BGH,
Beschl. v. 16.4.2003 - 2 StR 60/03
2 StR 60/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
16. April 2003
in der Strafsache gegen
wegen schweren Raubes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16.
April 2003 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 6. November 2002 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in
einer Entziehungsanstalt abgelehnt wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu der
Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die
Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist
unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuld- und
Strafausspruch richtet. Keinen Bestand hat das Urteil jedoch, soweit es
das Landgericht abgelehnt hat, gemäß § 64
StGB die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer
Entziehungsanstalt anzuordnen.
Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen
Landgerichts besteht bei dem 37-jährigen Angeklagten ein Hang
zum übermäßigen Drogenkonsum mit
körperlicher Abhängigkeit. Er konsumierte seit dem
14. Lebensjahr Heroin, seit dem 18. Lebensjahr spritzte er sich
regelmäßig Heroin und Kokain. Nach wiederholten
Entgiftungen wurde er schnell rückfällig. Vor zwei
Jahren wurde er auch von Methadon abhängig. Eine Entgiftung
ohne professionelle Hilfe war danach nicht mehr möglich. Eine
Entgiftung in einer Einrichtung in Wiesloch brach er ab. Im Januar 2002
beantragte er eine stationäre Drogentherapie, fiel aber kurz
danach in sein altes Suchtverhalten zurück und konsumierte
Heroin, Kokain und Tabletten. Erst im September 2002 nahm er wieder
Kontakt zur Drogenberatung auf. Der Angeklagte ist wegen eines
Verkehrsunfalls und Unterhaltspflichten hoch verschuldet. Zu dem vom
Landgericht abgeurteilten schweren Raub, einem bewaffneten
Überfall auf ein Bäckereigeschäft, kam es,
weil der Angeklagte und der Mitangeklagte Geld zum Kauf von Heroin
benötigten. Die Täter hatten Heroin konsumiert und -
als der Vorrat erschöpft war - Wodka getrunken. Auf dem Weg
zur Drogenbeschaffung nahmen sie Diazepam-Tabletten, so daß
sie vorübergehend einschliefen. Danach waren der Suchtdruck
und die Angst vor den einsetzenden Entzugserscheinungen so
groß, daß die Täter sich zu dem
Überfall entschlossen. Der Angeklagte stand zur Tatzeit unter
dem Einfluß einer mittelgradigen bis schweren
Mischintoxikation, hinzu kam die Angst vor Entzugserscheinungen. Seine
Steuerungsfähigkeit war deshalb erheblich vermindert.
Danach hält das Landgericht bei dem Angeklagten
rechtsfehlerfrei einen Hang zum übermäßigen
Konsum berauschender Mittel für gegeben. Die abgeurteilte Tat
geht als Beschaffungstat auch unmittelbar auf diesen Hang
zurück.
Die Begründung, mit der das Landgericht die Gefahr verneint,
der Angeklagte werde infolge seines Hangs in Zukunft erneut erhebliche
rechtswidrige Taten begehen, ist jedoch rechtsfehlerhaft, weil sie die
für die Prognosebeurteilung erforderliche
Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Tat vermissen
läßt. Das Landgericht führt lediglich aus,
es halte die Gefahr für nicht derart naheliegend,
daß die Maßregelanordnung gerechtfertigt sei. Es
bestehe kein Erfahrungssatz, daß bei
Drogenabhängigen grundsätzlich die Gefahr neuer
Straftaten bestehe. Die zahlreichen Vorstrafen stünden nicht
im Zusammenhang mit der Drogenabhängigkeit des Angeklagten.
Mit diesen pauschalen Erwägungen werden die
Persönlichkeit des Angeklagten, sein Vorleben und seine Tat
aber nicht hinreichend gewürdigt. Das Landgericht meint
selbst, der Angeklagte könne seine Drogenabhängigkeit
nur mit einer Langzeittherapie bewältigen, und es werde eine
solche Therapie durch Maßnahmen nach §§ 35,
36 BtMG unterstützen. Freiwillige Maßnahmen zur
Behandlung seiner Drogenabhängigkeit hat der Angeklagte aber
bisher regelmäßig abgebrochen. Das Landgericht
begründet nicht, warum jetzt damit zu rechnen sein soll, der
Angeklagte werde eine freiwillige Therapie durchstehen. Zudem lassen
der Verlauf der Abhängigkeit und die Entwicklung bis zu der
jetzt abgeurteilten Beschaffungstat eine Steigerung erkennen, die die
Gefahr weiterer Beschaffungstaten nahelegen, zumal da der Angeklagte
hoch verschuldet ist, lediglich "Schwarzarbeit" verrichtet hat und
somit nicht über geregelte Einkünfte
verfügt. Allein mit der Erwägung, die zahlreichen
Vorstrafen des Angeklagten stünden nicht in Zusammenhang mit
seiner Drogenabhängigkeit, werden daher die für die
Prognosebeurteilung maßgebenden Gesichtspunkte nicht
hinreichend erörtert.
Die Frage der Maßregelanordnung bedarf danach neuer
Verhandlung und Entscheidung. Dagegen kann die festgesetzte
Freiheitsstrafe bestehen bleiben. Der Senat kann
ausschließen, daß bei Anordnung der
Maßregel die Strafe niedriger bemessen würde.
Der neue Tatrichter wird zu berücksichtigen haben,
daß die Unterbringung nach § 64 StGB zwingend
anzuordnen ist, wenn die rechtlichen Voraussetzungen der
Maßregel gegeben sind. Hiervon darf nicht abgesehen werden,
weil eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach
§ 35 BtMG vorgesehen ist (vgl. BGH, Beschl. vom 8. Oktober
2002 - 4 StR 330/02 - m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, daß
bei dem Angeklagten keine hinreichend konkrete Aussicht eines
Behandlungserfolgs besteht (vgl. BVerfGE 91, 1 ff.). Dem steht schon
entgegen, daß sich das Landgericht in den
Urteilsgründen ausdrücklich positiv zu einer
Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG
geäußert hat.
Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die
Nachholung einer Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2
StPO; BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Ablehnung der
Maßregelanordnung nach § 64 StGB auch nicht von
seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362).
Eine Erstreckung der Aufhebung gemäß § 357
StPO auf den Mitangeklagten, bei dem ebenfalls eine
Drogenabhängigkeit festgestellt wurde (UA S. 7 f., 15),
scheidet aus, da die Entscheidung nach § 64 StGB bei jedem
Angeklagten auf individuellen Erwägungen beruht (BGHR StPO
§ 357 Erstreckung 4 m.w.N.).
VRi´inBGH Dr. Rissing-van Saan und Bode
RiBGH Dr. h.c. Detter sind durch Urlaub an der Unterschrift gehindert.
Bode
Otten Roggenbuck |