BGH,
Beschl. v. 15.11.2006 - StB 15/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
StB 15/06
vom
15.11.2006
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
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StPO § 53 Abs. 1 Nr. 1
Geistlicher im Sinne von § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist auch ein
Laie, der keine kirchliche Weihe erhalten hat, aber im Auftrag der
Kirche hauptamtlich als Anstaltsseelsorger einer Justizvollzugsanstalt
selbständig Aufgaben wahrnimmt, die zum unmittelbaren Bereich
seelsorgerischer Tätigkeit gehören.
BGH, Beschl. vom 15.11.2006 - StB 15/06 - OLG Düsseldorf
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen
Vereinigung u. a.;
hier: Beschwerde des Zeugen B. gegen die Anordnung von Erzwingungshaft
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15.11.2006
gemäß § 304 Abs. 1, 4 Satz 2 Nr. 1 StPO,
§ 135 Abs. 2 GVG beschlossen:
Die Beschwerde des Zeugen B. gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts
Düsseldorf vom 19. September 2006 - Anordnung von
Erzwingungshaft - wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
I.
In einem vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf
anhängigen Strafverfahren wird gegen den Angeklagten Y. A. und
die Mitangeklagten K. sowie I. A. wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft
in bzw. der Unterstützung der ausländischen
terroristischen Vereinigung Al Qaeda und anderer Delikte verhandelt.
Den Angeklagten wird vorgeworfen, in großem Umfang
Betrugstaten zum Nachteil deutscher Lebensversicherungsgesellschaften
begangen zu haben, um hohe Versicherungssummen zu erhalten und diese -
zumindest teilweise - der Al Qaeda zur Finanzierung des "Heiligen
Krieges" zufließen zu lassen. Zu diesem Zweck soll der
Angeklagte Y. A. zahlreiche Versicherungsverträge auf sein
Leben abgeschlossen bzw. deren Abschluss beantragt und seinen Bruder -
den Mitangeklagten I. A. - im Falle seines Todes als
Begünstigten eingesetzt haben. Dabei sollen die Angeklagten
geplant haben, einen tödlichen Unfall des Angeklagten Y. A.
vorzutäuschen, wozu es aufgrund der Verhaftungen der
Angeklagten K. und Y. A. am 23. Januar 2005 und der
anschließenden Untersuchungshaft nicht mehr gekommen sei.
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Nach Erhebung der Anklage übergab die Verteidigerin des
Angeklagten Y. A. dem Oberlandesgericht Düsseldorf 22
unfrankierte, jeweils auf den 22. Januar 2005 datierte Briefe an
verschiedene Versicherungsgesellschaften, in denen als neuer
Bezugsberechtigter ein Tumorforschungszentrum bestimmt ist. Sie
erklärte dazu, ihr Mandant habe die Briefe wegen seiner
Verhaftung nicht mehr abschicken können. Die
durchgeführten Ermittlungen ergaben den dringenden Verdacht,
dass der Angeklagte Y. A. die Briefe erst nach seiner Verhaftung in der
Justizvollzugsanstalt mit Hilfe Dritter gefertigt und
rückdatiert haben könnte, um sich zu entlasten.
Dieser Verdacht gründet unter anderem darauf, dass
überwiegend die Adressen der Versicherungsgesellschaften in
den Briefen nicht denen entsprechen, die dem Angeklagten aus dem
Abschluss der Lebensversicherungsverträge bekannt waren;
vielmehr handelt es sich um Anschriften, welche die
Versicherungsgesellschaften jeweils auf ihren Internet-Homepages als
Kontaktadressen angeben.
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In der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf
wurde dazu der Beschwerdeführer, der in seiner Funktion als
Anstaltsseelsorger in der Justizvollzugsanstalt W. mehrfach Kontakt mit
dem Angeklagten Y. A. hatte, als Zeuge vernommen. Bei seiner Vernehmung
beantwortete er die Frage des Vorsitzenden, ob er für den
Angeklagten Y. A. im Internet Adressen von Versicherungen recherchiert
habe, unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als Seelsorger
(§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO) nicht. Daraufhin hat das
Oberlandesgericht gegen ihn ein Ordnungsgeld von 750 € und
für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann,
für je 50 € einen Tag Ordnungshaft festgesetzt. Da
sich der Beschwerdeführer weiterhin weigerte, die Frage des
Vorsitzenden zu beantworten, hat das Oberlandesgericht mit Beschluss
vom 19. September 2006 gegen ihn Haft zur
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Erzwingung des Zeugnisses, jedoch nicht über die Zeit der
Beendigung des Verfahrens in dem Rechtszug und nicht über die
Zeit von sechs Monaten hinaus angeordnet. Gegen diese Entscheidung
wendet sich der Zeuge mit seiner Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde des Zeugen ist unbegründet.
