BGH,
Beschl. v. 16.1.2001 - 1 StR 503/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 503/00
vom
16. Januar 2001
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauch eines Kindes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16.
Januar 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Schluckebier, Dr. Kolz, Schaal,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 9. Juni 2000 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten dieses Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem
Jahr und zehn Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und
eine Sperrfrist für deren Neuerteilung festgesetzt. Die
Freiheitsstrafe hat es nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die
Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten
eingelegten Revision gegen den Strafausspruch; sie erstrebt eine
höhere Freiheitsstrafe, um die formalen Voraussetzungen
für die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu schaffen. Das
mit einer Verfahrensrüge sowie der Sachbeschwerde
begründete, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene
Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I. Die Revision ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkt. Zwar hat die Beschwerdeführerin einen
unbeschränkten Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils
gestellt. Dieser steht aber im Widerspruch zu dem Angriffsziel des
Rechtsmittels, wie es sich aus der Revisionsrechtfertigungsschrift
ergibt. Deren Auslegung läßt einen entsprechenden
Beschränkungswillen der Beschwerdeführerin erkennen
(vgl. zur Auslegung in solchen Fällen BGHR StPO § 344
Abs. 1 Antrag 3; Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 5
m.w.Nachw.). Der Beschwerdeführerin geht es - auch mit ihrer
Verfahrensrüge - darum, eine höhere, wenigstens
zweijährige Freiheitsstrafe zu erwirken, die Voraussetzung
für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den
Angeklagten ist.
II. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde der zur
Tatzeit 57 Jahre alte Angeklagte bereits in jungen Jahren wiederholt
straffällig. In den Jahren 1957 und 1958 ergingen jeweils
wegen Diebstahls zwei Urteile, die Jugendstrafe aussprachen. Nach
weiteren Verurteilungen folgten 1966 und 1968 drei Urteile wegen
Verkehrs- und Vermögensdelikten, in deren Folge gegen den
Angeklagten jeweils kurze Gefängnisstrafen vollstreckt wurden.
Die letzte Vorverurteilung stammt aus dem Jahr 1971: Wegen Mordes in
Tatmehrheit mit Notzucht verbüßte der Angeklagte
anschließend eine lebenslange Freiheitsstrafe bis 1995; seit
1988 befand er sich im offenen Vollzug. Der Rest dieser Freiheitsstrafe
wurde - u.a. wegen der positiven Persönlichkeitsentwicklung
des Angeklagten - bis zum 22. Juni 2000 zur Bewährung
ausgesetzt. Zu jener Verurteilung kam es, weil der Angeklagte im Juni
1970 ein 12jähriges Mädchen veranlaßt
hatte, zu ihm in sein Fahrzeug zu steigen, er sich sodann in einem
Waldstück sexuell an diesem vergangen und es
schließlich aus Angst vor Entdeckung erwürgt hatte.
Der jetzt abgeurteilten Tat liegt folgendes zugrunde: Der damals etwa
13 Jahre und sieben Monate alte Nebenkläger R. D. sprach den
Angeklagten an einer Bushaltestelle an und erbat eine Zigarette. Der
Nebenkläger sah noch sehr kindlich aus und befand sich noch
nicht in der Pubertät. Er fragte den Angeklagten, ob dieser
ihn mit seinem Auto nach Hause fahren könne, da er seinen Bus
versäumt habe. Der Angeklagte erklärte sich dazu
bereit und gab dem ihm bis dahin nicht bekannten Nebenkläger
schließlich fünf DM für den Kauf eines
Getränks, als dieser äußerte, er sei
durstig, habe aber kein Geld bei sich. Auf der Fahrt legte der
Angeklagte bei einem Einkaufsmarkt einen Halt ein, um Zigaretten zu
erwerben. In diesem Markt ließ sich der Nebenkläger
von einem Schmuckverkäufer eine Kette umlegen, die er zu
behalten wünschte. Der Angeklagte beglich den Kaufpreis in
Höhe von 50 DM ebenso wie denjenigen zweier
Kompaktschallplatten (CDs), die sich der Nebenkläger
ausgesucht hatte. Auf der Weiterfahrt bog der Angeklagte in einen
Waldweg ein. Er beabsichtigte nun, mit dem Nebenkläger sexuell
zu verkehren. Nach dem Abstellen des Fahrzeugs unterhielten sich beide,
rauchten eine Zigarette und hörten Radio. Der Angeklagte legte
dem Nebenkläger sodann den Arm um die Schulter und streichelte
ihn im Gesicht und an den Beinen. Sexuell erregt, öffnete er
die Hose des Nebenklägers und faßte an das
Geschlechtsteil des Jungen, der keine Gegenwehr und keine Abwehrhaltung
zeigte. Der Angeklagte ließ nach kurzer Zeit von dem Jungen
ab und entblößte sein eigenes Geschlechtsteil. Er
forderte ihn auf, dieses anzufassen. Als der Junge dieser Aufforderung
nicht sogleich nachkam, nahm der Angeklagte - ohne Gewalt anzuwenden -
dessen Hand und drückte sie an sein Geschlechtsteil; er
bewegte die Hand des Jungen hin und her, bis es bei ihm zum
Samenerguß kam. Der Angeklagte gab ihm schließlich
20 oder 30 DM und fuhr ihn in seinen Heimatort. Beide verabredeten sich
zu einem weiteren Treffen. Der Angeklagte rechnete damit, daß
der Nebenkläger keine 14 Jahre alt und mithin noch ein Kind
sein würde.
Die Strafkammer hat der Strafbemessung den Normalstrafrahmen des
Tatbestandes des § 176 Abs. 1 StGB zugrundegelegt. Von der
Anordnung der Sicherungsverwahrung hat sie schon deshalb abgesehen,
weil es an der formalen Voraussetzung der Verhängung einer
Freiheitsstrafe von wenigstens zwei Jahren fehle (vgl. § 66
Abs. 1, Abs. 3 StGB).
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Die
Verfahrensrüge greift nicht durch; der Rechtsfolgenausspruch
hält auch sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Landgericht habe
gegen § 261 StPO verstoßen, weil die
Urteilsfeststellungen in einem für die Strafzumessung
bedeutsamen Punkte dem Ergebnis der Hauptverhandlung
widersprächen: Die Strafkammer habe festgestellt,
daß der Angeklagte am 12. Mai 1966 wegen Verkehrs- und
Vermögensdelikten verurteilt worden sei. Das stütze
sie auf die in der Hauptverhandlung erfolgte Verlesung des Auszuges aus
dem Bundeszentralregister sowie eines näher bezeichneten,
gegen den Angeklagten anderweit ergangenen Urteils. Aus diesen Urkunden
ergebe sich indessen, daß der Angeklagte auch wegen
fahrlässiger Volltrunkenheit zu einer sechswöchigen
Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, weil er in diesem Zustand eine
Körperverletzung mit Todesfolge begangen habe.
Die Rüge ist unbegründet. Ein Widerspruch zwischen
den Urteilsfeststellungen und einem insoweit etwa alleintragenden
Urkundsbeweis läßt sich nicht feststellen. Das
Landgericht hat drei Verurteilungen des Angeklagten aus den Jahren 1966
und 1968 als solche "wegen Verkehrsdelikten und
Vermögensdelikten" gekennzeichnet, auf Grund deren er "jeweils
kurze Gefängnisstrafen zu verbüßen" gehabt
habe (UA S. 5). Das ist zutreffend, weil die Schuldsprüche
u.a. wegen Betruges und Trunkenheit im Straßenverkehr
ergangen sind. Wenn das Landgericht darüber hinaus die in
einem Falle erfolgte Verurteilung wegen fahrlässiger
Volltrunkenheit und die zugrundeliegende Rauschtat nicht
erwähnt hat, so erweist sich seine summarische
Charakterisierung der in Rede stehenden Taten im Rahmen der
Feststellungen zum Werdegang des Angeklagten insoweit allenfalls als
ungenau und unvollständig; ein unauflösbarer
Widerspruch zu dem erhobenen Urkundsbeweis liegt darin nicht.
