BGH,
Beschl. v. 16.11.2000 - 3 StR 457/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 457/00
vom
16. November 2000
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. November
2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 15. Juni 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in dreißig Fällen
(die Bezeichnung "gewerbsmäßig" gehört als
strafrahmenbegründendes Merkmal des § 29 Abs. 3 Nr. 1
BtMG nicht in die Entscheidungsformel) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete
Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur
Aufhebung des Urteils, weil die Strafkammer nicht erkennbar
geprüft hat, ob die abgeurteilten Heroinverkäufe nicht
- wenigstens teilweise - mit weiteren Heroinverkäufen, die
Gegenstand des Strafverfahrens 2 b Ls 60 Js 788/99 Amtsgericht -
Schöffengericht - Neuss sind, eine Bewertungseinheit bilden
und somit die gleiche Tat im rechtlichen Sinne betreffen. Dann
wäre aber insoweit das Verfahrenshindernis der anderweitigen
Rechtshängigkeit gegeben.
In dem Strafverfahren 2 b Ls 60 Js 788/99 Amtsgericht -
Schöffengericht - Neuss ist dem Angeklagten durch Anklage vom
13. Juli 1999 zur Last gelegt worden, in 18 Einzelfällen
"Fünfer-Bubbles" Heroin in der Zeit von Juni 1988 bis zum 4.
Februar 1999 an die Abnehmer R. , B. und J.
gewerbsmäßig verkauft zu haben. Durch das
Amtsgericht - Schöffengericht - Neuss wurde er mit Urteil vom
16. November 1999 unter Freisprechung im übrigen wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 15
Einzelfällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und
acht Monaten (ohne Strafaussetzung zur Bewährung) verurteilt.
Auf seine auf das Strafmaß beschränkte Berufung
ermäßigte das Landgericht Düsseldorf die
Gesamtfreiheitsstrafe auf ein Jahr und drei Monate unter
Strafaussetzung zur Bewährung. Auf die hiergegen gerichtete
Revision der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht dieses
Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht
zurückverwiesen. Es hat dabei ausgeführt,
daß die Beschränkung der Berufung auf das
Strafmaß unzulässig gewesen sei, weil der
Schuldumfang in dem Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht
- Neuss vom 16. November 1999 unzureichend festgestellt worden sei (OLG
Düsseldorf, Urteil vom 25. Oktober 2000 - 2 b Ss 204/00 -
72/00).
Im vorliegenden Verfahren wird dem Angeklagten durch Anklage vom 9.
Dezember 1999 zur Last gelegt, in der Zeit von Oktober 1998 bis Januar
1999 in vier Fällen monatlich je etwa 500 Gramm Heroin
erworben und u.a. an die Abnehmer Bo. und A. in
"Fünfer-Bubbles" weiterverkauft zu haben. Über diese
wiederum an das Amtsgericht - Schöffengericht - Neuss
gerichtete Anklage hat dieses am 10. Februar 2000 verhandelt und die
Sache auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß
§ 270 Abs. 1 StPO an das Landgericht Düsseldorf
verwiesen, weil die Strafgewalt des Schöffengerichts nicht
ausreiche. Das Landgericht Düsseldorf ist in dem hier
angefochtenen Urteil vom 15. Juni 2000 zum Ergebnis gekommen,
daß sich die zur Last gelegten vier Erwerbsvorgänge
von je 500 Gramm Heroin nicht sicher feststellen ließen,
weshalb man sich darauf beschränkt habe, lediglich die
Verkaufsfälle abzuurteilen (UA S. 5). Es hat den Angeklagten
wegen dreißig Fällen des Verkaufs von
"Fünfer-Bubbles" an den Abnehmer Bo. in der Zeit von Oktober
1998 bis Anfang Februar 1999 verurteilt und das Verfahren wegen der
Verkäufe an den Abnehmer A. abgetrennt.