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Das Oberlandesgericht hat gegen ihn rechtsfehlerfrei Haft angeordnet,
um sein Zeugnis zu erzwingen (§ 70 Abs. 1 und 2 StPO). Ein
Recht zur Verweigerung des Zeugnisses gemäß
§§ 53, 53 a StPO steht dem Beschwerdeführer
bei der gegebenen Sachlage nicht zu. Die Anordnung der Beugehaft ist
auch nicht unverhältnismäßig.
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1. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist ein
Geistlicher zur Verweigerung des Zeugnisses über das
berechtigt, was ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut
oder bekanntgeworden ist. Einem Geistlichen stehen
gemäß § 53 a Abs. 1 StPO seine Gehilfen und
die Personen gleich, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der
berufsmäßigen Tätigkeit teilnehmen, wobei
regelmäßig der Geistliche über die
Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes entscheidet. Wie sich
schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, erstreckt sich das Recht zur
Zeugnisverweigerung nicht auf Tatsachen, von denen der Geistliche zwar
bei Gelegenheit der Ausübung der Seelsorge erfahren hat, nicht
aber in seiner Eigenschaft als Seelsorger. Deshalb ist ein
Zeugnisverweigerungsrecht nicht anzuerkennen, soweit es sich um eine
karitative, fürsorgerische, erzieherische oder verwaltende
Tätigkeit des Geistlichen handelt oder ein Straftäter
diesen nur als Verbindungsmann einschaltet, etwa um den Taterfolg zu
erreichen oder
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zu sichern oder die Strafverfolgung zu vereiteln. Ob im Einzelfall
Seelsorge gegeben war, ist objektiv zu beurteilen. In Grenz- und
Zweifelsfällen ist die Gewissensentscheidung des Geistlichen
maßgebend (vgl. BGHSt 37, 138, 140; Dahs in
Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 53 Rdn. 24 ff.;
Senge in KK 5. Aufl. § 53 Rdn. 12; Meyer-Goßner,
StPO 49. Aufl. § 53 Rdn. 12). Auf Verlangen des Gerichts ist
der Verweigerungsgrund glaubhaft zu machen (§ 56 StPO).
2. Nach diesen Maßstäben hat der
Beschwerdeführer das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund
verweigert.
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a) Er hat über die Ausübung des
Zeugnisverweigerungsrechts eigenverantwortlich zu entscheiden und kann
sich nicht darauf berufen, dass sein Dienstvorgesetzter, der
Landesdekan für die JVA-Seelsorge, die Entscheidung
für ihn zu treffen hat. Denn in seiner Funktion als
Gemeindereferent in der Seelsorge an der Justizvollzugsanstalt W. , die
ihm nach dem Studium an einer katholischen Fachhochschule vom
Erzbischof in Köln übertragen wurde, ist er selbst
Geistlicher im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO und nicht nur
Berufshelfer (§ 53 a Abs. 1 StPO) seines Dienstvorgesetzten.
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Ausschlaggebend dafür ist, dass der Zeuge im Rahmen seiner
hauptamtlichen Tätigkeit als Anstaltsseelsorger im Auftrag der
katholischen Kirche selbständig Aufgaben wahrnimmt, die zum
unmittelbaren Bereich seelsorgerischer Tätigkeit
gehören. Wie sich aus dem Inhalt der Ernennungsurkunde ergibt
und was sich auch sonst verstünde, ist er in der konkreten
Ausübung der Seelsorge nicht an Weisungen des vorgesetzten
Landesdekans gebunden. Vielmehr hat er mit diesem lediglich die
konkreten Einsatzfelder abzustimmen. Dementsprechend führt er
die Gespräche mit den Gefangenen auch allein in Abwesenheit
des ihm vorgesetzten Priesters. Für die Einordnung des
Beschwerdeführers als
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Geistlicher im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist es
unerheblich, dass er Laie ist und keine kirchliche Weihe als Priester
oder zumindest als Diakon erhalten hat (so aber Rogall in SK-StPO 28.
Lfg. § 53 Rdn. 68; Bernsmann KuR 2004, 153, 158). Entscheidend
ist vielmehr, dass ihm Aufgaben der Seelsorge zur
selbständigen Wahrnehmung übertragen sind und in
diesem Bereich zwischen ihm und dem betreuten Gefangenen ein auf ihn
bezogenes eigenständiges Vertrauensverhältnis
begründet wird (vgl. Meyer-Goßner, aaO Rdn. 12;
Ling, GA 2001, 325 ff., 332; Hanack in LK 11. Aufl. § 139 Rdn.
8). Die hauptamtlich in der Gefangenenseelsorge selbständig
tätigen Laien erfüllen ihre Aufgabe
tatsächlich stellvertretend für geweihte Kleriker und
sind gegebenenfalls denselben schwierigen seelsorgerischen Situationen
ausgesetzt wie diese; ihre Verantwortung auf diesem Gebiet ist mit der
eines katholischen Klerikers oder eines ordinierten evangelischen
Pfarrers vergleichbar.
b) Das Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers nach
§ 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO erstreckt sich nicht auf die Frage,
deren Beantwortung er verweigert.
