brachte, wird durch die Feststellungen nicht getragen. Daraus,
daß es dem Angeklagten gelang, die Tüte bis etwa in
Höhe der Nase des Opfers herabzuziehen, kann noch nicht
geschlossen werden, daß die Art der Behandlung nach den
Umständen des Einzelfalles abstrakt geeignet war, das Leben
des Opfers zu gefährden. Eine Lebensgefahr wird in derartigen
Fällen in erster Linie in der Erstickungsgefahr zu sehen sein.
Diese besteht, wenn die Atmungsorgane beeinträchtigt sind. Das
ist hier nicht festgestellt.
b) Soweit der Tatrichter durch das Würgen der
Nebenklägerin am Hals eine Körperverletzung mittels
einer das Leben gefährdenden Behandlung angenommen hat, lag
dies allerdings sehr nahe. Denn nach den Feststellungen des Tatrichters
führte das starke Drücken auf eine Stelle im Bereich
der rechten Halsschlagader nicht nur dazu, daß das Opfer kaum
mehr Luft bekam, sondern auch zu einer ca. handtellergroßen
flachen Schwellung mit flohstichartigen Einblutungen (UA S. 16).
Gleichwohl verschließt sich der Senat nicht den
Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinem
Teilaufhebungsantrag, der die Feststellung des Tatrichters dazu
vermißt, wie lange (vgl. hierzu u.a. BGH, Urt. v. 11. April
2000 - 1 StR 55/00 und BGH StV 1993, 27; offen in BGH, Urt. v. 10.
März 1998 - 1 StR 731/97 und BGHR StGB § 223 a Abs. 1
Lebensgefährdung 8; aber auch BGH, Urt. v. 7. Oktober 1981 - 2
StR 356/81 und BGH GA 1961, 241) der Angeklagte das Opfer
gewürgt hat, zumal da ohnehin - wie vorstehend aufgezeigt -
über die Sache neu zu verhandeln ist.
Da somit nach den bisherigen Feststellungen keine der Alternativen des
§ 224 StGB erfüllt ist, war das Urteil insgesamt mit
den Feststellungen aufzuheben.
3. Nach Sachlage scheidet eine Zuständigkeit einer Strafkammer
als Schwurgericht (§ 74 Abs. 2 GVG) aus. Deshalb hat der Senat
die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurückverwiesen.
Vizepräsident Dr. Jähnke ist im Ruhestand und deshalb
an der Unterschrift gehindert. Bode Solin-Stojanovic
Bode Rothfuß Fischer
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