BGH,
Beschl. v. 16.12.2008 - 3 StR 453/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 453/08
vom
16. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 16. Dezember 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kiel vom 8. Juli 2008 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen,
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit
mit schwerer Körperverletzung sowie wegen Diebstahls mit
Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit
seiner Revision rügt er die Verletzung formellen und
materiellen Rechts.
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1. Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, soweit eine Entscheidung zur
Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt
(§ 64 StGB) unterblieben ist. Nach den Feststellungen
konsumierte der Angeklagte seit seinem 15. Lebensjahr in zunehmendem
Maße Haschisch, Kokain, Heroin
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und Tabletten. An die dafür notwendigen finanziellen Mittel
gelangte er überwiegend durch Straftaten. Nachdem er im Jahre
2004 eine Therapie gemäß § 35 BtMG
absolviert hatte, wurde die Vollstreckung des Strafrestes zur
Bewährung ausgesetzt. Während der
Bewährungszeit konsumierte er jedoch weiterhin Cannabis. Die
erste verfahrensgegenständliche Tat im November 2006 beging er
in der Hoffnung, Geld zu finden, um damit u. a. Heroin zu kaufen. Auch
zur Zeit der zweiten Tat im Februar 2007 konsumierte der Angeklagte
Heroin. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht den Drogenkonsum des
Angeklagten strafmildernd gewürdigt. Außerdem hat es
zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er unter dem
ständigen Druck stand, sich Geld zur Finanzierung seiner
Drogen beschaffen zu müssen, was seine Hemmschwelle zur
Begehung krimineller Taten tendenziell herabgesetzt habe. Unter diesen
Umständen liegt es nahe, dass die Taten auf einen Hang des
Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im
Übermaß zu sich zu nehmen. Dies drängte zu
der Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt gegeben sind.
Die vom Landgericht unterlassene Prüfung erweist sich auch
nicht deshalb als entbehrlich, weil nach § 64 StGB in der
Fassung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.
Juli 2007 (BGBl I 1327) die Maßregel nicht mehr zwingend
anzuordnen ist. Denn das Tatgericht muss das ihm nunmehr
eingeräumte Ermessen auch tatsächlich
ausüben und dies in den Urteilsgründen kenntlich
machen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 73 f.). Den bisher getroffenen
Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die
Maßregelanordnung jedenfalls deswegen ausscheiden
müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines
Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB).
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Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung
der Unterbringungsanordnung nicht (BGHSt 37, 5). Der
Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB
durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Zur Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in
einer Entziehungsanstalt bedarf es in der neuen Hauptverhandlung der
Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO).
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Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch
unberührt. Der Senat kann ausschließen, dass das
Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
mildere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe
verhängt hätte.
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2. Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat
bemerkt ergänzend zu den Ausführungen des
Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift:
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a) Die Strafkammer hat sich hinsichtlich des Raubüberfalls vom
12. Februar 2007 unter anderem deswegen von der Täterschaft
des Angeklagten überzeugt, weil der Zeuge K. als
Täter nicht in Betracht komme. Hierzu hat sie sich auch auf
eine "Täteranalyse des Landeskriminalamts" gestützt.
Danach müsse es sich um "einen strukturiert handelnden
Täter gehandelt haben, der erfahren mit Einbruchs und
Raubdelikten" sei (UA S. 22). Die Analyse beschreibe ihn als "Person
mit Erfahrungen im Einsatz von körperlicher Gewalt, wobei
Körperverletzungs- und Raubdelikte zu vermuten sind, Erfahrung
bei der Begehung von Einbruchs- und Diebstahlstaten und sicherer und
kontrollierter Bewegung in einem fremden Objekt, fachgerechter Einsatz
von Einbruchswerkzeug, gezielter Auswahl des Stehl- und Raubgutes.
Dabei wirkt die Tat nicht wie eine Beschaffungskriminalität,
sondern eher wie eine kontrollierte Berufsaus-
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übung" (UA S. 29). Dem schließe sich die Kammer an.
Die Merkmale träfen auf den Angeklagten, nicht dagegen auf den
Zeugen K. zu.
Die Ausführungen des Landgerichts lassen besorgen, dass es
sich ohne eigene Prüfung und Bewertung dem Ergebnis der
"Täteranalyse" angeschlossen hat; denn auf welchen Tatsachen
und Erfahrungssätzen die Erkenntnis beruht, dass der
Täter strukturiert gehandelt habe, er erfahren in der Begehung
von Körperverletzungs-, Einbruchs- und Raubdelikten gewesen
sein müsse und die Tat nicht wie
Beschaffungskriminalität, sondern wie kontrollierte
Berufsausübung wirke, lässt sich dem Urteil ebenso
wenig entnehmen wie eine eigenständige
Überzeugungsbildung des Landgerichts. Eine solche ist jedoch
unerlässlich.