2. Die Beschwerdeführerin meint weiter, die
Strafzumessungserwägungen des Landgerichts seien fehlerhaft,
weil es jene - in den Urteilsgründen nicht mitgeteilte -
Vorverurteilung wegen fahrlässiger Volltrunkenheit ebensowenig
gewürdigt habe wie den Umstand, daß der Angeklagte
den Nebenkläger durch die Wahl des Tatortes auf einem Waldweg
in eine schutzlose Lage gebracht habe. Auch damit zeigt sie indes einen
Rechtsfehler nicht auf.
a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters.
Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den
er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit
des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und
belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und
gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur
eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt. Das ist namentlich dann der
Fall, wenn der Tatrichter fehlerhafte Erwägungen angestellt
hat oder wenn erforderliche Erwägungen oder Wertungen
unterblieben sind und das Urteil auf dem Mangel beruhen kann, oder wenn
sich die verhängte Strafe nicht im Rahmen des
Schuldangemessenen hält. Eine ins einzelne gehende
Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (vgl. BGHSt 34, 345, 349; 29,
319, 320). Dabei ist auch zu beachten, daß die Strafrahmen
dem Tatrichter einen gewissen Spielraum geben, um die schuldangemessene
Strafe zu finden; innerhalb dieses Beurteilungsrahmens ist eine Strafe
schon oder noch als schuldangemessen anzuerkennen (vgl. BGHSt 20, 264,
266/267; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 2).
Schließlich müssen die Urteilsgründe nicht
etwa sämtliche Straffindungsgesichtspunkte aufführen;
es genügt, die für die Strafe bestimmenden
Gründe anzugeben (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO; vgl. BGH
bei Dallinger MDR 1970, 899; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO
44. Aufl. § 267 Rdn. 18).
b) Auf der Grundlage dieser Maßstäbe ist gegen die
Strafbemessung des Landgerichts von Rechts wegen nichts zu erinnern.
Der Tatrichter hat hervorgehoben, daß der Angeklagte den
äußeren Geschehensablauf eingeräumt, der
Nebenkläger es ihm "überaus leicht gemacht" habe,
beide als "einsame Menschen" um menschliche Zuneigung bemüht
gewesen seien und der Nebenkläger bei der Vorbereitung der
sexuellen Handlungen mitgemacht habe. Überdies hat die
Strafkammer betont, daß die auf einen spontanen
Entschluß zurückgehende Tat beim
Nebenkläger keine psychischen Schäden hinterlassen
habe. Andererseits hat sie ausdrücklich das Vorleben des
Angeklagten bedacht, insbesondere die wegen eines
einschlägigen Delikts ergangene lebenslange Freiheitsstrafe
und die noch laufende Bewährungsfrist. Diese
Erwägungen werden den von Rechts wegen zu stellenden
Anforderungen uneingeschränkt gerecht. Sie erweisen sich nicht
deshalb als unvollständig, weil das Landgericht nicht noch
einmal die Wahl des Tatortes im Walde angesprochen hat. Da es diesen
Umstand in anderem Zusammenhang erörtert hat,
schließt der Senat aus, daß er ihm im Rahmen der
Strafzumessung aus dem Blick geraten sein könnte. Der mehrere
Jahrzehnte zurückliegenden Vorverurteilung nicht
einschlägiger Art zu einer kurzen Freiheitsstrafe, deren
Erwähnung die Revision vermißt, mußte
für die Straffindung ebensowenig bestimmende Bedeutung
beigelegt werden.
3. Der Rechtsfolgenausspruch läßt auch sonst keinen
den Angeklagten begünstigenden oder beschwerenden (vgl.
§ 301 StPO) sachlich-rechtlichen Mangel erkennen.
Schäfer Wahl Schluckebier Kolz Schaal |