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Bei den Recherchen im Internet nach Adressen von
Versicherungsgesellschaften handelt es sich um eine Tätigkeit
des Zeugen selbst. Die Frage nach solchen Recherchen betrifft nicht
Tatsachen, die ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger vom Angeklagten
Y. A. anvertraut worden oder bekanntgeworden sein konnten. Eine
Beantwortung würde - bei objektiver Beurteilung - auch keine
Rückschlüsse auf einen Umstand zulassen, von dem er
im Zusammenhang mit seinem seelsorgerischen Dienst Kenntnis erlangt
hat. Allerdings läge, wenn der Zeuge die Frage nach solchen
Recherchen durch ihn für den Angeklagten Y. A. bejahen
würde, die Annahme nahe, dass diese Tätigkeit
Gegenstand eines Gesprächs zwischen ihm und dem An-
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geklagten oder zumindest einer entsprechenden Bitte des Angeklagten an
ihn gewesen war. Auch mit diesem Inhalt der Gespräche geht es
aber nicht um Tatsachen, die dem Beschwerdeführer in seiner
Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden sind.
Denn Seelsorge im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist nur
eine von religiösen Motiven und Zielsetzungen getragene
Zuwendung, die der Fürsorge für das seelische Wohl
des Beistandssuchenden, der Hilfe im Leben oder Glauben
benötigt, dient (vgl. Rogall, aaO Rdn. 66). Zu ihr
gehören nicht Gespräche, Erkenntnisse oder
Tätigkeiten des Geistlichen auf dem Gebiet des
täglichen Lebens bei Gelegenheit der Ausübung von
Seelsorge ohne Bezug zum seelischen Bereich.
Es ist fernliegend und erscheint ausgeschlossen, dass die Recherchen,
zu denen der Zeuge die Aussage verweigert, im Zusammenhang mit
Seelsorge im weitesten Sinne stehen können. Der
Beschwerdeführer hat nicht einmal den Versuch unternommen,
einen solchen möglichen Zusammenhang plausibel zu machen.
Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Frage
ausschließlich den nichtseelsorgerischen Bereich
berührt. Die vom Beschwerdeführer vertretene Meinung,
die Gespräche eines Geistlichen könnten nicht in
seelsorgerische und nichtseelsorgerische Teile getrennt werden, wenn
dieser in seiner Eigenschaft als Seelsorger einem Dritten
gegenüber getreten sei, läuft schlicht dem Gesetz
zuwider, dem - nach seinem Wortlaut sowie seinem Sinn und Zweck, das im
Zusammenhang mit Seelsorge entstandene Vertrauensverhältnis zu
schützen - die Möglichkeit einer solchen
Unterscheidung eindeutig zugrunde liegt.
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c) Das Oberlandesgericht hat bei der Anordnung der Beugehaft sein
Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt und den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit unter
Berücksichtigung des Freiheitsgrundrechts des
Beschwerdeführers aus
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Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfG NJW 1999,
779 f.; 2000, 3775 f.; Meyer-Goßner, aaO § 70 Rdn.
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Die Vorwürfe gegen die Angeklagten wiegen schwer. Diese
müssen im Falle einer Verurteilung mit hohen Freiheitsstrafen
rechnen. Das Oberlandesgericht hat in dem angefochtenen Beschluss
nachvollziehbar dargelegt, dass auf die Vernehmung des
Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt der gerichtlichen
Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) nicht
verzichtet werden kann. Seine aus der bisherigen Verhandlung gewonnene
Einschätzung, die Klärung der Frage, ob der Zeuge
Adressen von Versicherungsgesellschaften recherchiert habe, sei
angesichts der Einlassung des Angeklagten Y. A. für die
Schuldfrage, jedenfalls aber für die Strafzumessung von
zentraler Bedeutung, ist - da sie kein Randgeschehen betrifft -
zumindest vertretbar. Eine darüber hinausgehende
Überprüfung des angefochtenen Beschlusses und eine
eigenständige Bewertung der bisherigen Ergebnisse der
Beweisaufnahme sind dem Senat im Beschwerdeverfahren schon mangels
Einblick in deren Verlauf nicht möglich. Allein das Gericht,
vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren
bisherigen Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu
würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob die
Aussage, die erzwungen werden soll, nach den Umständen des
Falles für den Schuld- oder Strafausspruch so bedeutsam ist,
dass auf den Zeugen durch Beugehaft eingewirkt und insoweit in sein
Freiheitsgrundrecht eingegriffen werden muss.
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3. Ein der Anordnung der Beugehaft entgegenstehendes
Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 Abs.
1 StPO im Hinblick auf die Gefahr, selbst wegen Strafvereitelung oder
einer anderen Straftat verfolgt zu werden, nimmt der
Beschwerdeführer bisher für sich nicht in Anspruch
und kann nicht unterstellt werden.
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Tolksdorf Pfister von Lienen |