BGH,
Beschl. v. 16.8.2000 - 2 StR 249/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 249/00
vom
16. August 2000
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. August
2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 30. Juli 1999 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der
Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit seiner Revision
rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen
Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit
es sich gegen den Strafausspruch richtet. Im übrigen ist es
offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Strafzumessung hält der rechtlichen Prüfung nicht
stand. Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des Totschlags
nach beiden Alternativen des § 213 StGB verneint und eine
Strafe in der Mitte des Regelstrafrahmens des § 212 Abs. 1
StGB verhängt, obwohl es mehrere
Strafmilderungsgründe von Gewicht, aber keine besonderen
Straferschwerungsgründe festgestellt hat.
Die Ablehnung eines sonst minder schweren Falls des Totschlags
(§ 213 Alt. 2 StGB) ist mit der hierfür gegebenen
Begründung rechtsfehlerhaft. Die Prüfung, ob ein
solcher Fall gegeben ist, erfordert eine Gesamtwürdigung aller
für und gegen den Angeklagten sprechenden objektiven und
subjektiven Umstände. Zu Gunsten des Angeklagten hat das
Landgericht hier berücksichtigt, er sei nicht vorbestraft und
habe die Tat gegenüber dem psychiatrischen
Sachverständigen im wesentlichen gestanden, auch wenn er dabei
für sich eine Nothilfesituation in Anspruch genommen habe.
Seine Steuerungsfähigkeit sei zwar nicht erheblich vermindert
gewesen, doch sei er durch Alkoholeinfluß erheblich enthemmt
gewesen (maximale Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 1,86 %o).
Schließlich habe ihn das Tatopfer wiederholt in einer Weise
angesprochen, die er als Provokation empfunden habe. "Besondere
Straferschwerungsgründe vermochte die Kammer nicht
festzustellen."
Die Bewertung dieser Umstände ergab nach Ansicht des
Landgerichts nicht, daß das Tatbild vom Durchschnitt der
erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden
Fälle des Totschlags derart abweicht, daß der
Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB unangemessen hart sei.
"Unter erneuter Abwägung der für und gegen den
Angeklagten sprechenden Umstände erschien der Kammer eine
Freiheitsstrafe von zehn Jahren schuldangemessen."
Bei dieser Begründung wird bereits nicht
verständlich, warum ein sonst minder schwerer Fall verneint
wurde, obwohl mehrere Strafmilderungsgründe von Gewicht, aber
kein Straferschwerungsgrund angeführt werden. Selbst wenn man
aber einen minder schweren Fall verneint und den Regelstrafrahmen des
§ 212 Abs. 1 StGB (5-15 Jahre Freiheitsstrafe) zugrundelegt,
ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Landgericht
eine Strafe in der Mitte des Strafrahmens für angemessen
erachtet, obwohl es meint, keine Straferschwerungsgründe
feststellen zu können.
Da über die Bemessung der Strafe schon aus diesen
Gründen neu verhandelt und entschieden werden muß,
kommt es nicht darauf an, ob die Behauptung des Verteidigers in der
Revisionsbegründung zutrifft, das Landgericht habe in einem
Vorgespräch in Aussicht gestellt, den Angeklagten bei einem
Geständnis im Sinn der Anklage zu einer Freiheitsstrafe von
fünf Jahren zu verurteilen.
Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, ergänzende
Feststellungen zur Frage einer möglichen Provokation des
Angeklagten durch das Tatopfer (§ 213 Alt. 1 StGB) zu treffen.
Denn insoweit ist eine abschließende Beurteilung auf der
Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht möglich, weil
der konkrete Inhalt der gegenseitigen Vorhalte und Beschimpfungen
zwischen dem Angeklagten und seinem Tatopfer vor und bei dem
eigentlichen Tatgeschehen nicht festgestellt ist. Auch im Rahmen seiner
Beweiswürdigung äußert sich das Landgericht
nicht dazu, ob es der in wesentlichen Teilen für glaubhaft
erachteten Einlassung des Angeklagten bei seiner Exploration durch den
Sachverständigen auch insoweit gefolgt ist, als es den
angeblichen Inhalt der Beschimpfung des Angeklagten durch das Tatopfer
angeht.
Schließlich wird die neue Schwurgerichtskammer auch einen
Anrechnungsmaßstab für die in Belgien erlittene
Auslieferungshaft zu bestimmen haben (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB).
Jähnke Detter Bode
Otten Hebenstreit |