BGH,
Beschl. v. 16.8.2000 - 2 StR 219/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 219/00
vom
16. August 2000
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. August
2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Köln vom 7. Februar 2000 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von Kindern in 26 Fällen, davon in 25
Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von
Schutzbefohlenen, sowie wegen schweren sexuellen Mißbrauchs
eines Kindes in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem
Mißbrauch einer Schutzbefohlenen zu der Gesamtfreiheitsstrafe
von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Angeklagte rügt
mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die
Sachrüge führt zur Aufhebung des
Rechtsfolgenausspruchs. Im übrigen ist das Rechtsmittel
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
II.
Die Maßregelanordnung der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus hält der rechtlichen
Prüfung nicht stand. Die bisherige Begründung des
Landgerichts belegt weder, daß bei dem Angeklagten eine s c h
w e r e andere seelische Abartigkeit besteht, noch, daß in
deren Folge die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der
Begehung der Mißbrauchstaten e r h e b l i c h vermindert war.
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei den Taten
erheblich vermindert gewesen auf Grund einer "schweren
narzißtischen Persönlichkeitsstörung auf
Borderline-Niveau, die dem Schweregrad einer schweren anderen
seelischen Abartigkeit entspricht." Diese Bewertung leitet es aus
folgenden Merkmalen und Wesenszügen des Angeklagten her:
Die Persönlichkeitsstörung habe sich schon sehr
früh gezeigt in der während der Pubertät
beginnenden massiven Alkoholabhängigkeit, die eine
kontinuierliche Entwicklung seiner Persönlichkeit verhindert
habe. Daher habe der Angeklagte schon früh dazu geneigt,
Sexualität ebenso wie Alkoholkonsum wahllos einzusetzen, um
die verspürte innere Leere zu verdrängen, aber auch,
um eine Unterkunft für die Nacht zu erlangen. Seine
Persönlichkeit weise wenig innere Struktur auf, und sein
Selbstwertgefühl sei nur gering. Nach seiner eigenen
Einschätzung sei er stets von abrupten
Stimmungseinbrüchen bedroht, die sein labiles inneres
Gleichgewicht gefährdeten. Zu einer dauerhaften
erfüllten Beziehung sei er nicht in der Lage, wie sich an der
Beziehung und Ehe mit der Mutter der Tatopfer zeige, die nur
funktioniert habe, solange die Sexualität im Vordergrund
gestanden habe.
Die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit entnimmt
die Strafkammer letztlich der für glaubhaft erachteten
Schilderung des Angeklagten zur Entwicklung der sexuellen
Übergriffe, die er - wie die Alkoholsucht - zunehmend weniger
kontrolliert habe. Diese Übergriffe habe er auch nach der
Entdeckung durch seine Ehefrau nicht aufgegeben.
Die Diagnose "schwere narzißtische
Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau"
läßt - für sich genommen - eine Aussage
über die Schuldfähigkeit des Täters nicht zu
(vgl. BGHSt 42, 385, 388 m.w.N.). Die Diagnose einer schweren
Persönlichkeitsstörung ist nicht gleichbedeutend mit
derjenigen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der
§§ 20, 21 StGB. Eine solche Störung kann
immer auch als - möglicherweise extreme - Spielart
menschlichen Wesens einzuordnen sein, die sich noch innerhalb der
Bandbreite voll schuldfähiger Menschen bewegt (vgl. BGH
a.a.O.). Der sachverständig beratene Tatrichter muß
daher prüfen, ob die Persönlichkeitsstörung
Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten
vergleichbar schwer und mit ähnlichen - auch sozialen - Folgen
stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische
Störungen. Art und Schweregrad der Störung
müssen auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der
Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung bewertet
werden, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlaß und
Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung
sind (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 397, 401 f.; BGH NStZ 1997, 485;
Senatsbeschluß vom 26. Juli 2000 - 2 StR 278/00). Bei der
danach gebotenen normativen Bewertung ist deshalb zu beachten,
daß auf der Grundlage der Diagnose
"Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau" ein so
schwerwiegender Eingriff, wie ihn die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus darstellt, nur unter engen Voraussetzungen
und nur dann gerechtfertigt ist, wenn - da der Zweifelssatz insoweit
keine Anwendung findet - feststeht, daß der Täter
aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt
hat (BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit
13). 20
Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht für die
Maßregelanordnung gegebene Begründung nicht gerecht.
Ob die Steuerungsfähigkeit eines Täters erheblich
vermindert war, kann immer nur für eine konkrete Tat beurteilt
werden. Das Landgericht macht aber schon nicht deutlich, in welcher
Weise die mitgeteilten Faktoren der
Persönlichkeitsstörung bei der Begehung der
Mißbrauchstaten die Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten beeinträchtigt haben könnten. Die
Alkoholabhängigkeit hat der Angeklagte, den das Landgericht
als "trockenen" Alkoholiker bezeichnet, inzwischen ersichtlich
überwunden. Den Feststellungen zum Tatgeschehen
läßt sich zudem nicht entnehmen, daß die
Taten unter Alkoholeinfluß begangen wurden. Die
übrigen Symptome sind für die konkreten Taten von
geringerem Gewicht und nach den dargelegten
Bewertungsmaßstäben weder einzeln noch in ihrer
Gesamtheit geeignet, die Annahme einer schweren anderen seelischen
Abartigkeit zu rechtfertigen.
Es bleibt daher nur die vom Landgericht für glaubhaft
erachtete Selbsteinschätzung des Angeklagten, er habe die
sexuellen Übergriffe - wie bei seiner Alkoholsucht - zunehmend
weniger kontrolliert. Das Landgericht äußert sich
aber weder dazu, ob die Fähigkeit des Angeklagten, die
Übergriffe zu kontrollieren, erheblich vermindert war noch
erörtert es, ob es sich bei den Taten um ein
suchtähnliches Verhalten handelte, das dazu führte,
daß der Angeklagte aus einem mehr oder weniger
unwiderstehlichen Zwang heraus handelte. Ein solcher Zwang versteht
sich unter den gegebenen Umständen nicht von selbst. Bedenken
gegen seine Annahme ergeben sich schon daraus, daß der
Angeklagte den von ihm vergleichsweise genannten Hang zum
übermäßigen Alkoholkonsum inzwischen
überwunden hat und zwischen der ersten und den folgenden Taten
ein langer zeitlicher Zwischenraum lag.
III.
Die rechtsfehlerhafte Annahme der Voraussetzungen des § 21
StGB beschwert den Angeklagten im Bereich der eigentlichen
Strafzumessung zwar nicht (Senatsbeschluß vom 26. Juli 2000 -
2 StR 278/00 - m.w.N.). Die zu den Voraussetzungen des § 21
StGB neu zu treffenden Feststellungen betreffen hier aber sowohl den
Straf- wie auch den Maßregelausspruch. Der Senat
hält es deshalb für angebracht, auch den
Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben,
damit die Rechtsfolgenentscheidung insgesamt auf einheitliche und
widerspruchsfreie Feststellungen gestützt werden kann.
Jähnke Detter Bode
Otten Hebenstreit |