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Gemäß § 261 StPO entscheidet über
das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht. Es obliegt allein ihm, die
für den Urteilsspruch relevanten Tatsachen und
Erfahrungssätze festzustellen, in ihrer Beweisbedeutung zu
bewerten und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung zu
bilden. Soweit die Ermittlung der Tatsachen besonderer Sachkunde
bedarf, über die das Gericht nicht verfügt, hat es
sich diese durch einen Sachverständigen vermitteln zu lassen.
Gleiches gilt, soweit die Erfahrungssätze, aufgrund derer die
festgestellten Tatsachen zu bewerten sind oder die den Schluss von
diesen auf andere Sachverhalte ermöglichen,
außerhalb der Sachkunde des Gerichts liegen. Hierauf ist der
Sachverständigenbeweis indes beschränkt. Das Gericht
verfehlt daher die ihm nach § 261 StPO obliegende Aufgabe,
wenn es Feststellungen und Beurteilungen eines
Sachverständigen ungeprüft und ohne eigene Bewertung
des Beweisergebnisses übernimmt. Dies gilt insbesondere dann,
wenn es sich um Schlussfolgerungen handelt, die nach den zur Anwendung
zu bringenden Erfahrungssätzen nicht zwingend sind, sondern
nur Wahrscheinlichkeitsaussagen mit
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mehr oder weniger großer Richtigkeitsgewähr zu
liefern vermögen. Ob die Schlussfolgerung aufgrund eines
derartigen Erfahrungssatzes zu ziehen ist, entscheidet nur das Gericht.
Hier bedeutet dies: Darüber, ob der Raubüberfall vom
12. Februar 2007 durch einen strukturiert handelnden Täter
verübt wurde, der über Erfahrung im Einsatz
körperlicher Gewalt und bei der Begehung von Diebstahls-,
Einbruchs- und Raubdelikten verfügte, ob er sich sicher und
kontrolliert in dem ihm frem-den Haus des Tatopfers bewegte, ob er
Einbruchswerkzeug fachgerecht zum Einsatz brachte und seine Beute
gezielt auswählte und ob das Tatbild eher für
"kontrollierte Berufsausübung" als für
Beschaffungskriminalität spricht, hatte
ausschließlich das Gericht auf der Grundlage der Bewertung
der für die Beurteilung dieser Fragen maßgeblichen
Fakten und Erfahrungssätze zu befinden. Zu deren Ermittlung
hatte es sich gegebenenfalls sachverständiger Hilfe zu
bedienen. Deren Bewertung konnte ihm dagegen nicht durch eine
"Täteranalyse" abgenommen werden, die lediglich das Ergebnis
der eigenständigen Beurteilung des Ermittlungsergebnisses
durch Mitarbeiter einer Polizeibehörde vermittelt. Derartige
Täteranalysen, operative Fallanalysen etc. mögen
für die Ermittlungsarbeit der Polizei durchaus hilfreich sein.
Im Strafprozess ist ihnen gegenüber jedoch die
eigenständige, unabhängige
Überzeugungsbildung der Gerichte zu wahren (vgl. auch BGH NStZ
2006, 712 f.).
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Im Hinblick auf das sonstige Beweisergebnis und die übrigen
Beweiserwägungen des Landgerichts kann der Senat aber
ausschließen, dass das Urteil auf der etwaigen fehlerhaften
Übernahme der Aussagen der "Täteranalyse" beruht.
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b) Das Landgericht hat den Tatbestand der schweren
Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 5. Alt. StGB) zu
Recht bejaht. Die von der Geschädigten
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A. durch die Tat vom 12. Februar 2007 erlittene Agnosie
(Gesichtsblindheit) stellt eine Behinderung im Sinne dieser Vorschrift
dar. Aus dem Wortzusammenhang ("geistige Krankheit oder Behinderung")
und der Regelung körperlicher Behinderungen in anderen
Merkmalen des Folgenkatalogs folgt, dass hierunter nur eine geistige
Behinderung fällt (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 226
Rdn. 13; Hirsch in LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 25 jeweils m. w.
N.). Als solche ist eine nicht nur unerhebliche und nicht nur
vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit
anzusehen, die nicht bereits als geistige Krankheit zu qualifizieren
ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl.
§ 226 Rdn. 7). Diese Voraussetzungen sind nach den
Feststellungen erfüllt, da die Geschädigte aufgrund
ihrer Beeinträchtigung keine Erinnerung an Personen hat und es
ihr nicht möglich ist, Personen, auch wenn diese zum engsten
persönlichen Umfeld gehören, an den Gesichtern zu
erkennen.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 16. Dezember 2008 hat dem Senat
bei der Beschlussfassung vorgelegen.
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Becker Pfister Sost-Scheible
Hubert Schäfer |