Bei dieser Sachlage kann der Senat nicht ausschließen,
daß der Angeklagte aus monatlichen Einkaufsmengen von 500
Gramm nicht nur die in den jeweiligen Zeitraum fallenden
Einzelverkäufe an den Abnehmer Bo. , sondern auch die in
diesem Zeitraum erfolgten Verkäufe getätigt hat, die
Gegen-
stand des Strafverfahrens bei dem Amtsgericht -
Schöffengericht - Neuss sind.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden
Verkaufsvorgänge durch den Erwerb der hierzu bestimmten
Gesamtmenge zu einer Bewertungseinheit verbunden, weil sie im Rahmen
desselben Güterumsatzes erfolgen (BGHSt 30, 28 ff.; BGHR BtMG
§ 29 Bewertungseinheit 1 ff.). Die Annahme einer solchen
Bewertungseinheit ist geboten, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen,
die es rechtfertigen können, bestimmte Einzelverkäufe
einer vom Angeklagten erworbenen Gesamtmenge zuzurechnen (BGHR BtMG
§ 29 Bewertungseinheit 6, 8, 11, 12, 13). Damit hat sich die
Strafkammer nicht auseinandergesetzt, obgleich sich eine solche
Prüfung bereits nach den wenigen in den
Urteilsgründen mitgeteilten Feststellungen aufdrängt.
Bereits die Ausgangssituation, wonach ein von Sozialhilfe lebender, auf
die Finanzierung seines eigenen Konsums angewiesener Asylbewerber sich
entschließt, gewerbsmäßig Heroin, das er
von zwei Lieferanten bezieht, fortlaufend an zahlreiche Endverbraucher
in Kleinmengen zu verkaufen, legt es nahe, daß er die Ware in
größeren Teilmengen kostengünstig erworben
hat, um durch den Weiterverkauf die beabsichtigte Gewinnspanne erzielen
zu können. Es kommt hinzu, daß Anklage und
Eröffnungsbeschluß auf Grund der
Ermittlungsergebnisse von einem hinreichenden Verdacht ausgegangen
sind, der Angeklagte habe tatsächlich die erforderlichen
Einkaufsmengen in Chargen zu je 500 Gramm monatlich bezogen. Der
Vorsitzende des Schöffengerichts hat hierzu in der
Weiterleitungsverfügung vom 14. Februar 2000
ausgeführt, daß es sich nach "hier vorliegender
Einschätzung bei den meisten Verkaufs-Fällen des
Berufungsverfahrens um Teile aus denselben Vorrats-Mengen, die im
vorliegenden Verfahren als Handelsmengen eine Rolle spielen, handelt"
(Bl. 133 d. SA). Demgegenüber beschränken sich die
Urteilsgründe des Landgerichts auf die Mitteilung,
daß die Erwerbsvorgänge nicht "sicher" nachgewiesen
werden konnten, weil der Zeuge A. Menge und Gewicht des beim
Angeklagten gesehenen Beutels mit Heroin nicht näher
beschreiben konnte. Ein sicherer Nachweis ist indes für die
Annahme einer Bewertungseinheit nicht erforderlich; zur Frage, ob
immerhin noch ausreichende Anhaltspunkte für solche ohnehin
naheliegenden Erwerbsmengen vorliegen, schweigen die
Urteilsgründe. Dies nötigt zur Aufhebung des Urteils.
Da die Frage des Vorliegens einer Bewertungseinheit nicht nur die
Prüfung eines Verfahrenshindernisses, sondern zugleich auch
den Schuldspruch betrifft, ist eine Klärung im Wege des
Strengbeweises durch den Tatrichter geboten (vgl. BGHSt 22, 307, 309;
BGHR BtMG
§ 29 Bewertungseinheit 17). Dabei wird auch zu prüfen
sein, ob die dem Angeklagten im Verfahren 60 Js 788/99 unter
Anklagepunkt 18 zur Last gelegte Vorratsmenge von 30,21 Gramm Heroin,
hinsichtlich der ein Teilfreispruch durch das Amtsgericht -
Schöffengericht - Neuss erfolgt ist, aus einer der im
vorliegenden Verfahren fraglichen Erwerbsmengen stammen kann.
Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen |