BGH,
Beschl. v. 16.8.2000 - 5 StR 74/00
5 StR 74/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 16. August 2000
in der Strafsache gegen
wegen Aussageerpressung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. August 2000
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin
vom 15. November 1999 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Aussageerpressung in drei
Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit
vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere ist
Strafverfolgungsverjährung nicht eingetreten.
I.
Im Frühjahr 1955 vernahm der Angeklagte im Range eines
Oberleutnants der Hauptabteilung IX des Ministeriums für
Staatssicherheit der DDR mehrfach den damaligen Beschuldigten und
Untersuchungsgefangenen G wegen des Vorwurfs geheimdienstlicher
Tätigkeit. An zwei Tagen schlug der Angeklagte den damaligen
Beschuldigten mit der offenen Hand mehrfach und heftig gegen den Kopf.
Hierdurch wollte der Angeklagte erreichen, daß der
Beschuldigte Vernehmungsprotokolle unterschrieb, obwohl er mit deren
unrichtigem Inhalt nicht einverstanden war. Aus Schmerz und Furcht vor
neuen Schlägen und durch die anstrengenden Vernehmungen
physisch und psychisch erschöpft, unterschrieb der
Beschuldigte schließlich die Protokolle. Er wurde aufgrund
seines Geständnisses durch Urteil des Bezirksgerichts
Frankfurt (Oder) vom 25. Juni 1955 wegen Spionage zu neun Jahren
Zuchthaus verurteilt und befand sich in dieser Sache bis 1963 in
Strafhaft.
Im Herbst 1964 oder im Jahr 1965 nahm der Angeklagte im Rang eines
Majors als Abteilungsleiter in der genannten Hauptabteilung an einer
von dem Zeugen B geleiteten Vernehmung des damaligen Beschuldigten und
Untersuchungsgefangenen S wegen des Vorwurfs der Spionage im schweren
Fall und der versuchten Republikflucht teil. Da sich der damalige
Beschuldigte zunächst weigerte, eine Spionage zu gestehen und
andere Personen der Spionage zu bezichtigen, drohte der Angeklagte ihm
an, daß er in das sogenannte "U-Boot" in der Haftanstalt
Hohenschönhausen kommen werde, wenn er nicht gestehe. Bei dem
sogenannten "U-Boot" handelte es sich um einen fensterlosen, feuchten
und kalten Kellerraumtrakt, dessen Türbeleuchtungen immer
eingeschaltet waren. Aus Angst vor einer dortigen Unterbringung gab der
damalige Beschuldigte das gewünschte Geständnis ab.
Aufgrund dieses Geständnisses wurde er am 23. Dezem-
ber 1965 durch das Oberste Gericht der DDR wegen fortgesetzter Spionage
im schweren Fall zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Er wurde am 30.
Juli 1981 in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben.
II.
In Fällen der Aussageerpressung gegen Beschuldigte, die
politischer Straftaten nach dem Strafrecht der DDR beschuldigt wurden,
hat die Verjährung in der DDR aufgrund eines quasigesetzlichen
Verfolgungshindernisses geruht.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hatte
die Staatspraxis der DDR, Straftaten aus politischen oder sonst mit
wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen
rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbaren Gründen generell nicht
zu verfolgen, grundsätzlich die Wirkung eines gesetzlichen
Verfolgungshindernisses im Sinne des § 83 Nr. 2 StGB-DDR (vgl.
- deklaratorisch - Art. 1 des [1.] Verjährungsgesetzes vom 26.
März 1993, BGBl I 392). Entsprechend wird das Ruhen der
Verjährung angenommen für Schüsse an der
innerdeutschen Grenze, für von Angehörigen der
DDR-Justiz in politischen Strafsachen begangene Rechtsbeugungen und
damit tateinheitlich zusammentreffende Delikte, für vom MfS
veranlaßte Verschleppungen von Bundesbürgern in die
DDR, für Freiheitsberaubungen durch politische Denunziationen,
für Körperverletzungen an Gefangenen durch
Strafvollzugsbedienstete der DDR und für die systematische
Vergabe schädlicher Dopingmittel an uneingeweihte
minderjährige Sportler (BGHR StGB § 78b Abs. 1 -
Ruhen 8 zusammenfassend m.N.).
2. Diese Grundsätze gelten auch für Straftaten der
vorliegenden Art.
a) Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, daß solche
Taten nach dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen
Willen der Staats- und Parteiführung der DDR aus politischen
Gründen nicht geahndet worden wären.
b) Alledem steht auch nicht entgegen, daß - wie von der
Revision vorgetragen wird - das Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg
den früheren Leiter der Kreisdienststelle Malchin des MfS am
28. Februar 1958 wegen fortgesetzter Aussageerpressung und
fortgesetzter Tierquälerei zu einem Jahr und sechs Monaten
Zuchthaus verurteilt hat. Sollte es sich um einen Fall mit politischem
Hintergrund handeln, liegt offenbar ein besonderer Ausnahmefall vor
(vgl. BGHR StGB § 78b Abs. 1 - Ruhen 2).
3. Das besonders lange Zurückliegen der beiden ersten, im Jahr
1955 begangenen Taten und das relativ geringe Maß der dabei
begangenen Körperverletzungen stehen einer Anwendung der oben
genannten Grundsätze nicht entgegen. Denn zum einen wurden
diese Taten gegen einen hilflosen Untersuchungsgefangenen unter den
Umständen einer Aussageerpressung begangen, die nach dem zur
Tatzeit in der DDR geltenden § 343 RStGB mit Zuchthaus bis zu
fünf Jahren bedroht war. Zum anderen kann nicht
außer Betracht bleiben, daß der Angeklagte sein
Tatverhalten mit der dritten Tat in den Jahren 1964/1965
einschlägig fortgesetzt hat.
III.
Das Zwischenrecht (§ 243 StGB-DDR) ist nicht milder, weil es
im Gegensatz zu § 343 StGB die Verhängung einer
Freiheitsstrafe bei Aussetzung ihrer Vollstreckung zur
Bewährung nicht ermöglicht (zur entsprechenden
Situation bei der Rechtsbeugung vgl. BGHSt 41, 247, 277).
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