BGH,
Beschl. v. 16.3.2010 - 4 StR 82/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 82/10
vom
16. März 2010
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16.
März 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 14. September 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die
Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt;
außerdem hat es eine Maßregelanordnung nach
§§ 69, 69 a StGB getroffen. Mit seiner gegen dieses
Urteil eingelegten Revision beanstandet der Beschuldigte das Verfahren
und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel
hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es einer
Erörterung der Verfahrensrüge nicht bedarf.
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1. Zu den Anlasstaten hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes
festgestellt:
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In den frühen Morgenstunden des 2. Februar 2008 entwendete der
Beschuldigte im Verkaufsraum einer Tankstelle 10 Packungen Zigaretten
vor den Augen der Kassiererin und legte sie auf den Beifahrersitz
seines Autos. Um
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sich den Besitz der Beute zu erhalten, fuhr der Beschuldigte sehr
schnell an, so dass die Kassiererin, die ihm nachgeeilt und die
Zigaretten bereits ergriffen hatte, vom Holm des Fahrzeugs getroffen
wurde, wodurch sie Prellungen erlitt (Fall II. 1).
Unmittelbar danach fuhr der Beschuldigten zu einer anderen Tankstelle
und kaufte dort unter Vorlage seiner Kreditkarte Zigaretten. Ein
zufällig anwesender Polizeibeamter bemerkte, dass der
Beschuldigte die Kreditkarte im Verkaufsraum zurückgelassen
hatte und wollte sie dem bereits wieder im Fahrzeug sitzenden
Beschuldigten übergeben. Noch bevor er ihn ansprechen konnte,
fuhr der Beschuldigte mit Vollgas ruckartig an, wobei der
Außenspiegel des PKW die Lederjacke des Polizeibeamten
streifte. Der Beamte setzte daraufhin den Streifenwagen, in dem eine
weitere Beamtin saß, vor den PKW des Beschuldigten, um ihn an
der Weiterfahrt zu hindern. Der Beschuldigte fuhr nunmehr in
"gleichmäßigem gemäßigtem Tempo
gezielt auf den Streifenwagen zu" [UA 5] und rammte diesen an der
hinteren rechten Beifahrertür, um sich einen Fluchtweg zu
eröffnen. Unmittelbar danach wurde er festgenommen (Fall II.
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Als ihm wenig später in der Gewahrsamszelle vor dem
Weitertransport Handschellen angelegt werden sollten, wehrte er sich
dagegen und schlug dem diensthabenden Polizeibeamten unvermittelt ins
Gesicht, wodurch dieser eine blutende Verletzung erlitt (Fall II. 3).
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Bei Begehung dieser Taten war die Einsichtsfähigkeit des
Beschuldigten auf Grund einer akuten Episode einer paranoiden
Schizophrenie aufgehoben.
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2. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung
nicht stand.
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Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine solche Anordnung
neben der positiven Feststellung eines länger andauernden,
nicht nur vorübergehenden Defekts, der zumindest eine
erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne
des § 21 StGB begründet, auch die Feststellung
voraus, dass der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige
Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20,
21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt
zurückzuführen ist (vgl. nur BGHSt 34, 22, 27).
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Soweit das Landgericht im Fall II. 1 einen räuberischen
Diebstahl in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und im Fall II. 3 eine vorsätzliche
Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte angenommen hat, ist dies aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dagegen belegen die
Urteilsfeststellungen nicht, dass der Beschuldigte in den
Fällen II. 1 und 2 jeweils einen gefährlichen
Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3
StGB), im Fall II. 2 tateinheitlich damit auch eine
Sachbeschädigung begangen hat.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfasst §
315 b StGB ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten eines
Fahrzeugführers nur dann, wenn dieser das von ihm gesteuerte
Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig
einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu
einem Eingriff in den Straßenverkehr zu "pervertieren" und
dabei mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt (vgl.
BGHSt 41, 231, 234; 48, 233, 236 f. m.w.N.). Den Urteilsfeststellungen
ist nicht zu entnehmen, dass der Beschuldigte in dieser Absicht
handelte.
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b) Im Fall II. 2 ist der Beschuldigte zwar absichtlich mit seinem
Fahrzeug gegen den Streifenwagen, der ihm den Weg versperrte, gefahren.
Angesichts der vom Beschuldigten eingehaltenen
mäßigen Geschwindigkeit ist der Schluss des
Landgerichts, der Beschuldigte habe dadurch "Leib oder Leben der
Polizeibeamten gefährdet" (UA 8), aber nicht nachvollziehbar.
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Ebenso wenig belegen die bisherigen Feststellungen die konkrete
Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert. Hierfür
reicht es nicht aus, dass eine Sache von bedeutendem Wert, wie hier der
Streifenwagen, nur in wirtschaftlich unbedeutendem Maße
gefährdet wird; vielmehr muss der konkret drohende Schaden
bedeutenden Umfangs sein (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2007 -
4 StR 1/07 = NStZ-RR 2008, 83 m.w.N.; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl.
§ 315 b Rdn. 18 m.w.N.; zur Wertgrenze vgl. BGHSt 48, 119,
121; Fischer aaO § 315 Rdn. 16 a; Barnickel in
MünchKomm StGB § 315 Rdn. 69).
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Die tateinheitliche Verurteilung wegen Sachbeschädigung hat
ebenfalls keinen Bestand, weil das Urteil nicht mitteilt, ob und
gegebenenfalls in welcher Weise der Streifenwagen durch das Anfahren
beschädigt worden ist.
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3. Auch hinsichtlich der Maßregelanordnung nach
§§ 69, 69 a StGB bedarf die Sache damit neuer
Entscheidung.
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Tepperwien Solin-Stojanović Ernemann
Franke Mutzbauer |