BGH,
Beschl. v. 15.10.2009 - 5 StR 407/09
5 StR 407/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 15. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Oktober 2009
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Chemnitz vom 27. Mai 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die
hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten dringt mit der
Sachrüge durch. Die Beweiswürdigung der Strafkammer
leidet an Mängeln, die zur Aufhebung des Urteils
führen.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
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Aus von der Strafkammer nicht geklärten Gründen stieg
der Angeklagte am 12. Juni 2008 in den von dem später
geschädigten Zeugen Z. gesteuerten Pkw Opel Astra ein. Im
Fahrzeug befanden sich ferner auf dem Beifahrersitz der Zeuge R. und
auf der Rückbank hinter dem Fahrersitz der Zeuge P. . Der
Angeklagte setzte sich auf die Rückbank hinter dem
Beifahrersitz.
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Während der Fahrt kam es zwischen dem Angeklagten und R. zu
einem Streit, in dessen Verlauf R. dem Angeklagten vom Beifahrersitz
aus mit der Faust mindestens zehnmal wuchtig ins Gesicht schlug und ihn
hierdurch erheblich verletzte. Als der Angeklagte an einer
Ampelkreuzung auszusteigen versuchte, hielt ihn P. im Auto fest. R.
schlug weiter gegen die linke Gesichtshälfte des Angeklagten,
P. versetzte ihm einige Schläge von links gegen den
Körper. Z. steuerte das Fahrzeug währenddessen in
eine abgelegene Straße und hielt es dann an. Während
R. ausstieg und die rechte hintere Tür öffnete, hielt
P. den Angeklagten weiter fest. Z. wusste, dass der Angeklagte
regelmäßig ein Messer bei sich hatte. Er forderte
ihn auf, sein Messer herauszugeben. Dann dürfe er aussteigen.
Dem kam der Angeklagte nach und stieg aus. Er wusch sich mit Bier das
blutverschmierte Gesicht ab, setzte sich ein wenig abseits vom Fahrzeug
hin und rauchte eine Zigarette, wobei er sich „mit Z.
unterhielt, während R. und P. abseits standen“ (UA
S. 15, 16).
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Nunmehr stand der Angeklagte auf, zog seine von ihm
mitgeführte Pistole, lud sie durch und schoss in Richtung von
Z. , R. und P. , die um das Auto herumstanden. Während P.
hinter einem anderen Fahrzeug Schutz suchte, gingen Z. und R. hinter
dem Fahrzeug des Z. in Deckung und - weil der Angeklagte ihnen folgte -
um das Fahrzeug herum, um den Wagen als Deckung zwischen sich und ihm
zu behalten.
Der Angeklagte gab insgesamt mindestens drei Schüsse ab, wovon
einer knapp unterhalb der linken hinteren Dreiecksscheibe in den linken
hinteren Kotflügel des Fahrzeugs eindrang und durch diesen,
den Türdichtgummi und die zu seiner Befestigung aufgesteckte
Kunststoffkappe im Bereich der hinteren linken
Türöffnung wieder austrat. Ein weiteres Geschoss
drang durch die offenstehende rechte hintere Fahrzeugtür in
die Kopfstütze des Fahrersitzes und anschließend in
den B-Holm der linken Fahrzeugseite ein. Ein drittes Projektil traf Z.
links neben dem Nabel und verursachte lebensgefährliche
Verletzungen.
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Nach Abgabe der Schüsse floh der Angeklagte, wobei ihm P.
zunächst ca. 100 bis 150 m folgte und mit Steinen nach ihm
warf. Dann kehrte P. zu seinen Kumpanen zurück.
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2. Das Landgericht lehnt eine Rechtfertigung durch Notwehr (§
32 StGB) ab. Im Tatzeitpunkt habe auch für den Angeklagten
erkennbar keine Gefahr eines weiteren Angriffs mehr bestanden. Das
gelte vor allem hinsichtlich des Zeugen Z. , der weder vorher gegen den
Angeklagten vorgegangen sei noch in irgendeiner Weise habe erkennen
lassen, überhaupt gegen den Angeklagten vorgehen zu wollen.
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3. Die hierfür mitgeteilte Beweiswürdigung ist unklar
und lückenhaft (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt
51, 144 nicht abgedruckt). Sie unterlässt es,
prägende Umstände der Tat näher zu
würdigen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 2009 - 5 StR
278/09 Rdn. 4 m.w.N.).
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a) Das „unvermittelte Ziehen der Waffe“ durch den
Angeklagten erfolgte nach den Urteilsgründen in einer
„scheinbaren Deeskalation der Situation“ (UA S.
21). Indessen ist die Bewertung der Lage als (nur)
„scheinbare“ Deeskalation zunächst nicht
ohne Weiteres mit der Auffassung des Landgerichts zu vereinbaren, es
habe bei Abgabe der Schüsse keine Notwehrlage mehr bestanden,
weil die Angriffe endgültig beendet gewesen seien (UA S. 26).
Sie lässt ferner außer Acht, dass zumindest die
Freiheitsberaubung noch andauerte, wobei der Angeklagte durch den
Zeugen Z. und seine Mittäter bewusst an einen abgelegenen Ort
verbracht worden war, an dem er - zudem vermeintlich entwaffnet - ihrem
Zugriff preisgegeben war. Eine nachvollziehbare Würdigung
dieser Umstände erfolgt nicht.
Der Senat kann eine den Erfordernissen genügende
Würdigung auch nicht dem Zusammenhang der
Urteilsgründe entnehmen. Die Strafkammer hat keine Motive und
Ziele festgestellt, die auch für den Angeklagten eine
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Beendigung der Angriffe und somit eine die Notwehrlage beseitigende
wirkliche Deeskalation hätten begründen
können.
b) Das Landgericht unterlässt es ferner, die objektiv gegebene
Situation mit der Einlassung des Angeklagten und den Aussagen der
Zeugen hinreichend in Beziehung zu setzen. Zur Einlassung des
Angeklagten wird letztlich nur mitgeteilt, dass der Angeklagte
teilgeständig gewesen sei. Inwieweit der nicht als
Geständnis gewertete Teil der Einlassung durch welche
beweiswürdigenden Erwägungen überwunden
worden ist, wird nicht im Einzelnen dargelegt.
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c) Die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen wäre einer
kritischen Prüfung zu unterziehen gewesen. Dazu hätte
schon deswegen besonderer Anlass bestanden, weil die Strafkammer die
von ihnen bekundete Ursache des Streits im Fahrzeug, der Angeklagte
habe sich geweigert, den von ihm mitgeführten Hund von der
Rückbank in den Fußraum des Fahrzeugs zu verlagern,
den Zeugen nicht geglaubt hat (UA S. 22). Überdies hatten die
Zeugen allen Grund, ihr eigenes Verhalten in einem besseren Licht
erscheinen zu lassen.
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4. Die Sache muss demnach neu verhandelt und entschieden werden. Der
Senat verkennt nicht, dass eine Rechtfertigung oder Entschuldigung des
Angeklagten selbst bei Bestehen einer Notwehr- oder Putativnotwehrlage
eher fern liegt. Namentlich bedarf der Einsatz einer lebensbedrohenden
Waffe grundsätzlich vorheriger Androhung (BGHSt 26, 256, 258;
Fischer, StGB 56. Aufl. § 32 Rdn. 33). Auch die
Voraussetzungen des § 33 StGB liegen
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nicht eben nahe. Eine abschließende Beurteilung ist freilich
wegen der lückenhaften Feststellungen nicht möglich.
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